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Jetzt muss David Cameron das EU-Referendum liefern – Grossbritannien soll nicht zu einer «grossen Schweiz» verkommen

Der britische Premierminister David Cameron hält seine Siegensansprache (08.05.2015)
Der britische Premierminister David Cameron hält seine Siegensansprache (08.05.2015)Bild: Alastair Grant/AP/KEYSTONE

Jetzt muss David Cameron das EU-Referendum liefern – Grossbritannien soll nicht zu einer «grossen Schweiz» verkommen

08.05.2015, 20:0809.05.2015, 09:43
Kian Ramezani
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Mit den Wahlversprechen ist es so eine Sache, bekanntlich werden längst nicht alle eingehalten. Aber wenn es der Wahlsieger im Vorfeld als «in Stein gemeisselt» bezeichnet hat? So beschrieb David Cameron einst sein Versprechen, bis spätestens 2017 ein Referendum über einen «Brexit» abzuhalten, den Austritt Grossbritanniens aus der EU. Einzige Bedingung: Wiederwahl 2015.

Die ist dem britischen Premierminister mit einem glänzenden Resultat gelungen. Da er nicht einmal mehr auf die Unterstützung des EU-freundlichen Koaltionspartners der Liberal Democrats angewiesen ist, gibt es nun keinen Zweifel mehr: Die Schicksalsabstimmung wird kommen. «Wir werden unser Versprechen halten und dieses EU-Referendum abhalten», bekräftigte Cameron heute in seiner Siegesansprache.

Das Versprechen hatte 2013 nicht zuletzt taktische Gründe. Die EU-kritische UKIP-Partei und der rechte Flügel seiner eigenen Partei bedrängten den Premier in der Europa-Frage. Indem er sich auf das Referendum und einen konkreten Fahrplan festlegte, nahm er seinen Kritikern den Wind aus den Segeln. Die Rechnung ist aufgegangen: UKIP hat einen einzigen Sitz erobert – und der geht nicht einmal an Parteichef Nigel Farage. Auch parteiinterne Anriffe von den Hinterbänken muss Cameron nach diesem Erfolg keine mehr fürchten.

Glaubst du, die Briten votieren für den EU-Austritt?

Das Referendum als reines Wahlkampfmanöver abzutun, wäre allerdings verfehlt. Weite Teile der britischen Öffentlichkeit sind EU- und generell Europa-kritisch. Die Bezeichnung «Europe» ist im britischen Sprachgebrauch gleichbedeutend mit dem Kontinent, zu dem man sich – und damit auch zu Europa – nicht dazuzählt. Umfragen zeigen, dass die Öffentlichkeit in der Frage gespalten ist. Sowohl Annahme als auch Ablehnung erscheinen als reelle Szenarien.

Der alte und neue Premier selbst sendet in der Frage unterschiedliche Signale aus: Grundsätzlich will er vor dem Referendum Kompetenzen aus Brüssel zurück nach London bringen, vor allem im freien Personenverkehr. Gelingt das, will er für einen Verbleib Grossbritanniens in der EU kämpfen. Den Brexit bezeichnet er als schlechtes Szenario für sein Land. Der gemeinsame Binnenmarkt sei wichtig und bei dessen Weiterentwicklung müsse man mitentscheiden können. In einem Interview mit dem «Telegraph» malte er in diesem Zusammenhang explizit das Schreckensgespenst Schweiz an die Wand:

«Am Schluss dreht sich alles um diese eine Frage: Welche Nationen werden zu den Gewinnern des 21. Jahrunderts gehören? Die Vorstellung, Grossbritannien solle sich zurückziehen und eine Art grosse Schweiz werden, wäre eine völlige Absage an unsere nationalen Interessen.»

In Brüssel stösst Cameron mit seinen Forderungen bislang auf taube Ohren. «Die vier Freiheiten sind nicht verhandelbar», bekräftigte der Chefsprecher der EU-Kommission, Margaritis Schinas, am Freitag mit Hinweis auf den freien Verkehr von Personen, Dienstleistungen, Waren und Kapital im EU-Binnenmarkt. Ohnehin geniessen die Briten bereits zwei dicke Extrawürste: Sie machen weder bei der Einheitswährung Euro noch bei der gemeinsamen Schengen-Aussengrenze mit.

Beide Szenarien – Austritt und neue Ausnahmeregelen für die Briten – bergen Zerfall-Potential für die EU. Gibt Brüssel nach, könnte das auch bei anderen Mitgliedsstaaten Gelüste auslösen. Ob die Union auf der anderen Seite den Austritt ihrer zweitgrössten Volkswirtschaft verkraften kann, ist ebenfalls fraglich.

Das «einfachste» Szenario wäre wohl, die EU bliebe hart und die Briten votierten trotzdem für einen Verbleib. Cameron hat angedeutet, dass er im Fall einer Verweigerungshaltung seitens der EU im Abstimmungskampf nicht tatenlos bleiben werde. Das bedeutet wohl, dass er auch einen Wechsel ins Lager der Brexit-Befürworter nicht ausschliesst. Ob eine Mehrheit der Briten ihrer Regierung in einer solchen Schicksalsfrage die Gefolgschaft verwehrt? Man wird es sehen, bis spätestens 31. Dezember 2017.

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