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Neue Krawallnacht befürchtet – darum griff die Polizei nicht früher ein

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Mit dem Schild protestiert der Mann gegen das Verbot von Übernachtungs-Camps.Bild: FILIP SINGER/EPA/KEYSTONE

Neue Krawallnacht befürchtet – darum griff die Polizei nicht früher ein

08.07.2017, 16:2208.07.2017, 17:27
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Am letzten Tag des G20-Gipfels haben in Hamburg erneut Tausende Menschen gegen das Treffen der Wirtschaftsmächte demonstriert. Zunächst blieb es bei den Protestaktionen am Samstag laut Polizei friedlich.

Nach der zweiten heftigen Krawallnacht in Folge rechnen die Beamten allerdings erneut mit gewaltsamen Protesten. Die Gewalttäter würden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit unter die Demonstration «Grenzenlose Solidarität statt G20» mischen, erklärte Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer. 

«Es ist davon auszugehen, dass erneut kein friedlicher Protest möglich sein wird.»

Unter dem Motto «Grenzenlose Solidarität» versammelten sich am Deichtorplatz nahe dem Hauptbahnhof laut Polizei zunächst rund 15'000 Demonstranten – auf der Route wuchs der Zug bis zum frühen Nachmittag auf 22'000 Teilnehmer an. Die Veranstalter bezifferten die Zahl der Teilnehmer mit 76'000.

Merkel verurteilt Gewalt scharf
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat die schweren Krawalle in Hamburg am Rande des G20-Gipfels scharf kritisiert. «Die entfesselte Gewalt und ungehemmte Brutalität, auf die die Polizei in diesen Tagen des G20-Gipfel immer wieder getroffen ist, verurteile ich auf das Schärfste», sagte Merkel nach Abschluss des G20-Gipfels am Samstag in Hamburg.
Es gebe nicht die geringste Rechtfertigung für die «brutalen Angriffe ... auf das Leben der Polizisten», fügte sie hinzu. Wer so handle, dem gehe es nicht um politische Kritik oder um besseres Leben der Menschen auf der Welt. «Wer so handelt, der stellt sich ausserhalb unseres demokratischen Gemeinwesens», sagte sie.
«Es gibt offensichtlich Menschen, die keinerlei Interesse daran haben, dass in der Sache etwas erreicht wird», kritisierte Merkel. «Hier wurde exzellente Arbeit geleistet», lobte Merkel die Polizei. Die anderen G20-Gipfelteilnehmer hätten sie gebeten, der Polizei ausdrücklich ihren Dank zu übermitteln.
(sda/reu)

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan van Aken führte die Demonstration an. Sie richtete sich vor allem gegen Armut, Krieg und die Ursachen von Flucht. Linke Gruppen und Friedensinitiativen, aber auch Autonome und Linksextreme unterstützten sie. Die Demonstration erreichte kurz vor 16 Uhr den Millerntorplatz. Dort sollte es noch eine Abschlusskundgebung geben.

Bei der Demonstration «Hamburg zeigt Haltung», zu der bürgerliche Parteien und Kirchen aufgerufen hatten, marschierten Tausende Demonstranten mit Luftballons und Friedenstransparenten in Richtung Fischmarkt. New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio sollte am Nachmittag bei der Abschlusskundgebung sprechen.

epa06075909 Protesters march in the 'Hamburg shows attitude' demonstration during the G-20 summit in Hamburg, Germany, 08 July 2017. The G20 Summit (or G-20 or Group of Twenty) is an interna ...
Eine Aufnahme von der friedlichen Kundgebung am Samstag.Bild: CARSTEN KOALL/EPA/KEYSTONE

Läden geplündert

Die Aufräumarbeiten kamen nach den heftigen Ausschreitungen in der Nacht zum Samstag im linksalternativen Schanzenviertel schnell voran. Dort waren die Proteste eskaliert: Zunächst konnten Autonome mehrere Stunden lang an der Strasse Schulterblatt ungehindert randalieren. Ein Laden der Drogerie-Kette Budnikowsky und ein Rewe-Supermarkt wurden geplündert.

Danach ging die Polizei mit einem massiven Aufgebot und Spezialkräften gegen mehrere hundert Randalierer vor. Mit gepanzerten Fahrzeugen wurden brennende Barrikaden weggeschoben. Die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein. Im Laufe der Nacht beruhigte sich die Lage, vereinzelt kam es in den frühen Morgenstunden noch zu Flaschenwürfen auf Polizeifahrzeuge.

«G20: Eine solche Nacht darf sich in unserem Rechtsstaat nicht wiederholen!», twitterte die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach sprach von «bürgerkriegsähnlichen Zuständen». Kanzleramtschef Peter Altmaier bezeichnete die Hamburger G20-Krawalle als «Terror».

Vorwürfe an Bürgermeister Scholz

Hamburgs CDU-Oppositionschef André Trepoll warf Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und seinem rot-grünen Senat vor, bei der Einschätzung der Sicherheitslage rund um den G20-Gipfel versagt zu haben. «Wie kam es zu der Einschätzung, man könne den Gipfel mit dem Hafengeburtstag gleichsetzen?» Weshalb Scholz seine «markige Sicherheitsgarantie» für den Gipfel nicht habe halten können, müsse politisch aufgearbeitet werden.

Auch die Hamburger FDP warf Scholz vor, den Gipfel «massiv unterschätzt» zu haben. «Olaf Scholz hat Hamburg weltweit blamiert und in Verruf gebracht» erklärte die Vize-Bundesvorsitzende und Hamburger Landeschefin Katja Suding. Scholz selbst äusserte sich sehr besorgt über die schweren Ausschreitungen und forderte gewalttätige Demonstranten zum sofortigen Rückzug auf.

Ein Grossteil der Geschäfte in der Hamburger Innenstadt blieb am Samstag geschlossen, wie City-Managerin Brigitte Engler sagte. Die Geschäftsleute hätten dies mit dem Schutz der Mitarbeiter angesichts der Bilder aus der Krawallnacht begründet.

Gewaltexzess – Polizisten mit Stahlkugeln beschossen

Die Polizei griff nach eigenen Angaben bei den schweren Krawallen in der Nacht zum Samstag nicht früher ein, weil sie um das Leben ihrer Beamten fürchtete. Nach Erkenntnissen der Polizei seien auf Dächern Gehwegplatten abgelegt und Brandflaschen vorbereitet gewesen.

Beamte seien mit Stahlkugeln beschossen worden, sagte Sprecher Timo Zill. «Es ging eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben der Polizeibeamten aus. Wir wollten nicht schlecht vorbereitet in das Schanzenviertel gehen und die Räumung nicht durchbekommen.»

Die Randalierer hinterliessen eine Spur der Verwüstung: Zerstörte Velos, Mülltonnen, Steine und Trümmer lagen auf der Strasse, Fensterscheiben waren eingeschlagen. Auf dem Rollladen eines Geschäfts stand «Chaostage Hamburg».

Andreas Blechschmidt vom linksautonomen Kulturzentrum «Rote Flora» distanzierte sich von den Gewaltexzessen. «Wir haben den Eindruck gehabt, dass sich hier etwas verselbstständigt hat, dass hier eine Form von Militanz auf die Strasse getragen wurde, die sich so ein bisschen an sich selbst berauscht hat – und das finden wir politisch und inhaltlich falsch», sagte Blechschmidt dem Sender NDR.

(dsc/sda/dpa)

Hamburg im G20-Ausnahmezustand

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Hamburg im G20-Ausnahmezustand
Eine Frau klettert auf ein Einsatzfahrzeug der Polizei und wird mit Pfefferspray behandelt.
quelle: epa/epa / ronny wittek
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13 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Madison Pierce
08.07.2017 17:27registriert September 2015
Kann die Polizei verstehen. Sie war ausgerüstet für den Ordnungsdienst. Um Strassen zu sperren und vielleicht mal widerspenstige Leute bei einer Sitzblockade wegzutragen.

Sie waren nicht darauf vorbereitet, mit tödlichen Waffen angegriffen zu werden. Hätten sie eingegriffen, wäre das wie wenn sie mit Schlagstöcken zu einem Banküberfall gehen würden.

Die Politik und die Leitung der Polizei müssen sich das nächste Mal auf solche bei uns für undenkbar gehaltenen Bedrohungen einstellen. Es darf nicht sein, dass der Staat nicht für Ordnung sorgen kann.
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Ass
08.07.2017 17:23registriert Januar 2017
Man sollte langsam anfangen gegen diesen Krawalltourismus vorzugehen! Den die Ausrede", die linken Demonstranten sind schuld", greift schon lange nicht mehr und wenn nicht gehandelt wird gibt es Tote.
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