Die Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg sorgten für Schlagzeilen, die Gewaltbereitschaft und Zerstörungswut eines Teils der Demonstranten stiess auf breite Ablehnung. Als Beleg für deren Brutalität wurde häufig die Zahl von 476 Polizisten beigezogen. Diese vermeldete die Hamburger Polizei am 9. Juli in einer Pressemitteilung, einen Tag nach Abschluss des Gipfels.
Recherchen von Buzzfeed News lassen nun Zweifel an dieser Zahl aufkommen. Das Nachrichtenportal kontaktierte die Polizeibehörden aller 16 deutschen Bundesländer sowie die Bundespolizei. Die Hamburger Polizei gab als einzige angefragte Behörde keine Auskunft, da ihr keine eigenen Zahlen vorlägen. Die Rückmeldungen aus anderen Bundesländern zeigen gemäss Buzzfeed News grosse Diskrepanzen zu den von der Hamburger Polizei kommunizierten Statistik zum Gesamteinsatz.
Es finden sich mehrere Ungereimtheiten: So meldeten sich mehr als die Hälfte der Beamten, die in der Statistik auftauchen, schon während den zwei Wochen vor Beginn der Ausschreitungen verletzt. Während der «heissen Einsatzphase» wurden 231 Polizisten verletzt.
Mehr als 95 Prozent der 476 verletzt gemeldeten Beamten konnten bereits nach kurzer Behandlung vor Ort weiterarbeiten. Die Zahl der Beamten, die aufgrund ihrer Verletzung auch noch am Folgetag oder länger dienstuntauglich waren, liegt bei 21 Polizisten. Auf Anfrage wurde aus keinem Bundesland schwer verletzte Polizisten gemeldet.
Diese Erkenntnisse stehen im Widerspruch zu Aussagen des Gesamteinsatzleiters während des G20-Gipfels, Hartmut Dudde. Polizeidirektor Dudde ist bekannt als Erfinder der «Hamburger Linie», einer Praxis des harten Einschreitens der Polizei bei Demonstrationen. Von Dudde befehligte Polizeieinsätze gegen Demonstrationen wurden gerichtlich mehrfach als rechtswidrig beurteilt.
Auf der Abschluss-Pressekonferenz erweckte er einen ganz mit Bezug auf die 476 gemeldeten Verletzungen einen anderen Eindruck: «Darunter Gesichtstreffer durch Pyrotechnik, Fahrrad von der Brücke geworfen, Gehirnerschütterung, mit Steinen beworfen, Flaschenbewurf, Splitter unterm Visier.»
In der Verletzten-Statistik werden auch Beamte mitgezählt, die wegen Dehydrierung kurzzeitig nicht einsatzfähig waren. Alleine am Freitag, dem ersten Tag des Gipfels, gab es mehrere Dutzend solcher Fälle. Rafael Behr, Professor an der Akademie der Polizei in Hamburg, kritisierte gegenüber Buzzfeed News: «Die Verletzten-Zahl muss dringend relativiert und eingeordnet werden». (cbe)