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Interview Psychologe über Sex und Macht

epa05584165 Supporters of the US presidential candidate Donald Trump, hold banners during the Trump’s campaign stop at the South Florida Fair Expo Center in West Palm Beach, Florida, USA, 13 October 2 ...
Psychoanalytiker Hans-Jürgen Wirth über Trump: «Er ist von seinem Charakter her trieb- und affektgesteuert. Er zelebriert dieses Verhalten geradezu.»Bild: CRISTOBAL HERRERA/EPA/KEYSTONE
Interview

Psychologe über Sexskandale von Trump & Co.: «Mächtige Männer unterschätzen das Risiko» 

Die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen Donald Trump reihen sich ein in eine lange Serie von verbalen und körperlichen Übergriffen durch Politiker und Wirtschaftsbosse. Was führt dazu, dass sich mächtige Personen beim Sex regelmässig über Grenzen der Sitte und des Rechts hinwegsetzen? Ein Psychologe gibt Antwort.
16.10.2016, 12:5017.10.2016, 04:36
William Stern
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Oscar Wilde hat einmal gesagt: «Alles im Leben dreht sich um Sex. Nur der Sex nicht, der dreht sich um Macht.»
Sex und Macht sind oft eng miteinander verknüpft, das ist zweifellos so. Sowohl Sex als auch Macht sind Faktoren, die in alle Lebensbereiche reinspielen, auch in Beziehungen und damit auch in sexuelle Beziehungen. Aber ganz bei Oscar Wilde bin ich da nicht: Beim Sex geht es nicht immer um Macht, sondern auch auch um Zuneigung, Liebe, Bindung – emotionale Aspekte also.

Weshalb stolpern dermassen viele Politiker, Unternehmer und über Sexskandale? Ist es Unvorsichtigkeit, Naivität oder eine erhöhte Sensibilität der Gesellschaft?
Letzteres spielt unbestritten eine grosse Rolle: Insbesondere die Medien als Wachhund der Gesellschaft haben gerade bei Personen in Entscheidungspositionen eine Aufpasser- und Aufklärungsfunktion. Und gewisse Medien sind auch gezielt hinter solchen Skandalen her. Gleichzeitig trübt die Selbstüberschätzung den realistischen Blick dieser Personen. Sie unterschätzten das Risiko, sehen sich selber so grossartig, dass sie meinen, sie haben alles im Griff. Gerade die Sexualität ist aber ein wunder Punkt, wo Konflikte einsickern können.

Was meinen Sie damit?
Politiker, Profisportler und CEOs werden heute auf praktisch allen Gebieten gecoacht. Aber es gibt eben Bereiche, die Privatsache bleiben. Und dazu gehört die Sexualität. Dominique Strauss-Kahn ist ein ganz gutes Beispiel. Da macht sich dann eben der Narzissmus breit, und schleichen sich die aus der Adoleszenz stammende Grössenphantasien ein.

Hans-Jürgen Wirth.
Hans-Jürgen Wirth.Bild: Hans-Jürgen Wirth
Zur Person
Hans-Jürgen Wirth ist ein deutscher Psychoanalytiker und Psychotherapeut. Er arbeitet als ausserplanmässiger Professor an der Universität Bremen. Ausserdem ist er Verleger des Psychosozial-Verlags. (wst)

Narzissmus?
Ja, ein übersteigertes Selbstwertgefühl, ein Grandiositätsgefühl. Wenn man viel Macht hat und diese erfolgreich ausübt, wird man bestätigt. Da kann leicht das Gefühl aufkommen, die Welt liege einem zu Füssen, die Menschen lägen einem zu Füssen. Und vielleicht tun sie das sogar. Das kann dann eben dazu führen, dass sich ein Allmachtsgefühl entwickelt: Die normalen Werte und Normen gelten für einen nicht mehr, man leistet sich alles. Recht und Ordnung sind nur für die normalen Leute da, nicht für den Mächtigen.

Macht an sich ist nichts böses. Macht kommt überall vor in der Gesellschaft.

Und was bedeutet das in Bezug auf den Sex?
In Bezug auf den Sex kann das dazu führen, dass der grandiose Führer Grenzen überschreitet, weil er sich einbildet, er habe sexuelle Verfügungsgewalt über die Menschen. Das ist gar nicht so viel anders als bei der Korruption, wo auch allgemein gültige Regeln ausser Kraft gesetzt werden.

Können Sie das genauer erklären?
Bei der Korruption handelt es sich, ähnlich wie bei sexuellen Grenzüberschreitungen, um einen Machtmissbrauch. Macht kann dazu verleiten, sich selber zu überhöhen und ausserhalb der Gesellschaft anzusiedeln. Dann sagt man sich vielleicht: Gesetze sind wichtig, sonst würde die Gesellschaft nicht mehr funktionieren, aber für mich gelten die Gesetze nicht.

Geht der Narzissmus nur aus der Machtposition hervor oder ist ein gewisser Narzissmus Voraussetzung für einflussreiche Positionen? Was war zuerst da: Huhn oder Ei?
Ich glaube, es schaukelt sich gegenseitig hoch. Ein gewisses Selbstbewusstsein ist sicherlich notwendig, wenn man so ein Amt anstrebt. Umgekehrt kann man kann auch aus einem Minderwertigkeitsgefühl heraus nach Macht streben. Dann sind dann die pathologischen Fälle, die, die kompensieren müssen: Dann wird Macht regelrecht genossen, und Demütigungen, die man früher selber einstecken musste, werden doppelt und dreifach zurückgezahlt.

Das protestantische Amerika ist in dieser Hinsicht prüde, was nicht verhindert, dass die Amerikaner eine Doppelmoral haben – Stichwort Pornoindustrie.

Ist Macht an sich etwas gefährliches?
In der Macht steckt sicher eine gewisse Verführung. Aber Macht an sich ist jedenfalls nichts böses. Macht kommt überall vor in der Gesellschaft. Denken Sie an die Familie, an einen Sportverein, an die Schule. Hinter den Machtstrukturen steht nicht zwingend das Bedürfnis, über andere Menschen zu herrschen. Destruktiv ist der Missbrauch von Macht.

Missbrauchen Männer in einer führenden Position ihre Macht häufiger als früher?
Ich glaube nicht, dass hier eine Zunahme stattgefunden hat. Es ist eher so, dass die Emanzipationsbewegungen den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs nachhaltig kritisierten. Das öffentliche Bewusstsein für solche Übergriffe ist dadurch viel grösser als früher. Dieses kritische Bewusstsein entspricht fundamental unseren demokratischen Werten und Normen. Insofern ist es schon erstaunlich, dass Politiker über sexuelle Eskapaden stolpern. Der Fall Bill Clinton, auf Lewinsky-Gate bezogen, und nicht auf die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs, sticht hier heraus: Ein erfolgreicher und rationaler Präsident, der eine einigermassen vernünftige Politik macht, stolpert über einen derartigen Skandal.

Im Fall Strauss-Kahn wiesen Beobachter darauf hin, dass in Frankreich die Öffentlichkeit hinsichtlich mutmasslichen sexuellen Übergriffen viel laxer reagiert hätte, sexuell liberaler sei.
Es lässt sich schon beobachten, dass die Sexualmoral in verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich ist. Das protestantische Amerika ist in dieser Hinsicht prüde, was nicht verhindert, dass sie eine Doppelmoral haben – denken Sie nur an die Pornoindustrie. Während es in Frankreich zum Selbstverständnis gehört, in der Liebe etwas grosszügiger zu sein. Dem französischen Präsidenten Mitterand etwa wurde zugestanden, ein Doppelleben zu führen, und die ausserehelichen Affären von Hollande wurden ihm in weiten Kreisen der Gesellschaft nachgesehen. Strauss-Kahn, das muss man aber betonen, hat sich da schon Verfehlungen von einem ganz anderen Kaliber geleistet.

Politiker werden heute auf praktisch allen Gebieten gecoacht. Aber es gibt eben Bereiche, die Privatsache bleiben.

Trotz aller Skandale: Längst nicht alle einflussreichen Personen missbrauchen ihre Macht. Was ist nötig, um den Versuchungen zu widerstehen?
Ein gefestigter Charakter und genug Selbstbewusstsein, um sich nicht selber ständig beweisen müssen, die Fähigkeit, in sich selber zu ruhen. Und eine gewisse Demut, nämlich das Wissen um die zeitlich und strukturell bedingte Begrenztheit der eigenen Macht. Vor allem aber muss man offen für Selbst- und Fremdkritik sein. Das bedingt, dass man gute Mitarbeiter und Berater um sich hat, die emotional unabhängig sind. Das machen Narzissten nicht, sie suchen Leute die sich bestätigen, Ja-Sager und Bluthunde die in ihrem Auftrag losziehen.

Welche anderen Persönlichkeitsmerkmale spielen bei Trump, Strauss-Kahn, Berlusconi und Co. eine Rolle?
Ein doch sehr konventionelles Macho- und Selbstbild, Härte, Durchsetzungsfähigkeit, sexuelle Potenz. Das Credo lautet: Ich bin allzeit bereit. Und der Glaube, man müsste sich immer und überall durchsetzen gegen potentielle Rivalen – nicht zuletzt auch gegenüber Frauen.

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Reden wir also von einem reinen Männerproblem?
Im Moment gibt es in unserer Gesellschaft einen deutlichen Unterschied bei den Geschlechtern. Das betrifft nicht nur, aber vor allem auch die Gewaltausübung. Alle Kriminalstatistiken zeigen, dass ernsthafte Gewalt, körperliche Gewalt, in den wenigsten Fällen von Frauen ausgeübt wird. Sexualdelikte und Übergriffe sind so gesehen ein Männer-Phänomen, ja. Aber ich glaube nicht, dass das in der Natur festgelegt ist, sondern dass sich hier kulturelle und gesellschaftlich Prägungen offenbaren. Dennoch: Wenn Frauen an Machtpositionen kommen, nehmen sie nicht automatisch alle männlichen Verhaltensweisen an.

Wenn man viel Macht hat und diese erfolgreich ausübt, wird man bestätigt. Da kann man leicht das Gefühl bekommen, die Welt liege einem zu Füssen.

Aus der Sicht des Psychologen: Was ist der republikanische Präsidentschaftskandidat für ein Typ Mensch?
Trump ist von seinem Charakter her trieb- und affektgesteuert, das sagt er ganz offen, dafür muss man kein Psychologe sein. Er zelebriert dieses Verhalten ja geradezu. Er sagt sich: ‹Ich bin ein Star, Stars dürfen das machen und das ist richtig so.› Gleichzeitig praktiziert er ein rücksichtsloses Menschenbild und rechtfertigt so sein Verhalten. Er glaubt, sich damit nicht verstecken zu müssen. Im Gegenteil: Er prahlt noch mit seinem frauenverachtenden Machogehabe.

Deshalb auch die halbherzige Entschuldigung im Fall der sexuellen Vorwürfe und des sexistischen Gesprächs – Stichwort: «Locker room talk»?
Ja, natürlich. Die Rechtfertigungen tönen höchst unglaubwürdig. Er will uns weismachen, alle Männer denken wie er. Zugleich beleidigte er damit die Sportler.

Trump beliess es allerdings nicht bei der lauen Entschuldigung. Er holte im gleichen Atemzug zum Gegenschlag gegen Hillary Clintons Mann aus, und wärmte alte Missbrauchsvorwürfe gegen den Ex-Präsidenten auf. Eine gescheite Strategie?
Das ist schlicht die Strategie, die zu ihm passt. Immer in die Gegenoffensive, immer die Devise: Angriff ist die beste Verteidigung. Dieses Merkmal seiner Grundhaltung ist der eigentliche Grund, der ihn eigentlich ungeeignet macht für so ein mächtiges und wichtiges Amt. Der mächtigste Politiker der Welt sollte nicht jemand sein, der immer sofort in die Offensive geht, sobald er kritisiert wird. Er ist kompromissunfähig, das macht ihn ungeeignet als Politiker. Als Führer eines Wirtschaftsunternehmens kann er das eher machen. Da ist er Alleinherrscher, wenn was schiefläuft, schadet er zwar auch seinen Mitarbeitern, vor allem aber sich selber. Als Politiker muss er aber die Interessen seines Volkes repräsentieren.

Der Kampagne hat es allerdings sehr wohl geschadet: Kommentatoren sehen schon das Ende von Trumps Präsidentschaftskampagne gekommen. Ausfälle gegenüber Minderheiten und ausländische Politiker, Steuerhinterziehung, politische Inkompetenz konnten Trump nichts anhaben. Aber mit dem Vorwurf des Sexismus ist offenbar eine Grenze überschritten. Woran liegt das?
Die Erklärung ist meiner Meinung nach ziemlich einfach: Trump setzt mit seinen Aussagen und seinem Verhalten die Würde der Frauen herab, und die Frauen machen die Hälfte der US-Bevölkerung aus. Es ist keine «vernachlässigbare» Minderheit wie die Latinos oder die Muslime in den USA eine sind. Hinzu kommt, dass hochrangige Republikaner sich von ihm abwenden. Natürlich aus Imagegründen, aber auch aus persönlichen Gründen: Wenn Frauen angegriffen sind, sind auch ihre Frauen und ihre Töchter angegriffen.

Ist das Ausdruck einer patriarchalischen Gesellschaft? Unsere schwachen Frauen können sich nicht selber wehren, deshalb muss man Übergriffe umso vehementer bekämpfen? 
Nein, das ist eher Ausdruck der demokratischen Gesinnung einer Gesellschaft. Aber klar, in gewisser Weise sind Frauen schon das schwächere Geschlecht. Wenn man die Zahlen bei sexuellem Missbrauch anschaut, dann sind Täter fast zu 100 Prozent Männer.

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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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pamayer
16.10.2016 13:15registriert Januar 2016
Gutes Interview, kluge Fragen. Toll. Danke.

Beschissene Tatsachen.
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