Die extreme Rechte wittert Morgenluft: Im Mittelmeer geht die «Identitäre Bewegung» mit einem Schiff gegen Flüchtlinge vor, in der amerikanischen Universitätsstadt Charlottesville endet eine Kundgebung ultrarechter Gruppierungen in einer Orgie der Gewalt – die von Präsident Donald Trump zunächst nur halbherzig verurteilt wird.
In Charlottesville war nahezu das gesamte rechtsextreme Trachtenwesen versammelt: Hakenkreuzfahnen und Südstaatenflaggen, strenge Scheitel, spitze Ku-Klux-Klan-Hüte, brennende Fackeln, zum Hitlergruss erhobene Arme, Uniformen. Doch nicht alle Teilnehmer der Kundgebung waren so leicht als Rechtsextreme erkennbar – manche geben sich äusserlich moderat.
Noch vor einigen Jahren zeigten Neonazis und rechte Skinheads mit ihrem brachialen Outfit überdeutlich, welche politische Gesinnung sie vertraten. Heute ist das nicht mehr so einfach. Bärtige Hipster, brav gescheitelte Burschen und adrette junge Frauen der Identitären Bewegung treten in YouTube-Videos gegen «Multikulti» auf und besetzen medienwirksam das Brandenburger Tor. Die extreme Rechte hat sich diversifiziert.
Das Treffen in Charlottesville – vermutlich die grösste Demonstration von weissen Nationalisten in den USA seit Jahrzehnten – wurde von dem lokalen Alt-Right-Aktivisten Jason Kessler organisiert. Alt-Right – abgeleitet von der Website Altright.com des amerikanischen Neonazis Richard B. Spencer* – ist ein Kurzwort für «Alternative Right» und fasst eine Reihe von Strömungen am rechten Rand des politischen Spektrums in den USA zusammen.
Die Bewegung ist nicht zentral gesteuert. Einige Exponenten wie etwa Kessler vertreten vergleichsweise moderate Positionen, beispielsweise die nahezu vollständige Beschränkung der Zuwanderung oder den Kampf gegen «anti-weissen Rassismus». Andere – darunter der einflussreiche Spencer – geben sich offen rassistisch und antisemitisch und propagieren eine «friedliche ethnische Säuberung» der USA.
Der absehbare Verlust der demographischen Dominanz des «weissen Amerika» und die Wahl eines schwarzen Präsidenten haben der Alt-Right viel Zulauf beschert; jetzt – mit Trump als Präsident – hoffen viele Anhänger auf einen massiven Rechtsruck. Ihnen geht es um die angeblich bedrohte «Identität der weissen Bevölkerung», besonders des weissen Mannes; sie kämpfen gegen «Multikulti-Gesellschaft», Feminismus und politische Korrektheit.
Einer der prominenten Teilnehmer an der Kundgebung in Charlottesville war der ehemalige Ku-Klux-Klan-Anführer David Duke. Er war nicht der einzige; in der Masse der rechten Demonstranten tauchten mehrere «Klansmen» in ihren weissen Gewändern auf. Der Klan, der schon kurz nach dem amerikanischen Bürgerkrieg gegründet wurde, ist die bekannteste rassistische Organisation der USA. Er hat eine lange Geschichte der Gewalt gegen Schwarze, aber auch gegen andere Nicht-Weisse, Katholiken und Juden.
Der Geheimbund erlebte mehrere Phasen des Niedergangs und des Wiederaufstiegs. Nach dem Wahlsieg von Barack Obama stieg die Zahl der Mitglieder deutlich an; die verschiedenen Organisationen, die sich heute unter dem Banner des Klans sammeln, konnten ihre Mitgliederzahl Schätzungen zufolge auf 10'000 verdoppeln.
Im Vergleich zur Alt-Right-Bewegung wirkt der Klan antiquiert. Aber er betreibt aktiv Jugendarbeit, um Nachwuchs anzulocken. Und er schmiedet Bündnisse mit Gruppierungen am äussersten rechten Rand wie der – mittlerweile aufgelösten – «National Alliance» oder dem «National Socialist Movement». Mit diesen Organisationen – und mit beträchtlichen Teilen der Alt-Right – teilt der Klan die Ideologie der «White Supremacy», der vermeintlichen Überlegenheit der Weissen.
Bei der «Identitären Bewegung» ist der Begriff «Identität» schon Bestandteil des Namens. Wie die Alt-Right-Bewegung ist sie auf die Bewahrung der angeblich bedrohten Identität der Weissen – hier der Europäer – fixiert. Wie die Alt-Right grenzen sich die Identitären klar von den konservativen Rechten ab: Sie sind gegen Globalisierung, Freihandel und reine Marktwirtschaft; ihre Feindbilder sind die Elite, die Mainstream-Medien und die Multikulti-Gesellschaft.
Die Identitären vermeiden den belasteten Begriff «Rasse» und sprechen lieber von Kultur, Ethnie, Volk oder Nation. Sie propagieren einen sogenannten «Ethnopluralismus»: Verschiedene Ethnien mit unterschiedlicher Kultur sollen nebeneinander leben, aber jeweils in ihrem «angestammten Territorium» bleiben – Migration gilt als Bedrohung.
Trotz zahlreicher Gemeinsamkeiten mit der Alt-Right haben die Identitären andere Wurzeln. Entstanden ist die Bewegung 2002 in Frankreich als «Bloc identitaire» (BI) in der Nachfolge der verbotenen «Unité radicale» (UR). Spätestens mit der Besetzung einer Moschee in Poitiers 2012 rückten die Identitären in Frankreich ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Die identitäre Sammelbewegung, die der «Neuen Rechten» zugerechnet wird, breitete sich zuerst in den frankophonen Gebieten Europas aus, hat mittlerweile aber auch Ableger in Italien («Casa-Pound-Bewegung») und in Deutschland.
Die Identitären sind dezidiert antiislamisch, aber in der Regel nicht antisemitisch. Sie legen Wert darauf, sich vom historischen Nationalsozialismus zu distanzieren, auch um das Bild einer hippen Jugendbewegung nicht zu sehr zu trüben. Entsprechend aktiv sind sie in den neuen Medien; ihre starke Präsenz im Internet kompensiert dabei die – gerade in Deutschland – eher kläglichen Teilnehmerzahlen bei Veranstaltungen.
«Skinhead» gilt heutzutage fast als Synonym für Neonazi. Ursprünglich waren die Skinheads jedoch eine britische Subkultur, die sich vornehmlich aus jungen Männern der Unterschicht rekrutierte und weitgehend unpolitisch war. Dies änderte sich ab Ende der 70er-Jahre; nicht zuletzt unter dem Einfluss von rechtsextremen Gruppen wie der «British National Party» (BNP) entwickelte sich eine neonazistische Skinhead-Fraktion, die das Image der Subkultur stark prägte. Nach wie vor gibt es jedoch unpolitische oder gar linke Skinhead-Strömungen wie die Redskins.
Zu den explizit rechtsextremen Skinhead-Gruppierungen gehören vor allem diese beiden international agierenden Netzwerke:
Die in den 80er-Jahren in Deutschland entstandene Reichsbürgerbewegung ist sehr heterogen; es gibt keine einheitliche Ideologie – der einzige gemeinsame Nenner ist die Überzeugung, dass das Deutsche Reich nach wie vor bestehe. Die Reichsbürger erkennen deshalb die Bundesrepublik Deutschland als Staat nicht an; manche halten die BRD für ein Konstrukt einer «jüdisch-freimaurerischen» Verschwörung. Von den verschiedenen Gruppierungen sind nicht alle rechtsextrem, allerdings sind antisemitische und rassistische Theorien in diesem Milieu weit verbreitet.
Eine der frühesten und zugleich eindeutig rechtsextremen Gruppierungen aus dem Dunstkreis der Reichsbürger war das «Deutsche Kolleg» – das sich als «Schwert und Schild des Deutschen Geistes» bezeichnet. Gegründet wurde es von dem Anwalt Horst Mahler, der in den 70er-Jahren die linksextreme Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) mitbegründet hatte, bevor er zu einem der bekanntesten Neonazis Deutschlands wurde. Mahler und seine ehemalige Lebensgefährtin Sylvia Stolze, eine verurteilte Holocaustleugnerin, sehen das deutsche Volk in der «Knechtschaft» einer «jüdischen Weltverschwörung».
* In einer früheren Version des Artikels war irrtümlich von «Richard S. Spencer» die Rede.