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Helmut Kohl: der ewige Kanzler der Einheit – eine Würdigung

epa06031816 (FILE) - German Chancellor Angela Merkel speaks to participants beside a painting of former Chancellor Helmut Kohl, during the kick-off event for the 17th Girls Day at the Chancellory in B ...
Angela Merkel neben einem Bild von Helmut Kohl.Bild: CARSTEN KOALL/EPA/KEYSTONE

Helmut Kohl: der ewige Kanzler der Einheit – eine Würdigung

16 Jahre – so lange wie bisher niemand vor und nach ihm – war Helmut Kohl deutscher Kanzler. Er polarisierte, aber er hat sich auch bleibende Verdienste erworben. Eine Würdigung.
17.06.2017, 15:37
Christoph Reichmuth aus Berlin und Dagmar Heuberger / Schweiz am Wochenende
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Politiker in Deutschland und der ganzen Welt reagierten mit Trauer und Bestürzung auf den Tod Helmut Kohls. Sie würdigten ihn als «grossen Europäer», als Vater der Deutschen Einheit und als grossen Staatsmann. Kohl starb am Freitagmorgen im Alter von 87 Jahren in seinem Haus in Oggersheim (Rheinland-Pfalz).

Öffentliche Auftritte des Mannes, der von 1982 bis 1998 16 Jahre lang deutscher Bundeskanzler war, gab es seit langer Zeit nicht mehr. Seit einem schweren Schädel-Hirn-Trauma, zugezogen nach einem Sturz, war der 1.93 Meter grosse, beleibte Pfälzer an den Rollstuhl gebunden. Das Sprechen fiel ihm schwer, die Miene wirkte versteinert. Geistig aber soll Kohl bis zuletzt sehr klar gewesen sein.

Nur wenige seiner früheren Weggefährten hatten in den letzten Jahren direkten Kontakt mit ihm. Es hiess, seine zweite Ehefrau Maike Kohl-Richter, 34 Jahre jünger als er selbst, habe den einst mächtigsten Mann in Deutschland von seinem früheren Umfeld komplett abgeschottet. Kohls erste Ehefrau Hannelore, die unter einer Lichtallergie litt, nahm sich 2001 das Leben.

Helmut Kohl - ein Best Of des Kanzlers der Einheit

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Sieg gegen Helmut Schmidt

Kohl war äusserst eng mit seiner Partei, der CDU, verbunden. Im Alter von nur 39 Jahren wurde er Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, nur gerade vier Jahre später übernahm er den Bundesvorsitz der Christdemokraten. Bei der Bundestagswahl 1976 scheiterte der promovierte Rechtswissenschafter und Historiker noch knapp am amtierenden SPD-Kanzler Helmut Schmidt. Doch im Oktober 1982, nach dem Zusammenbruch der sozialliberalen Koalition, wurde Kohl zum sechsten Kanzler der Bundesrepublik gekürt.

«Glücksfall für uns Deutsche»

Kohl sei «ein Glücksfall für uns Deutsche» gewesen, sagte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die gestern in Rom auf der Fahrt vom Flughafen Fiumicino in den Vatikan von der Todesnachricht überrascht wurde. Die in der DDR aufgewachsene Merkel hob ihre ganz persönliche Verbundenheit mit Kohls Wirken hervor: «Helmut Kohl hat auch meinen Lebensweg entscheidend verändert», sagte sie und verwies auf dessen Wirken für die Deutsche Einheit.

Tatsächlich: Die Deutsche Einheit war Kohls grösster Triumph; seine historische Leistung, die heute selbst Kritiker und Gegner anerkennen. «89 – das war eine Glanzleistung», sagte etwa sein Vorgänger, der im November 2015 verstorbene Altkanzler Helmut Schmidt (SPD). «Kohl hat an der richtigen Stelle das Richtige getan», konzediert ihm Stefan Aust, der einstige «Spiegel»-Chef – und das, obwohl Kohl sich stets geweigert hatte, dem «Spiegel» ein Interview zu geben.

In der Tat erkannte Kohl im richtigen Moment, dass sich mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 eine Chance zur Überwindung der Teilung Deutschlands öffnete. Entschlossen ergriff er das, was er – in Anlehnung an Bismarck – den «Mantelzipfel der Geschichte» nannte. Von Anfang an sah er die Zukunft eines wiedervereinigten Deutschlands nur im Rahmen eines immer engeren Zusammenschlusses der Europäischen Union. Damit gelang es ihm, den Widerstand der britischen Premierministerin Margaret Thatcher und des französischen Präsidenten François Mitterrand zu brechen. Die Zustimmung von Kreml-Chef Michail Gorbatschow erkaufte er sich mit Milliarden von D-Mark; einzig US-Präsident George Bush senior stand von Anfang an bedingungslos hinter der Wiedervereinigung.

Die Rede von Helmut Kohl am 10. November 1989 vor dem Schöneberger Rathaus, begleitet von vielen Buhrufen...

Video: © Youtube/Fernsehwelt

Der tiefe FallZehn Jahre später dann der tiefe Fall: Die CDU versinkt im Sumpf ungeklärter Spenden und schwarzer Konten. Und Kohl, der 1998 als erster deutscher Regierungschef vom Volk abgewählt worden war, weigert sich, die Namen der anonymen Spender zu nennen. Er stellt sein Ehrenwort, das er den Spendern gegeben hat, über die Interessen der Partei, ja sogar über Recht und Gesetz. Und nimmt es in Kauf, auf den Ehrenvorsitz der CDU zu verzichten. Die Frau, die damals die Ära Kohl für beendet erklärte und ihn damit vom Sockel stiess, hiess – Angela Merkel.

Verehrung und Verachtung, höchste Anerkennung und bittere Kritik lagen in der Beurteilung Kohls dicht beisammen. In der Spendenaffäre wurde ihm zum Verhängnis, was ihm beim Prozess der Wiedervereinigung genützt hatte: das «System Kohl», jenes Netzwerk aus Freunden, Kontakten und Informanten, das er nicht nur auf internationaler, sondern auch auf nationaler Ebene und innerhalb der CDU geknüpft hatte. Aber auch seine bedingungslose Loyalität, die er von anderen ebenso erwartete und einforderte, wie er sie ihnen entgegenbrachte.

Kohl geht aber nicht nur als Architekt der Deutschen Einheit, sondern auch als Motor der europäischen Integration und der Osterweiterung der EU sowie als Vater des Euro in die Geschichte ein. Ein starkes Europa sollte die Phase blutiger Konflikte in Europa nach Kohls Meinung endgültig beenden. Doch in der Schweiz stiess Kohl mit seinem Projekt des vereinigten Europas mit einer Einheitswährung auf Widerstände.

Ogi: «Die Chemie stimmte»Im April 1989 weilte der Kanzler zu einem offiziellen Arbeitsbesuch in der Schweiz. Bei den Gesprächen mit den Bundesräten Otto Stich, René Felber, Jean-Pascal Delamuraz und Adolf Ogi ging es damals auch um die Verhandlungen der Schweiz mit der EG. Adolf Ogi erinnerte sich vor einigen Jahren gegenüber dieser Zeitung an einen Mann, «der unser Land mit den verschiedenen Kulturen und den vier Landessprachen als Beispiel dafür gesehen hat, wie Europa funktionieren könnte.» Die Stimmung sei damals sehr gut gewesen, «wir haben getafelt, gelacht und Kohl hat Sprüche geklopft. Die Chemie hat gestimmt. Und Kohl hat uns sehr viel Respekt entgegengebracht», erinnert sich der Altbundesrat.

Weniger glücklich agierte der Pfälzer auf dem Gebiet der Wirtschafts-, Finanz- und auch de Innenpolitik. Vor allem in seinen letzten Amtsjahren blieben dringend notwendige Reformen in den Ansätzen stecken. Und zwar nicht nur, weil sich die sozialdemokratische Opposition vehement dagegen wehrte, sondern auch, weil der Kanzler nicht entschieden genug handelte. Sein historisches Verdienst aber bleibt über seinen Tod hinaus: die Deutsche Einheit.

(aargauerzeitung.ch)

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