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Obdachloser in Berlin angezündet – Polizei veröffentlicht Bilder von Verdächtigen

Screenshot des Fahndungsvideos.
Screenshot des Fahndungsvideos.bild: polizei Berlin

Obdachloser in Berlin angezündet – Polizei veröffentlicht Bilder von Verdächtigen

In Berlin ist die Stimmung nach dem Terroranschlag angespannt. Dann, in der Nacht nach Heiligabend: Junge Leute sollen versucht haben, auf einem U-Bahnhof einen Obdachlosen anzuzünden. Jetzt wird mit Bildern nach den Tätern gesucht.
26.12.2016, 16:4826.12.2016, 17:49
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An einer langen grünen Holzbank auf dem Berliner U-Bahnhof Schönleinstrasse bleiben an den Weihnachtstagen die Blicke hängen. Hat hier in der Nacht nach Heiligabend der Obdachlose geschlafen, als Menschen versuchten, ihn anzuzünden? Wer macht so etwas? Und vor allem: warum?

Die Kriminalpolizei fahndet seit Montagnachmittag öffentlich nach sieben Jugendlichen und jungen Männern – wegen versuchten Mordes. Ihre Gesichter sind auf den Fotos und dem Videomaterial aus einer U-Bahn gut zu erkennen. Die Gruppe junger Leute war nach der Tat in eine U-Bahn geflüchtet und davon gefahren.

Es ist gut ausgegangen, fast wie in einer Weihnachtsgeschichte. Der Obdachlose bleibt unverletzt. Passanten helfen um zwei Uhr früh sofort und beherzt, berichtet die Polizei. Sie löschen die Flammen, die wohl bereits das Papier erfassten, mit dem sich der 37-Jährige, offenbar alkoholisierte Mann zugedeckt hatte.

Ein U-Bahn-Fahrer, der den Brand sieht, kommt mit einem Feuerlöscher hinzu. Nein, er sei kein Lebensretter, heisst es schnell. Er habe zuerst an Routine gedacht, einen brennenden Papierkorb.

Angespannte Stimmung

Ist nichts mehr Routine in dieser Stadt? Im sonst so coolen Berlin ist die Stimmung nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt mit zwölf Toten und mehr als 50 Verletzten angespannter als sonst. Das Leben geht weiter, doch die Sinne sind geschärfter, empfindlicher. Schon der Knall eines frühen Silvesterböllers kann da anders klingen.

«In diesen Tagen sollten wir Nächstenliebe erwarten. Stattdessen erleben wir Menschenverachtung», sagt Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Sonntag. «Ich bin entsetzt und danke allen, die beherzt geholfen haben. Das ist wahre Mitmenschlichkeit.»

Beim Stichwort U-Bahn kommt noch etwas in den Sinn: Das Video, mit dem die Berliner Polizei Mitte Dezember nach einem Mann suchte, der eine junge Frau die Treppe herunter getreten hatte. Sie brach sich einen Arm.

Das Video wurde tausendfach im Netz geteilt, inzwischen ist der mutmassliche Täter gefasst. Nun ist es dieselbe U-Bahnlinie, ebenfalls videoüberwacht und nur vier Stationen entfernt. Fallen Hemmschwellen bei Gewalttaten?

«Solche Gewaltvorfälle häufen sich nicht», betont Petra Reetz, Sprecherin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). Die BVG habe 2011 einen Höhepunkt mit 880 Gewalttaten gegen Menschen registriert. Seitdem seien die Zahlen stark zurückgegangen – 2015 seien es 484 Gewalttaten gewesen. «Es spricht sich herum, dass die Bahnhöfe videoüberwacht sind», sagte Reetz.

Tausende sind obdachlos

Der Kiez an der Grenze der Stadtteile Kreuzberg und Neukölln ist eine gemischte Gegend: Anziehungspunkt für Nachtschwärmer und zunehmend hippe Wohngegend – aber es gibt auch die Drogenprobleme und die Armut im Migrantenkiez rund um das Kottbusser Tor.

Der Angriff auf den Obdachlosen wirft ein Schlaglicht auf das Berlin jenseits der beliebten Kultur- und Partymeilen: In der Hauptstadt haben Tausende Menschen keine Wohnung, die steigenden Mieten verschärfen dieses Problem. Je nach Quelle und Definition ist von 3000 bis 10'000 Menschen auf der Strasse die Rede. Die Berliner Kältehilfe bietet in diesem Winter 700 Schlafplätze.

In der Bahnhofsmission, die Menschen auf der Strasse hilft, ist der Angriff auf den Obdachlosen ein grosses Thema. Gewalt gegen Berliner Obdachlose habe nicht zugenommen, sagt Leiter Dieter Puhl. «Was passiert ist, tut mir sehr leid. Aber aus meiner Sicht häuft sich das nicht.»

«Das tägliche langsame Sterben»

Einen brutalen Fall gab es Mitte November in Köln. Polizisten entdeckten nicht weit vom Hauptbahnhof einen sterbenden Obdachlosen mit brennender Kleidung. Die Obduktion ergab, dass der 29-Jährige Opfer einer Gewalttat war.

In Berlin treibt Helfer noch etwas um: Die empörte Debatte im Internet nach dem Feuer im U-Bahnhof. Für manche hat sie etwas von Scheinheiligkeit.

«Vermutlich schlafen in Berlin in der kommenden Nacht über 6000 obdachlose Menschen im Freien, nicht freiwillig», schreibt Dieter Puhl auf seiner Facebook-Seite. Es sei kalt, nass und jede Nacht sei gefährlich. «Doch das tägliche langsame Sterben dieser Menschen wird sonst ausgeblendet.» Wenn nicht gerade Weihnachten ist. (viw/sda/dpa)

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70 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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atomschlaf
26.12.2016 16:58registriert Juli 2015
Für die Migranten aus Arabien und Afrika wurden letztes Jahre auf Teufel komm raus Unterkünfte bereitgestellt.
Scheissegal, wenn Sportunterricht ausfiel, Vereine nicht trainieren konnte oder für viel Steuergeld ganze Hotels angemietet werden mussten.

Warum lässt man denn 6000 einheimische Obdachlose draussen frieren?
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fischbrot
26.12.2016 18:55registriert Juni 2014
Mir wird schlecht wenn ich dran denke, dass wir Menschen unter uns haben, die zu sowas fähig sind 😔
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Raembe
26.12.2016 18:55registriert April 2014
Findet den Mistkerl und sperrt Ihn für lange Zeit weg.
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Wo die 800'000 Auslandschweizer wohnen – und in welchen 5 Ländern KEIN EINZIGER
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