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Netflix-Doku über Amanda Knox Nick Pisa

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screenshot via youtube/Netflix US & Canada

Netflix-Doku Amanda Knox: Schuldig (und schmierig) ist der Boulevardreporter

04.10.2016, 15:3104.10.2016, 16:55
Kian Ramezani
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Die zentrale Frage beantwortet «Amanda Knox», die neue Netflix-Doku über den Mordfall Meredith Kercher, nicht: Wer hat der damals 21-jährigen britischen Austauschstudentin 2007 in Perugia die Kehle durchgeschnitten?

Dennoch ist der Film sehenswert. So erfährt man interessante Details, etwa dass die Polizei von Perugia zu Beginn des Falls den Namen «Knox» nicht richtig aussprechen konnte. Auf einem Mitschnitt des Polizeifunks wird sie als «Amanda Ka-nox» bezeichnet (im Italienischen ist der Buchstabe K selten).

Vor allem aber kommen viele wichtige Beteiligte zu Wort und schildern ihre Sicht der Dinge: Neben Amanda Knox auch Raffaele Sollecito, Staatsanwalt Giuliano Mignini – und ein Brite namens Nick Pisa, der damals als freischaffender Korrespondent für das Boulevardblatt «Daily Mail» über den Fall berichtete. Er ist der heimliche Star der Doku. Aber nicht im positiven Sinn.

Praktisch in jeder Wortmeldung (VORSICHT SPOILER) verkörpert er das perfekte Klischee des skrupellosen, zynischen und absolut pietätslosen Reporters. Dem Ziel, der erste zu sein und immer wieder mit den abenteuerlichsten Neuigkeiten aufzuwarten, ordnet er alles andere unter. Besonders irritierend erscheint, dass er ständig lacht.

«Ein Mordfall beflügelt immer die Fantasie der Menschen: Ein bisschen Intrige, ein bisschen Mysterium, wer hat es getan. Dann haben wir diese wunderschöne Stadt mitten in Italien. Der Mord war aussergewöhnlich grausam: Kehle durchgeschnitten, halbnackt, überall Blut. Was könnte man sich mehr von einer Geschichte wünschen (lacht)? Das einzige, was noch fehlte, sind die Royals und der Papst.»
Nick Pisa
Video: streamable

Pisa erinnert sich mit Stolz, dass er als Erster von der möglichen Vergewaltigung Kerchers und möglichen Folterspuren an ihrem Kinn erfuhr. Dies deutete er als Beleg für ein ausser Kontrolle geratenes Sexspiel und bescherte dem «Daily Mail» damit einen grandiosen Primeur. Seine Quellen hätten ihm bereitwillig Auskunft gegeben, weil sie mit einem britischen Journalisten sprechen konnten und sich so «auch ein bisschen wie ein Star» fühlen durften. Für ihn ist indes klar, wer der wahre Star ist:

«Wir waren vor allen anderen und unser Primeur sorgte weltweit für Schlagzeilen. Den eigenen Namen auf der Titelseite zu sehen, mit einer Geschichte, über die alle sprechen, ist einfach ein fantastischer Rausch. Ich würde fast sagen, es ist wie Sex (lacht).»
Nick Pisa
Nick Pisa im Gerichtssaal in Perugia (2011).
Nick Pisa im Gerichtssaal in Perugia (2011).screenshot via netflix

Die bedenklichsten Aussagen macht Pisa zum Schluss der Doku, als er über den Fall und die Rolle der Medien – seine Rolle – reflektiert:

«Am Ende des Tages ist die Polizei und die Staatsanwaltschaft schuld. Sie begingen schreckliche Fehler und waren absolut besessen von wilden Theorien. Ich weiss, die Leute sagen immer ‹Vorverurteilung durch die Medien›, aber ich glaube das nicht. Vielleicht, weil ich ein Journalist bin (lacht).»
Nick Pisa

Und dann dies:

«Rückblickend waren einige der Informationen, die herauskamen, völlig verrückt und komplett erfunden. Aber hey, was hätten wir denn tun sollen? Wir sind Journalisten und wir berichten, was uns gesagt wird. Es ist ja nun nicht so, dass ich sagen kann, ‹Moment mal, das möchte ich lieber unabhängig überprüfen›, weiss Gott wie, und dann kommt mir meine Konkurrenz zuvor und dann verliere ich einen Primeur. So funktioniert das nicht, auf jeden Fall nicht im Nachrichtengeschäft [bezeichnenderweise sagt er nicht «news business» sondern «news game»].»
Nick Pisa

In den Sozialen Medien muss Pisa, der inzwischen für «The Sun» arbeitet, beissende Kritik einstecken. Seinen Account hat er auf privat gestellt.

Und was sagt Nick Pisa? Gestern schrieb er in «The Sun» über die Netflix-Doku. Eine Stelle lässt aufhorchen:

«In jener Zeit, und bis heute, werde ich immer wieder wieder dasselbe gefragt.»
Nick Pisathe sun

«Was hast du da bloss gemacht?»

«Hast du nie Skrupel verspürt?»

Nein, er meint Leute, die ihn fragen, wer denn nun der Mörder ist. Schliesslich war er mittendrin und weiss wie kein anderer Bescheid. Und selbstverständlich ist er nicht um eine Experten-Einschätzung verlegen: Amanda Knox und Raffaele Sollecito waren es nicht. Aber sie wissen mehr, als sie sagen.

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