Donald Trumps
Verhalten ängstigt viele in Europa. Seine Vertreter an der
Münchner Sicherheitskonferenz haben sich um Mässigung bemüht. Was
halten Sie davon?
Robert Kagan: Ich habe den
Eindruck, dass die Aussagen von Vizepräsident Mike Pence nicht die
wahren Ansichten von Donald Trump wiedergeben. Kurzfristig hat Trump
sicher nicht die Absicht, die USA aus der NATO zu führen. Aber seine
Meinung über Europa hat sich nicht geändert.
Er hofft auf den
Zerfall der Europäischen Union, eine für viele Europäer
unerträgliche Vorstellung.
Für die USA ebenfalls, es wäre ein
Fehler. Die EU hat einen weiteren Weltkrieg verhindert und das
scheinbar unlösbare Problem im Herzen Europas zwischen Deutschland
und Frankreich gelöst. Pence ist sich dessen bewusst, aber Trump und sein Berater Steve Bannon haben eine sehr
feindselige Sicht auf die Europäische Union, sie würden ihre
Auflösung begrüssen.
Ebenso jene der
NATO, die sie für überflüssig halten.
Die NATO ist nicht
mehr zeitgemäss. Viele kluge Köpfe in den USA sagen
dies seit Jahren. Aber bislang hätte kein Präsident dies öffentlich
behauptet.
Was sollen die
Europäer tun, eine militärische Allianz oder eine gemeinsame Armee
bilden?
Europa muss seinen
politischen Zusammenhalt zurückgewinnen. Die Wahlen in Frankreich
sind in dieser Hinsicht kritisch. Wenn Marine Le Pen gewinnt, ist die
EU Geschichte. Falls Emmanuel Macron Präsident wird, sollte er die
deutsch-französische Partnerschaft wiederbeleben. Wichtig ist, dass
Frankreich seine wirtschaftliche Lage verbessert. Europa ist abhängig
von der deutsch-französischen Zusammenarbeit, insbesondere nach dem
Austrittsvotum in Grossbritannien.
Könnte Trumps
feindselige Haltung gegenüber der EU diesen Prozess unterstützen?
Die aussenpolitische
Elite ist überzeugt, dass man als Antwort auf Trump die EU
unterstützen sollte. Ich bin mir aber nicht sicher, ob die
Bevölkerung in Europa auch so denkt. Wir wissen das erst, wenn die
Wahlen vorbei sind.
Trump ist selbst
bei vielen Rechten in Europa nicht populär.
Ich würde das gerne
glauben, aber nach den Erfahrungen mit der US-Präsidentschaftswahl
und dem Brexit bin ich mir nicht sicher. Le Pen spricht ständig von
Trump. Gleiches tun die Populisten in Italien. Selbst in Schweden ist
er nach seinem bizarren Auftritt vom Wochenende ein Thema.
Wir in der
Schweiz fragen uns, was mit Europa geschehen wird, wenn Trump auf
Schmusekurs mit Putin geht. Müssen wir uns ängstigen?
Die grösste
Bedrohung ist der Kollaps der EU. Deshalb muss man sich kurzfristig
am meisten davor fürchten, dass Russland sich in die Wahlen in
Westeuropa einmischt, insbesondere in Frankreich und Italien. Für
Putin endet die russische Einflusssphäre nicht in der Ukraine, er
strebt den Zerfall des westlichen Europa an. In diesem Fall werden
die Karten neu gemischt.
Sie haben Steve
Bannon erwähnt. Trump hat ihm einen permanenten Sitz im Nationalen
Sicherheitsrat verschafft. Was halten Sie davon?
Letztlich ist es nicht
so wichtig, wo genau der wichtigste Berater des Präsidenten Einsitz
nimmt. Was mich an Bannon wirklich besorgt, ist die Frage, ob Trump
eine vollständig entwickelte Weltsicht und Ideologie besitzt. Bei
Bannon scheint dies der Fall zu sein. Die EU und Angela Merkel sind
ihm ein Dorn im Auge, ebenso das politische Spektrum von
Mitte-Links bis Mitte-Rechts …
... dafür hat er
eine Schwäche für Russland.
Bannon hat zwei
Hauptziele: Er will den Islam besiegen und die kapitalistische
Vetternwirtschaft, den «Davos Man». Interessant ist, dass Wladimir
Putin für ihn zu Letzterem gehört. Er empfindet keine Zuneigung für
Putin. Im Moment aber ist er für ihn ein Verbündeter, denn Bannon
teilt dessen Hauptziele: Die Zerstörung der EU und
den Kampf gegen die Islamisten. Deshalb unterdrückt er seine
Abneigung und lässt Putin in Frankreich die «Drecksarbeit» machen.
Könnte sich
Trump nicht «normalisieren»? Die Ernennung seines neuen
Sicherheitsberaters H.R. McMaster …
… den ich kenne
und bewundere. Ich hoffe nur, er hat keine fatale Entscheidung
getroffen (lacht) …
… könnte ein
Indiz dafür sein.
Die einzige ehrliche
Antwort lautet, dass wir es nicht wissen. Mein Bauchgefühl sagt mir,
dass Trump seine Ansichten nicht fundamental ändern wird. Aber er
hat seine aussenpolitischen Ziele noch nicht definiert. Er ist auf
die Themen Migration und Freihandel fokussiert.
Wie kann er auf
irgend etwas fokussiert sein, wenn er Fox News sieht und Breitbart
liest?
Das ist die
wichtigste Frage überhaupt. Die Antwort lautet: Er ist es nicht. Er
ist notorisch unfokussiert und bezieht seine gesamten Informationen
von einem bestimmten Fernsehsender.
Welche Folgen
könnte dies für Trumps Aussenpolitik haben?
Es gibt keinen Hinweis
dafür, dass Verteidigungsminister James Mattis oder andere Minister
Trump überhaupt zu sehen bekommen. Ich habe keine Ahnung, wie oft
sich Trump und Aussenminister Rex Tillerson bisher getroffen haben.
Der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe weilte kürzlich drei
oder vier Tage in den USA, ein ungewöhnlich langer Besuch. Er hat
Tillerson in dieser Zeit nie gesehen, der Aussenminister war zu
keinem einzigen Treffen eingeladen.
Das wirkt
besorgniserregend.
Barack Obama hat
auch nicht immer auf sein Kabinett gehört, etwa als es um ein
Eingreifen in Syrien ging. Donald Trumps Minister aber durften
bislang nicht einmal einen Stellvertreter ernennen. Die Vorschläge
von Tillerson und Mattis wurden zurückgewiesen.
Denken Sie, dass
die Republikaner Trump stoppen könnten?
Sie könnten es,
aber sie werden es nicht tun.
Wir müssen also
mindestens vier Jahre mit ihm leben?
Mindestens. Ich
glaube nicht, dass die Republikaner einen eigenen Mann im Weissen
Haus des Amtes entheben werden. Ein Impeachment ist möglich, wenn
die Demokraten die Wahlen 2018 gewinnen sollten, aber dafür
braucht es viel. Ich vermute, dass er auch dann nicht abgesetzt wird,
weil die Republikaner weiterhin den Senat kontrollieren werden. Also
vergessen Sie's.
Sie halten nichts
von der These, dass die Republikaner Mike Pence vorziehen würden?
Die meisten
Republikaner beten nachts, dass Pence Präsident wird. Aber sie
werden nichts unternehmen, damit es so weit kommt. Wenn sie mich
fragen, ob das ein Albtraum ist, dann sage ich: Jawohl, es ist ein
Albtraum! (lacht)
A propos
Albtraum: Sie haben kürzlich ein düsteres Szenario beschrieben, in
dem sich die Welt auf eine globale Krise zubewegt, vielleicht sogar
den Dritten Weltkrieg.
Den Weltkriegstitel
hat die Redaktion gesetzt (lacht). Ich gehe nicht von einem
unmittelbaren Konflikt aus, aber die Nationen, die bislang eine
gewisse Weltordnung garantierten, befinden sich in einem Zustand der
Verwirrung. Die wichtigste Nation will offensichtlich ihre
Führungsrolle nicht mehr wahrnehmen. Der Westen ist gespalten und
verzagt, während zwei revisionistische Nationen in den
Vordergrund drängen. Das ist ein Rezept für einen möglichen
Konflikt.
Sie meinen
Russland und China. Trump sagt, er könne mit diesen Ländern einen
Deal machen.
Es ist möglich,
dass er ein Handelsabkommen mit den Chinesen abschliessen kann.
Zwischen 1890 und 1914 gab es rund 20 Vereinbarungen zwischen den
grossen Mächten, doch sie haben die unterschwellige Dynamik nicht
verändert, die zum Ersten Weltkrieg führte.
Können sich
Russland und China nicht mit dem liberalen Westen abfinden?
Die Geschichte lehrt
uns, dass Nationen, die unzufrieden sind mit ihrem Platz in der Welt,
jede Gelegenheit ergreifen, um in eine vorteilhaftere Lage zu
geraten. Das war schon mit Athen und Sparta der Fall. Im konkreten
Fall fühlen sich Russland und China von einer Welt bedroht, die von
liberalen Demokratien dominiert wird. Sie empfinden umso mehr das
Bedürfnis, dagegenzuhalten.
Die USA geben
noch immer weit mehr Geld für das Militär aus als alle anderen
Länder. Genügt das nicht, um diese Mächte in Schach zu halten?
Die USA haben eine
spezielle Rolle, sie garantieren gleichzeitig die globale Sicherheit
in drei Weltregionen: Asien, Europa und Nahost. Dazu patrouillieren
sie auf den Ozeanen. Die anderen Mächte müssen nur lokal dominieren. Für China genügt es, wenn es die USA in einer
Region besiegt. Grossbritannien hatte das gleiche Problem vor dem
Ersten Weltkrieg. Hätte Europa nur ein Viertel der amerikanischen
Militärmacht, müssten die USA nicht seinen Schutz garantieren. Doch
Europa hat diese Rolle noch so gerne den Vereinigten Staaten
überlassen.
Heute will das
amerikanische Volk, dass sich die USA zurückziehen.
Das ist
verständlich. Die USA haben in der Nachkriegszeit eine sehr
ungewöhnliche Rolle gespielt. Noch nie hat jemand eine solche
Verantwortung übernommen. Heute erinnern sich viele Amerikaner weder
an den Zweiten Weltkrieg noch an den Kalten Krieg. Höchstens an Irak
und Afghanistan. Sie fragen sich zunehmend, warum wir diese Rolle
übernehmen sollen.
Trump spielt mit
solchen Ressentiments, dem Gefühl, betrogen worden zu sein.
Genau. Trump
bezeichnet die heutige Weltordnung als «schlechten Deal» für die
USA. Wir werden wohl die gleiche Lektion wieder lernen müssen
wie in den 1920er und 30er Jahren. Damals bezeichneten die USA die
durch den Versailler Vertrag geschaffene Ordnung als schlechten
Deal. Am Ende erhielten sie den Zweiten Weltkrieg.
Sie haben
Afghanistan und Irak erwähnt. Nach der Erfahrung mit diesen beiden
Kriegen haben die Amerikaner keine Lust auf neue Interventionen.
Das trifft zu, aber
Afghanistan und Irak haben nur eine Stimmungslage zum Kippen
gebracht, die bereits vorhanden war. Irak war nicht das grösste
Desaster in den letzten Jahrzehnten. Der Vietnamkrieg kostete fast
60'000 Soldaten das Leben, im Vergleich zu 4000 im Irak. Im
Koreakrieg waren es 40'000 Tote. Und beide Kriege endeten nicht gut.
Korea war ein Unentschieden und Vietnam eine Niederlage. Nur fünf
Jahre später aber wählten die Amerikaner Ronald Reagan zum
Präsidenten, der einen Rüstungswettlauf mit der Sowjetunion
entfachte.
Wie erklären Sie sich das?
Damals gab es einen klaren Feind. Seit dem Ende des Kalten
Kriegs aber fragen sich die Amerikaner, warum etwas notwendig ist.
Die Antwort ist viel komplizierter als damals, als man alles auf
Moskau schieben konnte.
Die Welt ist
kompliziert geworden.
Wir befinden uns
wieder in dem Zustand, der zu den beiden Weltkriegen geführt hat.
Präsident Franklin Roosevelt konnte nie den Nachweis erbringen, dass
Amerika in den europäischen Krieg eingreifen muss. Nicht einmal
Hitlers Herrschaft über Europa konnte die Amerikaner überzeugen.
Erst Pearl Harbor hat das geändert. Vieles hängt von politischer
Führungsstärke ab. Wäre Hillary Clinton gewählt worden, würden
wir viel häufiger den Begriff «unentbehrliche Nation» hören.
Sie haben Clinton
unterstützt.
Das habe ich,
insbesondere nachdem die Republikaner sich für Donald Trump
entschieden hatten.
Sie gehörten zu
den Neokonservativen, die den Irak-Krieg befürworteten. Haben Sie
Ihre Meinung geändert? Oder glauben Sie immer noch, dass Sie Recht
hatten?
Nichts von beidem (lacht). Es wäre einfach, den
Irak-Krieg als Fehler zu bezeichnen. Aber würde sich irgend jemand
deswegen besser fühlen? Ich habe meine Meinung über
Amerikas Rolle in der Welt nicht geändert.
Wegen der vielen
Interventionen hat der Hass auf die USA zugenommen.
Dieser Aspekt wird
extrem überbewertet. Ich habe nie geglaubt, dass Nationen sich mit
den USA verbünden, weil sie unser Land lieben. Im Kalten Krieg gab
es massive Proteste gegen die USA, etwa 1983 in Deutschland nach der
Stationierung der US-Mittelstreckenraketen. Richard Nixon wurde 1958
in Venezuela mit Steinen beworfen. Nur Amerikaner und vielleicht
einige andere Leute glauben, man würde uns lieben. Was für ein
Unsinn!
Wie kommen Sie
darauf?
Länder
interessieren sich nur dafür, was man für sie tut. Trotz Irak-Krieg
wollten die Nahost-Staaten nicht auf den Schutz durch die USA
verzichten. Wenn China sich im Fernen Osten etwas aggressiver
verhält, wenden sich alle Länder an die Vereinigten Staaten. Mit
mögen oder nicht mögen hat das nichts zu tun. Das gilt auch für
Europa, insbesondere Osteuropa. Wer Amerika am meisten braucht, hat
den Irak-Krieg am schnellsten überwunden.