Alles begann mit einer einzigen, kurzen Frage.
«Worüber möchten Sie sich beklagen?»
So begann der ägyptische Fernsehmoderator Amr Ellissy sein Strasseninterview mit einem Tuktuk-Fahrer in Kairo.
Als der TV-Sender Al-Hayat den Clip auf YouTube stellte, wurde er innert eines Tages mehrere Millionen Mal angeklickt und unzählige Male kommentiert. Der anonyme Tuktuk-Fahrer hatte offensichtlich einen Nerv getroffen.
«Worüber möchten Sie sich beklagen?», war die Frage.
Über eine ganze Menge, wie sich herausstellte:
«Wenn wir fernsehen, sieht Ägypten wie Wien aus. Sobald wir auf die Strasse gehen, erkennen wir, dass es wie Somalias Cousin ist. »
«Vor den Präsidentschaftswahlen hatten wir genügend Zucker, wir hatten Reis und wir exportierten sogar. Was ist passiert? Wo ist das geblieben? Wir würden gerne verstehen.»
«Am Fernsehen sagen sie, Ägypten entwickle sich, Ägypten mache dies und jenes. Wir schiessen Geld in nationale Projekte ohne Nutzen und unser Bildungssystem ist so kaputt, wie man es sich nicht schlechter vorstellen kann.»
«Entschuldigen Sie, wie kann jemand wie ich, der ungebildet ist, ...» An dieser Stelle kam es zur einzigen Unterbrechung des dreiminütigen Monologs. Fernsehmoderator Amr Ellissy war offenbar überrascht, dass sich der eloquente Tuktuk-Fahrer als ungebildet bezeichnet und fragte ihn nach seiner Ausbildung.
Seine Antwort: «Was? Ich bin ausgebildeter Tuktuk-Fahrer. Bitte lassen Sie mich ausreden.» Mit dem Video ging auch der Hashtag #I_am_a_tuktuk_graduate viral.
Der Mann redete unbeirrt weiter: «Das sind die drei wichtigsten Dinge, die das Land entwickeln muss: Bildung, Gesundheit und Landwirtschaft. Wenn die Leute diese drei Dinge haben, dann kann nur Gott es besiegen.»
«Ägypten kontrollierte einst den Tschad und Sudan und Saudi-Arabien. Die paar kleinen Länder am Golf machen sich über uns lustig, schaut, was wir euch alles geben und was wir für euch tun. Wir gaben ihnen bis vor 70 Jahren stolz die Kiswa (schwarzes Brokatstofftuch, das die Kaaba in Mekka umhüllt).»
«Gibt es niemanden, dem Ägypten etwas bedeutet, der Ägypten liebt und sagt ‹genug›!? Es ist ungerecht, dass ein paar Verräter die Leute im Namen von Patriotismus, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit hinters Licht führten, wenn ihre Taten weitmöglichst von Demokratie und Gerechtigkeit entfernt sind. Es ist nicht gerecht. Es missfällt Gott!»
Der Tuktuk-Fahrer schloss seine Wutrede mit der Bitte, der Moderator möge nichts davon weglassen, wenn der Beitrag gesendet werde. So geschah es, doch nachdem das Video millionenfach angesehen worden war, verschwand es plötzlich von YouTube und Facebook. Wie Amr Ellissy bestätigte, hatte sich das Büro des Premierministers bei ihm gemeldet und fragte nach dem Namen des Tuktuk-Fahrers.
Die Verbreitung des Videos liess sich natürlich nicht mehr stoppen, doch der Versuch der Regierung heizte die Debatte in den sozialen Medien zusätzlich an. «Warum haben Sie das Tuktuk-Video gelöscht? Haben Sie Angst vor der Regierung oder so etwas? Er hat die Wahrheit gesagt, er fand heraus, wo es weh tat, und drückte zu fest zu», hiess es in einem Tweet an Moderator Ellissy.
Vereinzelt gab es auch Kritik, etwa von somalischer Seite, die über den unvorteilhaften Vergleich zu Beginn nicht erfreut war.
Inzwischen ist ein zweites Video viral gegangen, in dem eine Ägypterin den Mut des Tuktuk-Fahrers lobt – und die Feigheit des Regimes geisselt:
Wie desolat die wirtschaftliche Situation in Ägypten unter der Führung von Präsident Abdel Fattah el-Sisi ist, zeigte ein schockierender Vorfall am Wochenende. Ein 30-Jähriger in Alexandria setzte sich selbst in Brand. Er protestierte damit gegen die hohen Preise für Lebensmittel im Land.