Was ist vom staatlich-russischen Auslandsender RT (ehemals Russia Today) zu halten? Für die einen ist er Putins Propaganda-Schleuder, für die anderen eine wertvolle Ergänzung in der generell Russland-kritischen Medienlandschaft des Westens. Dazwischen gibt es fast nichts.
Vor diesem Hintergrund hat Martin Schlak etwas sehr Verdankenswertes getan: Der deutsche Reporter absolvierte im Büro der deutschsprachigen Ausgabe von RT in Berlin ein dreiwöchiges Praktikum – undercover, denn Schlak ist Reporter beim Magazin «Neon». In seiner am Montag veröffentlichten Reportage beschreibt er, was er da gesehen und erlebt hat.
Auf den ersten Blick sah alles aus wie auf einer beliebigen Redaktion in Deutschland. «Wodka im Gefrierfach» habe es auf jeden Fall keinen gehabt. Ebenso wenig sei der Chef «mit entblösster Brust auf einem Bären» eingeritten. Seine Kollegen, darunter ein ehemaliger Redakteur der linken TAZ, ein ehemaliger Bundestagsmitarbeiter der Partei «Die Linke» sowie ein Soziologe und Friedensaktivist, hätten ihn nett begrüsst und willkommen geheissen.
Die von ihm beschriebene Themenauswahl einer Morgensitzung während den Olympischen Spielen in Rio entsprach hingegen ziemlich genau seinen Erwartungen: Türkei kritisiert NATO, Russland tötet syrische Terroristen, US-Frauen-Staffel verliert den Stab und darf Rennen trotzdem zu Ende laufen.
Dann passiert die Sache mit dem syrischen Jungen Omran, dessen blutverschmiertes Gesicht im Krankenwagen um die Welt ging. Hierzu titelte RT:
Plötzlich sei nicht mehr Omran das Opfer, sondern Russland. Das «Opfer antirussischer Propaganda». Wie kommt ein fabrikneuer Krankenwagen ins zerstörte Aleppo? Und warum waren all die Kameras da? Schlak kommt ins Grübeln.
Schlak wendet sich an einen Psychologen seines Vertrauens und einen Experten für das Verhalten von Menschen in Gruppen. Der erklärt ihm, dass man abstruse Dinge behauptet, wenn zuvor alle anderen in seiner unmittelbaren Nähe das Gleiche behauptet haben.
Der «Spion» entschliesst sich zu einem Experiment. Er unterbreitet Chefredakteur Ivan Rodionov einen Themenvorschlag, der nicht ins «Beuteschema» von RT passt: Russische Söldner in Syrien, was laut Verfassung verboten wäre. Rodionov habe gelacht, das sei ein alter Hut und längst als westliche Propaganda enttarnt.
Schlak insistiert, die Recherchen seien neu und kämen von einer Kreml-kritischen russischen Nachrichtenagentur. Rodionov versprach, sich die Meldung anzusehen. Erwähnt habe er sie nie mehr.
Dafür habe Rodionov an anderer Stelle interveniert: An seinem letzten Tag – das Angebot für eine Festanstellung hatte er ausgeschlagen – wurde Schlaks Interview mit einem Abgeordneten der Partei «die Linke» gesendet. Dieser behauptete, der Bundesverfassungsschutz habe ihn jahrelang überwacht. In der Anmoderation des Beitrags wollte der Chef drei zusätzliche Worte.
Aus «Wenn eine Partei die freiheitlich-demokratische Grundordnung gefährdet, schaltet sich der Verfassungsschutz ein» wurde so «Wenn eine Partei die freiheitlich-demokratische Grundordnung – seiner Ansicht nach – gefährdet, schaltet sich der Verfassungsschutz ein.»
Schlaks Fazit:
RT Deutsch nimmt die Infiltration durch «Neon» vordergründig gelassen und benutzt die Geschichte, um neue Praktikanten anzuwerben:
Komm, spionier auch du uns aus!https://t.co/q6uL49gTP9 pic.twitter.com/gtUJ3TorYs
— RT Deutsch (@RT_Deutsch) 10. Oktober 2016
In einem Kommentar mit dem Titel «Ein Maulwurf bei RT Deutsch: NEON-Journalist spionierte die Redaktion aus» äussert sich das Medium zum Coup. Mit etwas Häme:
Und sogar ein bisschen Lob:
Aber RT wäre nicht RT, wenn der englischsprachige Dienst nicht etwas anders über die Infiltration berichten würde:
'The Spy Who loved me': Journalist poses as intern to spy on RT Deutsch... turns into mainstream media doubter https://t.co/mNjyQlhiBK pic.twitter.com/4wKKs3GDca
— RT (@RT_com) 12. Oktober 2016
Schlak wird sozusagen als geläuterter Vertreter der «Lügenpresse» hingestellt, der bei RT das Licht der Wahrheit erblickt habe. Vermutlich basierend auf folgender Passage (siehe oben): «Ich bekomme Zweifel an dem, was ich selbst für wahr halte. Wer lügt hier, und wer schreibt die Wahrheit? Ich weiss es nicht mehr.» Dass Schlak genau diese Zwischenerkenntnis als Beweis für die perfide Desinformation seitens RT nimmt, wird bequem ausgelassen.
Schlaks Kommentar: «Dieser Titel ist das beste Beispiel für die Arbeitsweise von RT.»