Oscar Wilde hat einmal
gesagt: «Alles im Leben dreht sich um Sex. Nur der Sex nicht, der
dreht sich um Macht.»
Sex und Macht sind oft eng miteinander verknüpft, das ist zweifellos so. Sowohl Sex als auch Macht sind Faktoren, die in alle Lebensbereiche reinspielen, auch in Beziehungen und damit auch in sexuelle Beziehungen. Aber ganz bei Oscar Wilde bin ich da nicht: Beim Sex geht es nicht immer um Macht, sondern auch auch um Zuneigung, Liebe, Bindung – emotionale Aspekte also.
Weshalb
stolpern dermassen viele Politiker, Unternehmer und über
Sexskandale? Ist es Unvorsichtigkeit, Naivität oder eine erhöhte
Sensibilität der Gesellschaft?
Letzteres
spielt unbestritten eine grosse Rolle: Insbesondere die Medien als
Wachhund der Gesellschaft haben gerade bei Personen in
Entscheidungspositionen eine Aufpasser- und Aufklärungsfunktion. Und
gewisse Medien sind auch gezielt hinter solchen Skandalen her.
Gleichzeitig trübt die Selbstüberschätzung den realistischen Blick
dieser Personen. Sie unterschätzten das Risiko, sehen sich selber so
grossartig, dass sie meinen, sie haben alles im Griff. Gerade die
Sexualität ist aber ein wunder Punkt, wo Konflikte einsickern können.
Was meinen Sie damit?
Politiker,
Profisportler und CEOs werden heute auf praktisch allen Gebieten
gecoacht. Aber es gibt eben Bereiche, die Privatsache bleiben. Und dazu gehört die Sexualität. Dominique
Strauss-Kahn ist ein ganz gutes Beispiel. Da macht sich dann
eben der Narzissmus breit, und schleichen sich die aus der Adoleszenz
stammende Grössenphantasien ein.
Narzissmus?
Ja, ein übersteigertes Selbstwertgefühl, ein Grandiositätsgefühl. Wenn man viel Macht hat und diese erfolgreich ausübt, wird man bestätigt. Da kann leicht das Gefühl aufkommen, die Welt liege einem zu Füssen, die Menschen lägen einem zu Füssen. Und vielleicht tun sie das sogar. Das kann dann eben dazu führen, dass sich ein Allmachtsgefühl entwickelt: Die normalen Werte und Normen gelten für einen nicht mehr, man leistet sich alles. Recht und Ordnung sind nur für die normalen Leute da, nicht für den Mächtigen.
Und was bedeutet das in
Bezug auf den Sex?
In Bezug auf den Sex kann das dazu führen, dass der grandiose Führer Grenzen überschreitet, weil er sich einbildet, er habe sexuelle Verfügungsgewalt über die Menschen. Das ist gar nicht so viel anders als bei der Korruption, wo auch allgemein gültige Regeln ausser Kraft gesetzt werden.
Können Sie das genauer
erklären?
Bei der Korruption handelt es sich, ähnlich wie bei sexuellen Grenzüberschreitungen, um einen Machtmissbrauch. Macht kann dazu
verleiten, sich selber zu überhöhen und ausserhalb der Gesellschaft
anzusiedeln. Dann sagt man sich vielleicht: Gesetze sind wichtig,
sonst würde die Gesellschaft nicht mehr funktionieren, aber für
mich gelten die Gesetze nicht.
Geht der Narzissmus nur
aus der Machtposition hervor oder ist ein gewisser Narzissmus
Voraussetzung für einflussreiche Positionen? Was war zuerst da: Huhn
oder Ei?
Ich glaube, es schaukelt sich gegenseitig hoch. Ein gewisses Selbstbewusstsein ist sicherlich
notwendig, wenn man so ein Amt anstrebt. Umgekehrt kann man kann auch
aus einem Minderwertigkeitsgefühl heraus nach Macht streben. Dann
sind dann die pathologischen Fälle, die, die kompensieren müssen: Dann
wird Macht regelrecht genossen, und Demütigungen, die man früher
selber einstecken musste, werden doppelt und dreifach zurückgezahlt.
Ist Macht an sich etwas
gefährliches?
In der Macht steckt sicher
eine gewisse Verführung. Aber Macht an sich ist jedenfalls nichts böses. Macht kommt überall vor in der Gesellschaft. Denken
Sie an die Familie, an einen Sportverein, an die Schule. Hinter den
Machtstrukturen steht nicht zwingend das Bedürfnis, über andere
Menschen zu herrschen. Destruktiv ist der Missbrauch von Macht.
Missbrauchen Männer in einer
führenden Position ihre Macht häufiger als früher?
Ich glaube nicht, dass
hier eine Zunahme stattgefunden hat. Es ist eher so, dass die
Emanzipationsbewegungen den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs
nachhaltig kritisierten. Das öffentliche Bewusstsein für solche
Übergriffe ist dadurch viel grösser als früher. Dieses kritische
Bewusstsein entspricht fundamental unseren demokratischen Werten und
Normen. Insofern ist es schon erstaunlich, dass
Politiker über sexuelle Eskapaden stolpern. Der Fall Bill Clinton,
auf Lewinsky-Gate bezogen, und nicht auf die Vorwürfe des sexuellen
Missbrauchs, sticht hier heraus: Ein erfolgreicher und rationaler
Präsident, der eine einigermassen vernünftige Politik macht, stolpert über einen derartigen Skandal.
Im Fall Strauss-Kahn
wiesen Beobachter darauf hin, dass in Frankreich die Öffentlichkeit
hinsichtlich mutmasslichen sexuellen Übergriffen viel laxer
reagiert hätte, sexuell liberaler sei.
Es lässt sich schon beobachten, dass die Sexualmoral in verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich ist. Das protestantische Amerika ist in dieser Hinsicht prüde, was nicht verhindert, dass sie eine Doppelmoral haben – denken Sie nur an die Pornoindustrie. Während es in Frankreich zum Selbstverständnis gehört, in der Liebe etwas grosszügiger zu sein. Dem französischen Präsidenten Mitterand etwa wurde zugestanden, ein Doppelleben zu führen, und die ausserehelichen Affären von Hollande wurden ihm in weiten Kreisen der Gesellschaft nachgesehen. Strauss-Kahn, das muss man aber betonen, hat sich da schon Verfehlungen von einem ganz anderen Kaliber geleistet.
Trotz aller Skandale:
Längst nicht alle einflussreichen Personen missbrauchen ihre Macht.
Was ist nötig, um den Versuchungen zu widerstehen?
Ein
gefestigter Charakter und genug Selbstbewusstsein, um sich nicht
selber ständig beweisen müssen, die Fähigkeit, in sich selber zu
ruhen. Und eine gewisse Demut, nämlich das Wissen um die zeitlich
und strukturell bedingte Begrenztheit der eigenen Macht. Vor allem
aber muss man offen für Selbst- und Fremdkritik sein. Das bedingt,
dass man gute Mitarbeiter und Berater um sich hat, die emotional
unabhängig sind. Das machen Narzissten nicht, sie suchen Leute die
sich bestätigen, Ja-Sager und Bluthunde die in ihrem Auftrag
losziehen.
Welche anderen
Persönlichkeitsmerkmale spielen bei Trump, Strauss-Kahn,
Berlusconi und Co. eine Rolle?
Ein doch sehr
konventionelles Macho- und Selbstbild, Härte,
Durchsetzungsfähigkeit, sexuelle Potenz. Das Credo lautet: Ich
bin allzeit bereit. Und der Glaube, man müsste sich immer und
überall durchsetzen gegen potentielle Rivalen – nicht zuletzt
auch gegenüber Frauen.
Reden wir also von einem
reinen Männerproblem?
Im Moment gibt es in
unserer Gesellschaft einen deutlichen Unterschied bei den
Geschlechtern. Das betrifft nicht nur, aber vor allem auch die
Gewaltausübung. Alle Kriminalstatistiken zeigen, dass ernsthafte
Gewalt, körperliche Gewalt, in den wenigsten Fällen von Frauen
ausgeübt wird. Sexualdelikte und Übergriffe sind so gesehen ein
Männer-Phänomen, ja. Aber ich glaube nicht, dass das in der Natur
festgelegt ist, sondern dass sich hier kulturelle und
gesellschaftlich Prägungen offenbaren. Dennoch: Wenn Frauen an
Machtpositionen kommen, nehmen sie nicht automatisch alle
männlichen Verhaltensweisen an.
Aus der Sicht des
Psychologen: Was ist der republikanische Präsidentschaftskandidat
für ein Typ Mensch?
Trump ist von seinem
Charakter her trieb- und affektgesteuert, das sagt er ganz offen, dafür muss man kein Psychologe sein. Er zelebriert dieses Verhalten ja
geradezu. Er sagt sich: ‹Ich bin ein Star, Stars dürfen das machen
und das ist richtig so.› Gleichzeitig praktiziert er ein
rücksichtsloses Menschenbild und rechtfertigt so sein Verhalten. Er glaubt, sich damit nicht verstecken zu müssen. Im Gegenteil: Er prahlt noch mit seinem frauenverachtenden Machogehabe.
Deshalb auch die
halbherzige Entschuldigung im Fall der sexuellen Vorwürfe und des
sexistischen Gesprächs – Stichwort: «Locker room talk»?
Ja, natürlich. Die
Rechtfertigungen tönen höchst unglaubwürdig. Er will uns weismachen, alle Männer denken wie er. Zugleich beleidigte er damit die Sportler.
Trump beliess es
allerdings nicht bei der lauen Entschuldigung. Er holte im gleichen
Atemzug zum Gegenschlag gegen Hillary Clintons Mann aus, und wärmte
alte Missbrauchsvorwürfe gegen den Ex-Präsidenten auf. Eine
gescheite Strategie?
Das ist schlicht die
Strategie, die zu ihm passt. Immer in die Gegenoffensive, immer die
Devise: Angriff ist die beste Verteidigung. Dieses Merkmal seiner
Grundhaltung ist der eigentliche Grund, der ihn eigentlich ungeeignet
macht für so ein mächtiges und wichtiges Amt. Der mächtigste
Politiker der Welt sollte nicht jemand sein, der immer sofort in die
Offensive geht, sobald er kritisiert wird. Er ist kompromissunfähig,
das macht ihn ungeeignet als Politiker. Als Führer eines
Wirtschaftsunternehmens kann er das eher machen. Da ist er
Alleinherrscher, wenn was schiefläuft, schadet er zwar auch seinen
Mitarbeitern, vor allem aber sich selber. Als Politiker muss er aber die Interessen seines Volkes repräsentieren.
Der Kampagne hat es
allerdings sehr wohl geschadet: Kommentatoren sehen schon das Ende
von Trumps Präsidentschaftskampagne gekommen. Ausfälle gegenüber
Minderheiten und ausländische Politiker, Steuerhinterziehung,
politische Inkompetenz konnten Trump nichts anhaben. Aber mit dem
Vorwurf des Sexismus ist offenbar eine Grenze überschritten. Woran
liegt das?
Die Erklärung ist meiner
Meinung nach ziemlich einfach: Trump setzt mit seinen Aussagen und
seinem Verhalten die Würde der Frauen herab, und die Frauen machen
die Hälfte der US-Bevölkerung aus. Es ist keine «vernachlässigbare» Minderheit wie die Latinos oder die Muslime in den USA eine sind.
Hinzu kommt, dass hochrangige Republikaner sich von ihm abwenden.
Natürlich aus Imagegründen, aber auch aus persönlichen Gründen:
Wenn Frauen angegriffen sind, sind auch ihre Frauen und ihre Töchter
angegriffen.
Ist das Ausdruck einer
patriarchalischen Gesellschaft? Unsere schwachen Frauen können sich
nicht selber wehren, deshalb muss man Übergriffe umso vehementer
bekämpfen?
Nein,
das ist eher Ausdruck der demokratischen Gesinnung einer
Gesellschaft. Aber klar, in gewisser Weise sind Frauen schon das
schwächere Geschlecht. Wenn man die Zahlen bei sexuellem Missbrauch
anschaut, dann sind Täter fast zu 100 Prozent Männer.
Beschissene Tatsachen.