International
Interview

Christian Wulff im Interview

epa04057068 Former German President Christian Wulff stands in the regional court in Hanover, Germany, 06 February 2014. Wulff, who is seeking to be fully acquitted, stands accused of accepting favours ...
Der ehemalige Bundespräsident Deutschlands: Christian WulffBild: EPA/dpa Pool
Interview

Deutschlands Ex-Bundespräsident Wulff: «Der Populismus ignoriert Fakten»

Der ehemalige deutsche Bundespräsident sagt, ob er auch heute noch sagen würde, der Islam gehöre zu Deutschland – und wo die Schweiz als Vorbild für Europa dienen könnte.
31.10.2016, 08:4431.10.2016, 10:10
Christian Dorer, Samuel Schumacher
Mehr «International»

Eine Stunde ist für das Interview mit dem ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff vorgesehen. Wulff hatte ein schwieriges Verhältnis zu Journalisten. Wir merken nichts davon, im Gegenteil. Er ist ein offener, überlegter Gesprächspartner. Er habe so viel erlebt, dass ihn keine Frage mehr umhaue, sagt er.

2010 sorgte eine Aussage von Ihnen für Aufsehen: «Der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.» Würden Sie diesen Satz heute noch sagen?
Christian Wulff: Ich halte ihn schlicht für zutreffend. Die 3 bis 4 Millionen Muslime, die in Deutschland leben, und die 14 Millionen in Europa gehören dazu, sie sind Teil unserer Gesellschaften – mit ihrer Religion, ihren Moscheen und ihrem Religionsunterricht. Es ist das Ergebnis der Aufklärung, dass Religion Privatsache ist und der Staat Religionsfreiheit garantiert.

«Für mich ist jener Muslim ein Vorbild, der bei den Attentaten in Paris jüdischen Kunden in einem jüdischen Lebensmittelmarkt geholfen und gesagt hat: ‹Wir Muslime, Christen und Juden sitzen in einem Boot›.»
Christian Wulff

Viele Menschen fürchten, dass unsere christlichen Werte unterwandert werden.
Brisant ist das Thema wegen des «IS» und des islamischen Fundamentalismus. Der muss von uns allen aufs Schärfste bekämpft werden, von Christen, Juden, Muslimen, Atheisten und Humanisten gemeinsam. Für mich ist jener Muslim ein Vorbild, der bei den Attentaten in Paris jüdischen Kunden in einem jüdischen Lebensmittelmarkt geholfen und gesagt hat: «Wir Muslime, Christen und Juden sitzen in einem Boot.» Wir dürfen keine falschen Grenzziehungen machen zwischen Christen hier und Muslimen dort. Viele Muslime in Deutschland sind zum Beispiel in der Bundeswehr, der Polizei, der Verwaltung oder in der Justiz bestens integriert. Oder denken Sie an unsere beiden Nationalmannschaften. Die wären ohne Muslime niemals so erfolgreich. Deutschland wäre ohne Mezut Özil, Shkodran Mustafi oder Sami Khedira in Brasilien vermutlich nicht Weltmeister geworden.

Wir sind es auch mit muslimischer Unterstützung nicht geworden.
Die Schweiz hatte sicher irgendwie eine Schwächephase … Aber nur mit Ur-Schweizern wäre vermutlich bereits die Qualifikation zur EM verpasst worden.

Wo aber ziehen Sie die Grenze? Welche Teile ihres Glaubens sollen Muslime bei uns ausleben dürfen?
Beliebiges Multi-Kulti funktioniert nicht. Unsere Gesetze und Regeln gelten für alle – die Gleichheit von Mann und Frau, die Presse- und Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit. Noch vor 150 Jahren hat Papst Pius IX. behauptet, Kirche und Staat seien nicht zu trennen, das Weltliche ginge nicht dem Kirchlichen vor. Daran sehen wir ja: Auch die katholische Kirche hat einst fundamentalistische Positionen vertreten und einen langen Weg zurückgelegt. Diese Entwicklung durchläuft heute der Islam.

Was halten Sie von einem Burka-Verbot?
In unserer europäischen Kultur zeigt man sein Gesicht. Deswegen gilt in Deutschland bei Demonstrationen ein Vermummungsverbot. Und deswegen habe ich ein Problem mit der Burka und lehne sie ab.

Sie sind also für ein Verbot?
Ich bin gegen staatlichen Interventionismus. Das gilt für Burkas und natürlich erst recht für Minarette. Und ich sehe verfassungsrechtliche Bedenken, wenn der Staat sich in Bekleidungsvorschriften vorwagt. Ich erwarte aber von Gästen in Europa, dass sie sich in unsere Art, zu leben, hineinversetzen. Europäische Frauen tragen bei einem Besuch in Saudi-Arabien deshalb ein Kopftuch.

«Das Problem ist eher nicht zu viel Religion bei den Muslimen, sondern eher zu wenig Religion bei uns.»
Christian Wulff

Sie haben kürzlich gesagt, jeder Bürger sollte die Bibel kennen. Gilt das auch für Muslime?
Die heftige Debatte um Muslime hat auch damit zu tun, dass unsere eigene Verwurzelung im Christentum nachgelassen hat. Es wäre gut, wenn wir christlichen Religionsunterricht wieder ernster nehmen würden. Das Problem ist eher nicht zu viel Religion bei den Muslimen, sondern eher zu wenig Religion bei uns.

Islam
AbonnierenAbonnieren

Sie haben den früheren türkischen Präsidenten Gül einst als Freund bezeichnet. Sind Sie auch mit Erdogan befreundet
Abdullah Gül ist mein guter Freund. Erdogan und ich kennen uns, aber wir sind keine Freunde. Ich beobachte manche Positionierung sehr sorgenvoll. Wohin entwickelt sich die Türkei bis zum Jahr 2023? Dann wird es genau 100 Jahre her sein, dass Atatürk die Republik Türkei begründet hat. Wie viel Atatürk wird 2023 in der Türkei noch vorhanden sein? Er hatte sich für die Trennung von Kirche und Staat eingesetzt, für die Demokratisierung, für die Heranführung an Europa. Ich frage mich, ob sich die Türkei nicht allmählich von diesem Weg verabschiedet. Das ist auch deshalb bedauerlich, weil die Türkei den Beweis führen könnte, dass ein muslimisches Land und Demokratie und Pluralismus miteinander vereinbar sind.

Die Türkei ist wichtig für Europa, weil sie darüber entscheidet, wie viele Flüchtlinge kommen.
Die Türkei wird für Europa dieselbe Rolle einnehmen müssen wie Mexiko für Amerika. Deswegen sind die Grenzen der Türkei für Europa von ganz grosser Wichtigkeit. Es braucht ein gemeinsames Vorgehen. Trotz dieser Interessen darf Europa die innere Entwicklung der Türkei natürlich nicht ausblenden.

In der Schweiz stellen wir fest, dass sehr viele Flüchtlinge nach Deutschland weiterreisen wollen. Waren der Ausruf der «Willkommenskultur» und das Selfie von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Flüchtlingen ein Fehler?
Sie hat das Selfie ja nicht selber gemacht und verbreitet …

A migrant takes a selfie with German Chancellor Angela Merkel outside a refugee camp near the Federal Office for Migration and Refugees after registration at Berlin's Spandau district, Germany in ...
Merkel posiert für Selfies mit syrischen Flüchtlingen. Bild: FABRIZIO BENSCH/REUTERS

… aber sie hat mit Flüchtlingen posiert.
Die Entscheidung, Flüchtlinge aufzunehmen, war eine humanitäre, um Menschen in Not, Familien mit Kindern zu helfen. Es war eine Entscheidung für die Sicherung der Aussengrenzen Europas und gegen die Errichtung von Innengrenzen in Europa. Andererseits sollte das damals kein dauerhaftes Signal in alle Welt sein. Es ist aber offenbar so angekommen. Jetzt sind wir auf dem richtigen Weg: Wir gewähren Flüchtlingen auf Zeit den Schutz, den sie brauchen – in der Erwartung, dass viele später in ihre Länder zurückkehren, um diese wieder aufzubauen.

«Papa, werden denn bei uns die Lebensmittel reichen?»

Diese «Willkommenskultur» hat sich in den Köpfen der Menschen festgebrannt und dazu geführt, dass Rechtsparteien wie die Alternative für Deutschland (AfD) Auftrieb erhalten.
Das liegt daran, dass einige die Situation krass überzeichnen. Der Philosoph Peter Sloterdijk beispielsweise hat gesagt, Deutschland habe sich der «Überrollung» hingegeben. Als mein achtjähriger Sohn im Fernsehen einen Beitrag über die Flüchtlingsströme gesehen hat, fragte er mich: Papa, werden denn bei uns die Lebensmittel reichen? Dann habe ich ihm gesagt: Schau mal, ihr seid 500 Kinder an der Grundschule. Wenn da 3 dazukommen, dann wird das zu bewältigen sein. Er hat es verstanden. Und wenn wir 500 Millionen Europäer sind und dann kommen 3 Millionen teilweise auf Zeit dazu, dann ist das bei gemeinsamer Kraftanstrengung verkraftbar. Ich war in den Flüchtlingssiedlungen in Jordanien: Dort gibt es auf 4.5 Millionen Jordanier 1.1 Millionen Flüchtlinge – und sie bewältigen das.

Wieso haben dann so viele Menschen bei uns Angst vor Flüchtlingen?
Es gibt eine Sehnsucht nach Überschaubarkeit und das Gefühl: «Früher war alles besser.» Das geht aber an den Tatsachen vorbei: Früher war das meiste sicher nicht besser. Wir sind historisch gesehen in einer Top-Verfassung, wir fühlen uns aber miserabel. Der Populismus ignoriert Fakten und setzt voll auf diese Emotionen. Um uns herum hingegen passieren derzeit viele tatsächlich bedrohliche Entwicklungen – in Russland, in der Türkei, in Afrika. Eine Vielzahl von Problemen klopft wirklich an unsere Haustüren.

Migration
AbonnierenAbonnieren

Also ist die Angst doch berechtigt?
Wir müssen den Mut haben, zu sagen, dass wir in Deutschland und der Schweiz Profiteure eben der Globalisierung sind, die manche dieser Probleme mitverursacht hat. Ich kann mir im Übrigen nicht vorstellen, dass in der Schweiz alles noch wie gewohnt finanziert wäre und funktionieren würde, wenn hier statt 25 plötzlich nur noch 15 Prozent Ausländer lebten.

Kürzlich lief der halbdokumentarische Film «Er ist wieder da» in den Kinos. Darin reist ein als Hitler verkleideter Schauspieler durch Deutschland und stösst überall auf Zustimmung und Begeisterung. Macht Ihnen das Angst?
Wirklich Angst macht mir, dass das kollektive Gedächtnis des 20. Jahrhunderts langsam verloren geht. Wer 1993 geboren ist wie meine Tochter, der kennt nur Einheit, Frieden, Freiheit und Wohlstand. Der kennt keine Teilung Europas, keinen Kommunismus, keinen Kampf um Freiheitsrechte. Es ist aber unsere Aufgabe als Eltern, der nächsten Generation deutlich zu machen, dass alleine die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zwei Weltkriege und den Holocaust beinhaltet hat und dass Freiheit, Einheit und Demokratie erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts allmählich errungen wurden. Die stabile Zeit seit 1990 ist nur ein Wimpernschlag in der europäischen Geschichte. Ohne Garantie für die Zukunft, dass es so bleibt.

Wer trägt die Schuld am Verlust dieses Gedächtnisses?
Mir fehlt es bei vielen an Engagement für die Parlamente, in den Parteien, den Medien, für diese Demokratie einzustehen und zu erkennen, dass sie eben nicht nur von aussen durch Terror und «IS», sondern auch von innen bedroht ist. Nämlich durch eine gewisse Beliebigkeit und Behäbigkeit. Demokratie ist aber nicht einfach da. Und sie schlägt nicht Alarm, bevor sie geht – sie ist dann einfach weg.

Haben CDU und CSU den Aufstieg der AfD also selber verschuldet?
Viele, die die AfD unterstützen, wollen der Demokratie einen Denkzettel verpassen. Ich finde aber, dass eine Wahl immer für etwas erfolgen sollte, nicht nur dagegen.

Kennen Sie AfD-Politiker persönlich?
Ja – und was ich feststelle: Viele von ihnen umgeben sich nur noch mit ihresgleichen und bestätigen sich gegenseitig. Sie haben keine muslimischen Freunde, keine positiven Erlebnisse mit Ausländern. Es ist ja auffällig, dass die AfD dort am meisten Zustimmung erhält, wo es keine Ausländer gibt, dass dort am meisten gegen die Islamisierung Deutschlands demonstriert wird, wo es kaum Muslime gibt. Da ist viel an selbstkreierter Wirklichkeit mit im Spiel.

Mit selbstkreierten Wirklichkeiten hat es Donald Trump in den USA weit gebracht. Wie gefährlich wäre er als Präsident für Europa?
Ich treffe viele teils heimliche Trump-Verehrer auch in der Schweiz. Viele sagen, der mische endlich mal alles auf. Die Welt ist unübersichtlicher geworden. Da liegt es nahe, dass Erfolg hat, wer sagt: Denken wir zuerst an uns, rette sich, wer kann. Solche Slogans verfangen, tun aber der Welt insgesamt nicht gut, und langfristig auch den Einzelnen nicht. Die Slogans verfangen aber auch deshalb, weil – wie wir erkennen müssen – mehr Wohlstand nicht automatisch dazu führt, dass es jedem Einzelnen besser geht und dass wir deshalb innerhalb der Staaten umverteilen müssen. Die polnische Regierung zum Beispiel schöpft Konzerngewinne ab und hat das Kindergeld um 150 Euro erhöht. Das ist eine Reaktion auf die Herausforderung der Globalisierung – und ein Grund, weshalb die Regierung bei den Polen so gut ankommt.

Diese US-Promis unterstützen Trump öffentlich

1 / 35
Prominente Trump-Unterstützer
Skandalnudel Tila Tequila: «Ich bin ein Riesenfan von Donald Trump und du solltest es auch sein».
quelle: getty images south america / kevin winter
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Wie sollen Regierungen auf die Globalisierung reagieren – abgesehen von der Erhöhung der Kindergelder?
Die nationale Identität muss wieder wichtiger werden. Damit meine ich natürlich nicht Nationalismus, sondern nationalen Patriotismus, einen Stolz auf die eigene Geschichte. Die Demokratie in der Schweiz ist derart stabil, weil sie eine Vielfalt in den Kantonen zulässt. Schweizer können sich an vielen Entscheidungen beteiligen. Wenn man dadurch selbst zum Entscheidungsträger wird, ist der Unmut gegenüber «denen da oben» geringer. Auf diese Errungenschaften sollte die Schweiz stolz sein. Internationale Eingliederung braucht es dagegen auf jeden Fall bei Themen, die national nicht lösbar sind: Terrorbekämpfung, Klimaschutz, Währungspolitik.

Sollen die einzelnen Länder auch die Zuwanderung wieder steuern können?
Ich glaube, dass uns diese Rosinenpickerei nicht weiterbringt. Das führt uns zu vielen bilateralen Verträgen, aber nicht zu mehr gemeinsamen Bündnissen, und zu neuen Grenzen innerhalb Europas.

Was heisst das für die Schweiz?
Wenn die Schweiz mit der EU eine Vereinbarung trifft, wie die Masseneinwanderungsinitiative umgesetzt wird, und damit in einer nach meiner Überzeugung erforderlichen neuen Abstimmung zum Beispiel 2017 eine Mehrheit findet, dann könnte das sogar ein Vorbild für Grossbritannien sein. Dann könnte auch Grossbritannien zum Beispiel 2019 ein neues Votum der Bevölkerung herbeiführen. Jetzt sind dort ja vor allem junge Leute enttäuscht, die sich ein vereintes Europa wünschen.

Genau das führt zum Frust über «die da oben»: dass man so lange abstimmen lässt, bis das Resultat genehm ist.
Darum geht es gar nicht. Es geht darum, wie es miteinander weitergehen kann. Und vergessen wir bitte nicht: Der Brexit war ja wirklich knapp und geprägt von populistischen Unwahrheiten.

Welche Rolle spielen da die Medien?
Qualitativer Journalismus geht uns immer mehr verloren, weil im Netz kostenlos Nachrichten auch absurder Art verbreitet werden. Die Bedeutung der Tageszeitung, wo eine Redaktion das Weltgeschehen aufbereitet, nimmt ab. Die junge Generation setzt auf Facebook und Twitter. Und die sind halt auf Klicks ausgelegt. Algorithmen sorgen dafür, dass die Leute bombardiert werden mit dem, was sie interessiert, dass sie aber gleichzeitig freigestellt werden von jenen Themen, die sie auch interessieren sollten – und damit letztlich auch davon, die eigene Meinung zu hinterfragen.

«Es besteht die Gefahr, dass man immer mehr in Echokammern lebt, in Räumen, in denen man sich mit seinesgleichen umgibt und die eigene Meinung hundertfach bestätigt erhält.»

Was ist schlimm daran, wenn Leute diejenigen Meldungen erhalten, für die sie sich interessieren?
Das führt zu einer Zwei-Klassen-Gesellschaft zwischen jenen, die sich in den Zeitungen informieren, und jenen, die sich im Netz nur von Dingen berieseln lassen, die Klicks generieren. Einordnung wird dann weniger wichtig, Hass und Zorn im Netz nehmen zu. Hass aber tötet auf Dauer. Wenn man daran denkt, dass in Grossbritannien kürzlich eine Unterhausabgeordnete auf offener Strasse erschossen wurde oder dass der Attentäter von München gezielt den fünften Jahrestag des Anschlags von Breivik abwartete, dann bestätigt das meine These. Dieser Hass im Netz zerfrisst unsere Demokratie.

Sie halten soziale Medien für gefährlich?
Ich sehe natürlich auch die positiven Aspekte: dass man jeden auf der Welt erreicht, dass die Oma mit den Enkeln kommunizieren kann, wo immer die grad sind. Und gerade wo Menschen in Unfreiheit leben, kann das Netz ein sehr wichtiges Fenster zur Welt sein. Aber ich sehe auch die kritische Seite: Viele Länder kontrollieren nämlich heute ihre Bürger im Netz, durchsuchen Accounts nach gewissen Stichworten und lokalisieren vermeintliche Systemfeinde. Daneben besteht die Gefahr, dass man immer mehr in Echokammern lebt, in Räumen, in denen man sich mit seinesgleichen umgibt und die eigene Meinung hundertfach bestätigt erhält. Rechthaberei und Besserwisserei greifen da um sich.

Das ist ein Punkt, den Sie vor zwei Jahren den traditionellen Medien vorgeworfen haben, die Sie zum Rücktritt aufgefordert hatten. Im Interview mit dem «Spiegel» sprachen Sie von der «Verrohung des Diskurses». Sind die Medien zu kritisch?
In der Schweiz dominieren Sachlichkeit, Differenziertheit und Verhältnismässigkeit. Wenn ich mir anschaue, wie Schweizer Medien über meinen Fall berichtet haben, dann war das immer differenziert. Wenn man in Deutschland auch so berichtet hätte, dann wäre mein Fall anders verlaufen. Aber in Deutschland gibt es eine starke Hysterie, einen starken Herdentrieb, dem die Journalisten verfallen sind. Dafür haben sich ja einige auch entschuldigt.

Bei Ihnen persönlich?
Zum Teil, zum Teil aber auch öffentlich. Sie haben eingesehen, dass sie zu weit gegangen sind. Seitdem hat sich eine gewisse Versachlichung eingestellt. Mein Fall war eine Zäsur, es hat danach auch keinen vergleichbaren Fall gegeben. Medien scheinen lernfähig zu sein.

Wie ist heute Ihr Verhältnis zu den deutschen Medien?
Entspannt.

Sie sind nie in Talkshows, geben selten Interviews.
Diese Formate sind für mich nicht die richtige Bühne. Zu meinem Fall habe ich mit meinem Buch «Ganz Oben, Ganz Unten» meinen Beitrag geleistet. Jetzt sollen sich andere ihre Gedanken machen über die Medien als vierte Gewalt.

Wie schwierig ist es, wenn man plötzlich nicht mehr im Rampenlicht steht?
Das hängt vom Mass der Eitelkeit ab. Es hat viele Vorteile. Was ich liebe, sind Veranstaltungen, bei denen ich vor Publikum meine Gedanken umfassend darlegen kann und Medien als notwendige Begleiterscheinung hinnehme. Diese unmittelbare Begegnung mit Menschen liegt mir heute mehr, als mich an die Medien zu wenden, aus denen dann einfach ein Zitat aus dem Zusammenhang gerissen wird. Das verbreitet sich dann über soziale Medien und ich werde mit empörten Briefen zugedeckt.

Die Verkürzung macht Ihnen Mühe.
Ja, wir leben in einer Zeit der Verkürzung, der Twitter-Accounts …

Jetzt auf

… von denen Sie ja keinen haben.
Sobald ich einen habe, müssen Sie sich dann wirklich Sorgen machen um mich. Dieses ständige Zwitschern, wo man gerade ist, was einem gerade einfällt … Ich hab jetzt auch kein Handy dabei. Wir dürfen uns nicht fremdbestimmen lassen von diesen Dingen. 

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
1 Kommentar
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Ohniznachtisbett
31.10.2016 11:14registriert August 2016
Wulff hatte damals einen Fehler begangen und ist einer Hexenjagd zum Opfer gefallen. Was er aber schon damals war und noch immer ist: Ein Mann der differenziert denkt, der seine Gedanken auch sehr gut wiedergeben kann. Ein Mann der, so scheint es, auch sehr vernünftig denkt. Der aber auch überlegt, was er sagt. Er ist gegen die Burka und doch gegen ein Verbot. Er ist sozialen Medien gegenüber kritisch, sieht aber trotzdem deren Vorteile. Deutschland hat einen Fehler gemacht, diesen Mann so unglaublich zu demontieren. Am Ende wurde er ja freigesprochen.
223
Melden
Zum Kommentar
1
Er reinigt seit Jahren ehrenamtlich die Strände am Gardasee – jetzt wird er dafür gebüsst

Italien lädt nicht nur zum Urlaub am Meer ein. Das Land ist auch wegen des kulinarischen Angebots und der vielen Seen ein Magnet für zahlreiche Touristen aus aller Welt. Der Gardasee ist mit einer Fläche von 370 Quadratkilometern der grösste See Italiens und bietet Strände, Gastronomie sowie verschiedenste Wassersportmöglichkeiten.

Zur Story