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Eurozone an Griechenland: «Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt»

Land zu verscherbeln: Souvenirstand in Athen.
Land zu verscherbeln: Souvenirstand in Athen.Bild: Emilio Morenatti/AP/KEYSTONE

Eurozone an Griechenland: «Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt»

Die jüngste Eskalation in der Griechenland-Krise hat einen Deal produziert, den niemand will: Die Griechen wollen nicht sparen, die Euroländer nicht zahlen. Europa ist schizophren geworden.
18.07.2015, 16:0618.07.2015, 20:27
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Die griechischen Staatsschulden belaufen sich derzeit auf rund 317 Milliarden Euro.

Mit dem dritten Rettungspaket dürfte die Gesamtsumme der Hilfsgelder für Griechenland auf über 300 Milliarden Euro ansteigen.

Mir ist klar, dass dies eine Milchbüechli-Rechnung ist (sorry, ich bin kein Ökonom – Ökonomie ist ein griechisches Wort). Die beiden Beträge lassen dennoch nur einen Schluss zu: Seit dem Ausbruch der Schuldenkrise vor fünf Jahren ist so ziemlich alles gründlich schief gelaufen. 

Es ist ein Wahnsinn ohne Methode, und er nimmt kein Ende. Das zeigt der «Durchbruch» am Ende des letzten Verhandlungsmarathons (ein griechisches Wort) am Montagmorgen beispielhaft. Die Regierungschefs der Eurozone bemühten sich gar nicht erst, die miese Stimmung in Brüssel diplomatisch schönzureden. Die meisten Euroländer wollten den Grexit, den Rauswurf der Griechen. Diese aber hatten mit Frankreich und Italien zwei mächtige Verbündete.

Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras äussert sich zum Abkommen, das er gar nicht wollte.
Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras äussert sich zum Abkommen, das er gar nicht wollte.Bild: Francois Walschaerts/AP/KEYSTONE

So resultierte ein Abkommen, das eigentlich niemand will. Die Griechen wollen nicht länger sparen, die Euroländer nicht zahlen. Trotzdem deutet alles darauf hin, dass der Deal abgesegnet und ein drittes Hilfspaket aufgegleist wird. Die Griechen müssen dafür harte Auflagen akzeptieren, sie werden quasi unter Vormundschaft gestellt. «Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt», lautete die Botschaft der Eurozone in Anlehnung an Goethes schauerliche Ballade «Erlkönig».

Perfekte Voraussetzungen für eine glorreiche Zukunft (Sarkasmus – ein griechisches Wort).

Europa ist schizophren geworden, angefangen bei den Griechen (Schizophrenie ist ein griechisches Wort). Sie hätten am liebsten alles: Den Euro, ein Ende der «Spar-Folter» und einen Schuldenschnitt – also den Fünfer, das Weggli und den Schoggistengel dazu. Vor zwei Wochen stimmten sie an der Urne mit 61 Prozent gegen die Sparauflagen der Gläubiger. Jetzt waren sie laut einer Umfrage zu 70 Prozent für die am Montag beschlossenen, viel härteren Massnahmen

Demo für einen Schuldenschnitt am Donnerstag vor dem Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt.
Demo für einen Schuldenschnitt am Donnerstag vor dem Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt.Bild: KAI PFAFFENBACH/REUTERS

Die Euroländer sind kaum besser. Nur mühsam können sie sich zur Einsicht durchringen, dass Griechenland seine Schuldenlast nicht mehr tragen kann. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat dies erkannt, er verlangt in einem diese Woche veröffentlichten Bericht Massnahmen, «die viel weiter gehen, als Europa bislang vorgesehen hat». Die Eurozone aber, angeführt von Deutschland, lehnt einen Schuldenschnitt aus formaljuristischen Gründen kategorisch ab.

Ein viertes Hilfspaket?

Also wird weitergewurstelt, die Krise verwaltet statt gelöst. Man hofft, dass die Griechen ihre Schulden irgendwann zurückzahlen und endlich ihren dysfunktionalen Staat reformieren werden. Vielleicht klappt es. Die Vergangenheit mahnt zu Skepsis (ein griechisches Wort). Der ehemalige deutsche Finanzminister Peer Steinbrück spricht bereits von einem vierten Hilfspaket. Viele halten einen Grexit für unvermeidlich, allen voran Steinbrücks Nachfolger Wolfgang Schäuble.

Seine Argumentation hat eine gewisse Logik (ein griechisches Wort): Ausserhalb der Eurozone könne man den Griechen einen grossen Teil ihrer Schulden erlassen, so Schäuble. Nach einigen Jahren wäre ein Wiedereintritt möglich. Namhafte deutsche Ökonomen vertreten seit langem die Überzeugung, mit einem Grexit und einer neuen, stark abgewerteten Währung würde sich die griechische Wirtschaft nach einer Übergangsphase bald erholen.

Touristen auf der Akropolis: Schon in den letzten Jahren verzeichnete Griechenland einen Besucherrekord.
Touristen auf der Akropolis: Schon in den letzten Jahren verzeichnete Griechenland einen Besucherrekord.Bild: Daniel Ochoa de Olza/AP/KEYSTONE

Wie realitätsfern solche Szenarien sind, schildert ein Kommentar auf der Website des deutschen Fernsehsenders n-tv: Die Vorstellung «Raus aus dem Euro und alles wird gut» sei ein Mythos (ein griechisches Wort). Griechenland habe kaum Produkte, die es dem Ausland verkaufen könne. Ausser Olivenöl und Schafskäse. Doch von Feta wird die Handelsbilanz nicht fett. Vermutlich kommen mehr Touristen, wenn das Land massiv billiger wird. Doch bereits in den letzten Jahren konnte Griechenland Besucherrekorde verzeichnen.

Bestenfalls ein Strohfeuer

Mit einer deutlich schwächeren Währung sinken zudem die Einkommen der Griechen. Doch das Land importiert viele wichtige Produkte wie Lebensmittel, Medikamente oder Öl, die schlagartig teurer würden. Soziale Unruhen sind programmiert. Und sollte ein Grexit zu einem Schuldenerlass führen, dürfte der Reformdruck sinken. «In ein paar Jahren wäre Hellas dann wieder da, wo es heute ist. Ein Währungscrash wird nicht dafür sorgen, dass die Griechen aufhören, über ihren Verhältnisse zu leben. Er würde bestenfalls ein Strohfeuer entfachen», so das Fazit von n-tv.

Ein Grexit dürfte Griechenland nicht in eine blühende Landschaft verwandeln, sondern ins Chaos (ein griechisches Wort) führen. Europa verschliesst sich dieser Einsicht und klammert sich an das Prinzip Hoffnung. Dabei sollte man sich dringend damit beschäftigen, wie ein solches Debakel künftig vermieden und die Eurozone krisenfester gemacht werden kann. Frankreichs Präsident François Hollande hat sich diese Woche für eine «europäische Wirtschaftsregierung» und ein «Budget der Eurozone» stark gemacht.

Verwalterin des Stillstands: Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Verwalterin des Stillstands: Bundeskanzlerin Angela Merkel.Bild: Getty Images Europe

Ohne Angela Merkel, die mächtigste Frau Europas, lässt sich das nicht machen. Und das stimmt skeptisch. «Mutti» pflegt lieber zu reagieren, als zu agieren. Ihr Regierungsstil basiert auf zwei Säulen: Die politische Mitte besetzen und den Stillstand verwalten. Den Deutschen gefällt das, sie mögen keine Experimente, darum ist die Kanzlerin populär. Und deshalb will niemand hören, dass der deutsche Exportwahn so wenig nachhaltig ist wie das griechische Leben auf Pump.

Eine durchlässigere Union

So nützt die Krise kurzfristig vor allem den radikalen Parteien. Am Ende ist das europäische Einigungsprojekt deswegen noch lange nicht. Vielleicht braucht es eine Generation neuer Politiker (ein griechisches Wort), die fähig sind, nationale Scheuklappen abzulegen. Vielleicht wird die Europäische Union durchlässiger gemacht, mit einem «harten Kern» von Ländern mit vertiefter Integration und einem Umkreis mit Staaten, die sich nur bedingt anbinden. Dort könnte die Schweiz Platz finden.

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Das ist Zukunftsmusik. Wohin der Weg Griechenlands führen wird, wissen die Götter. In Goethes «Erlkönig» nahm die Geschichte kein gutes Ende: 

Dem Vater grauset’s; er reitet geschwind, 
Er hält in Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.

Dabei sollte man eines nicht vergessen: Europa ist auch ein griechisches Wort.

Auf Alexis Tsipras blickt ganz Europa – und so blickt er zurück

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Auf Alexis Tsipras blickt ganz Europa – und so blickt er zurück
Auf ihn blickt ganz Europa: Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras steht unter enormem Druck von aussen und von innen. Wie er damit umgeht, zeigen die Bilder von seinem Gesicht während der Debatte im griechischen Parlament in der Nacht auf den 16. Juli 2015.
quelle: ap/ap / petros karadjias
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3 Kommentare
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Karl33
18.07.2015 17:46registriert April 2015
Man darf nicht vergessen, dass die Mehrheit der Gläubiger mal private Banken waren. Bevor die Schulden durch Verstaatlichung (getreu dem Leitsatz: Gewinne privatisieren, Schulden verstattlichen) den europäischen Bürgern auferlegt wurden. Die Banken hätten die Griechenlanddarlehen locker abschreiben können (gut, hätte dann keine Mia-Boni gegeben für ein paar Jahre, und keine Dividenden für die Aktionäre). Jetzt wird halt der Bürger der EU-Staaten die Abschreibungen bezahlen - clever gemacht von der Grossfinanz mit besten Verbindungen nach Brüssel, Frankfurt und Berlin.
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