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Deutschland

Magazin Neon schleust undercover Praktikanten bei RT ein

Eingang zu den Büros von RT Deutsch in Berlin-Adlershof.
Eingang zu den Büros von RT Deutsch in Berlin-Adlershof.bild: neon

Undercover-Praktikant spioniert russischen Staatssender RT aus – und lernt einiges

12.10.2016, 14:0712.10.2016, 14:30
Kian Ramezani
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Was ist vom staatlich-russischen Auslandsender RT (ehemals Russia Today) zu halten? Für die einen ist er Putins Propaganda-Schleuder, für die anderen eine wertvolle Ergänzung in der generell Russland-kritischen Medienlandschaft des Westens. Dazwischen gibt es fast nichts.

Vor diesem Hintergrund hat Martin Schlak etwas sehr Verdankenswertes getan: Der deutsche Reporter absolvierte im Büro der deutschsprachigen Ausgabe von RT in Berlin ein dreiwöchiges Praktikum – undercover, denn Schlak ist Reporter beim Magazin «Neon». In seiner am Montag veröffentlichten Reportage beschreibt er, was er da gesehen und erlebt hat.

Auf den ersten Blick sah alles aus wie auf einer beliebigen Redaktion in Deutschland. «Wodka im Gefrierfach» habe es auf jeden Fall keinen gehabt. Ebenso wenig sei der Chef «mit entblösster Brust auf einem Bären» eingeritten. Seine Kollegen, darunter ein ehemaliger Redakteur der linken TAZ, ein ehemaliger Bundestagsmitarbeiter der Partei «Die Linke» sowie ein Soziologe und Friedensaktivist, hätten ihn nett begrüsst und willkommen geheissen.

Die von ihm beschriebene Themenauswahl einer Morgensitzung während den Olympischen Spielen in Rio entsprach hingegen ziemlich genau seinen Erwartungen: Türkei kritisiert NATO, Russland tötet syrische Terroristen, US-Frauen-Staffel verliert den Stab und darf Rennen trotzdem zu Ende laufen.

«So denken sie hier. Überall wittern sie, dass die USA privilegiert werden und die Welt sich gegen Russland verschworen hat. Sie ­triumphieren, wenn die US-Regierung einen Fehler eingestehen muss, und freuen sich, wenn die Lügenpresse vermeintlich beim Lügen erwischt wurde.»
Martin Schlak

Dann passiert die Sache mit dem syrischen Jungen Omran, dessen blutverschmiertes Gesicht im Krankenwagen um die Welt ging. Hierzu titelte RT: 

«Kontakte zu Extremisten: Wer ist der Fotograf von syrischem Jungen Omran?»
quelle: rt deutsch

Plötzlich sei nicht mehr Omran das Opfer, sondern Russland. Das «Opfer antirussischer Propaganda». Wie kommt ein fabrikneuer Krankenwagen ins zerstörte Aleppo? Und warum waren all die Kameras da? Schlak kommt ins Grübeln.

«Ich bekomme Zweifel an dem, was ich selbst für wahr halte. Wer lügt hier, und wer schreibt die Wahrheit? Ich weiss es nicht mehr. Erst später, als ich darüber nachdenke, merke ich, dass ich nun dort bin, wo Russia Today mich haben möchte.»
Martin Schlak
Martin Schlak.
Martin Schlak.bild via twitter.com/MartinSchlak

Schlak wendet sich an einen Psychologen seines Vertrauens und einen Experten für das Verhalten von Menschen in Gruppen. Der erklärt ihm, dass man abstruse Dinge behauptet, wenn zuvor alle anderen in seiner unmittelbaren Nähe das Gleiche behauptet haben.

Der «Spion» entschliesst sich zu einem Experiment. Er unterbreitet Chefredakteur Ivan Rodionov einen Themenvorschlag, der nicht ins «Beuteschema» von RT passt: Russische Söldner in Syrien, was laut Verfassung verboten wäre. Rodionov habe gelacht, das sei ein alter Hut und längst als westliche Propaganda enttarnt.

Schlak insistiert, die Recherchen seien neu und kämen von einer Kreml-kritischen russischen Nachrichtenagentur. Rodionov versprach, sich die Meldung anzusehen. Erwähnt habe er sie nie mehr.

Dafür habe Rodionov an anderer Stelle interveniert: An seinem letzten Tag – das Angebot für eine Festanstellung hatte er ausgeschlagen – wurde Schlaks Interview mit einem Abgeordneten der Partei «die Linke» gesendet. Dieser behauptete, der Bundesverfassungsschutz habe ihn jahrelang überwacht. In der Anmoderation des Beitrags wollte der Chef drei zusätzliche Worte. 

Aus «Wenn eine Partei die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet, schaltet sich der Verfassungsschutz ein» wurde so «Wenn eine Partei die freiheitlich-demokratische Grundordnung – seiner Ansicht nach – gefährdet, schaltet sich der Verfassungsschutz ein.»

«Klingt, als wähle der Verfassungsschutz willkürlich aus, wen er überwacht. Und wahrscheinlich soll es auch so klingen. Wo immer es möglich ist, wackelt Russia Today am Bild eines Landes, das rechtsstaatlich geregelt ist.»
Martin Schlak

Schlaks Fazit:

«Der Konferenztisch im ersten Stock, hier in der Redaktion in Berlin, ist nicht der Ort, an dem Lügen entstehen. Es ist der Ort, an dem Zweifel gestreut werden. Hier entsteht keine Wahrheit, hier wird Wahrheit aufgelöst.»
Martin Schlak

RT Deutsch nimmt die Infiltration durch «Neon» vordergründig gelassen und benutzt die Geschichte, um neue Praktikanten anzuwerben:

In einem Kommentar mit dem Titel «Ein Maulwurf bei RT Deutsch: NEON-Journalist spionierte die Redaktion aus» äussert sich das Medium zum Coup. Mit etwas Häme:

«Einen Link zur Reportage gibt es nicht. Neon will mit seiner Geschichte über RT offenbar Kasse machen und endlich wieder einmal einen Verkaufserfolg feiern.»
Florian Hauschild, Redaktor RT Deutsch

Und sogar ein bisschen Lob:

«Dass David einen anderen Weg der Recherche gewählt hat und sich drei Wochen lang einen direkten Einblick bei RT verschaffte, ist trotz des Vertrauensbruchs letztlich lobenswert. Da der junge Journalist auf die sonst üblichen Buzz-Wörter und auf persönliche Diffamierungsversuche verzichtet und den Kontext der restlichen Medienwelt nicht aussen vor lässt, wird die entstandene Arbeit sogar zu einer durchaus wertvollen Debattengrundlage.»
Florian Hauschild, Redaktor RT Deutsch

Aber RT wäre nicht RT, wenn der englischsprachige Dienst nicht etwas anders über die Infiltration berichten würde:

Medien
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Schlak wird sozusagen als geläuterter Vertreter der «Lügenpresse» hingestellt, der bei RT das Licht der Wahrheit erblickt habe. Vermutlich basierend auf folgender Passage (siehe oben): «Ich bekomme Zweifel an dem, was ich selbst für wahr halte. Wer lügt hier, und wer schreibt die Wahrheit? Ich weiss es nicht mehr.» Dass Schlak genau diese Zwischenerkenntnis als Beweis für die perfide Desinformation seitens RT nimmt, wird bequem ausgelassen.

Schlaks Kommentar: «Dieser Titel ist das beste Beispiel für die Arbeitsweise von RT.»

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112 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Madison Pierce
12.10.2016 16:42registriert September 2015
Propaganda in Form bewusster Falschinformation würde ich den westlichen Medien nicht unterstellen. Aber bei der Berichterstattung über die Präsidentschaftswahlen sieht man schon, dass man auf einer Seite etwas genauer hinschaut. Bei Trump gibt es Artikel über sein zahlreiches Fehlverhalten, bis hin zu "Schniefen" in der Debatte. Über den Inhalt der Mails von Clinton liest man hingegen nicht viel, dass sie Assange per Drohne umbringen lassen wollte auch nicht, Ihre Verbindungen zur Wall Street werden ebenfalls nicht gross thematisiert. Man soll aufdecken, aber auf beiden Seiten.
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MaxM
12.10.2016 15:13registriert Januar 2015
Alle Medienartikel werden von den Menschen geschrieben und all die Menschen haben halt ihren eigenen Positionen. Die Medien gehören jemandem, und wir wissen nicht, wie genau es der Redaktor mit der Unabhängig nimmt.
Ich nehme mal an, die meisten hier anwesenden, die z.B. BAZ oder - vor lange Zeit - die Weltwoche lasen bzw. immer noch lesen, haben bemerkt, wie stark der Stil und Inhalt eines Mediums mit dem Eigentümerwechsel ändern kann.
RT ist kaum unabhängig. Das erwartet kaum jemand. Man erwartet ja da genau eine andere Meinung. Was dann wahr sein soll, muss jeder für sich entscheiden.
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Mnemonic
12.10.2016 15:52registriert Mai 2015
Ein lustiger Sender. Den ganzen Tag Satire und die Macher merkens nichtmal...
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