Nirgendwo sonst treffen die Besitzansprüche der drei abrahamitischen Religionen (Judentum, Christentum, Islam) auf so gedrängtem Raum aufeinander: Der Tempelberg in Jerusalem ist ein heikles Pflaster. Das zeigte sich in den letzten Tagen, als eine an sich harmlose Sicherheitsmassnahme der israelischen Regierung zu gewalttätigen palästinensischen Protesten führte.
Unter dem Eindruck der blutigen Unruhen hat Jerusalem beschlossen, die umstrittenen Metalldetektoren am Tempelberg wieder zu entfernen. Sie wurden in der Nacht zum Dienstag abgebaut.
Am 14. Juli erschossen drei israelische Araber auf dem Tempelberg zwei israelische Polizisten. Die Waffen hatten sie zuvor auf das Areal geschmuggelt. Die israelischen Behörden schlossen darauf den Tempelberg für 48 Stunden und führten strikte Sicherheitsmassnahmen ein. Darunter fielen auch die umstrittenen Metalldetektoren. Am Tag des Freitagsgebets verwehrten die Israelis zudem – wie dies schon früher gelegentlich vorkam – Muslimen unter 50 Jahren den Zugang zum Tempelberg.
Gegen diese Massnahmen protestierten tausende Palästinenser. Es kam zu gewaltsamen Ausschreitungen, bei denen insgesamt fünf Palästinenser ums Leben kamen. Ein palästinensischer Attentäter tötete in der jüdischen Siedlung Newe Tsuf drei Israelis beim traditionellen Freitagsmahl vor dem Sabbat. Auf Facebook hatte er zuvor geschrieben: «Der Tod ist süss für die Sache Allahs, seines Propheten und die al-Aksa-Moschee.»
Die Empfindlichkeit der muslimischen Seite gegenüber einer Sicherheitsmassnahme wie der Errichtung von Metalldetektoren ist zum Teil erklärbar durch Ängste, die muslimische Kontrolle über den Tempelberg könne Stück für Stück verloren gehen. So sagte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas: «Wir lehnen die Metalldetektoren ab, weil sie ein politischer Akt unter dem Deckmantel von Sicherheitsmassnahmen sind, der auf eine Kontrolle der al-Aksa-Moschee abzielt.»
Doch. Premierminister Benjamin Netanyahu soll laut Medienberichten vom israelischen Inlandsgeheimdienst Schin Bet und auch aus Armeekreisen gewarnt worden sein, dass die Einrichtung von Metalldetektoren zu weiteren Gewalttätigkeiten führen könnte.
Mit der Entscheidung der israelischen Regierung, die umstrittenen Metalldetektoren wieder zu entfernen, dürfte sich das Potential für eine weitere Eskalation der Unruhen deutlich verringert haben. Zuvor hatten Beobachter vor einer 3. Intifada gewarnt – unter anderen auch der israelische Oppositionspolitiker Ayman Odeh, Präsident der arabisch-antizionistischen Vereinten Liste. Allerdings gab es auch in den letzten Jahren gewaltsame Ausschreitungen, so im Oktober 2014 oder im September 2015. Damals warnten manche Beobachter ebenfalls vor einer 3. Intifada.
Die gegenwärtige angespannte Lage weckt Erinnerungen an den Ausbruch der 2. Intifada Ende September 2000. Der spätere israelische Premierminister Ariel Sharon hatte als Oppositionspolitiker demonstrativ den Tempelberg besucht. Kurz danach eskalierte die Gewalt; die 2. Intifada – von Palästinensern oft «al-Aksa-Intifada» genannt – brach los. Sie dauerte bis 2005. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass die palästinensische Führung Scharons Besuch nur als Vorwand benutzte und den Aufstand bereits geplant hatte.
Es handelt sich um einen Hügel im Südosten der Altstadt von Jerusalem, auf dem sich ein rund 500 Meter langes und 300 Meter breites künstliches Plateau erstreckt. Auf Arabisch heisst er al-Haram asch-Scharif («das edle Heiligtum»), die Juden nennen ihn Har haBait («Tempelberg»). Die Bezeichnung Tempelberg erinnert daran, dass hier ursprünglich der Erste und danach der Zweite Jüdische Tempel standen. Auf dem Plateau befinden sich heute zwei wichtige islamische Sakralbauten: der Felsendom mit seiner bekannten goldenen Kuppel und die al-Aksa-Moschee.
Auf dem Berg Moriah, wie der Hügel anfänglich hiess, sollte Abraham der Legende nach seinen Sohn Isaak opfern. Laut dem Talmud formte Gott Adam aus einem Stück Erde, das er hier entnahm. Nachdem David den Platz einem Jebusiter namens Arauna für 50 Silberstücke abgekauft hatte, baute sein Nachfolger Salomo hier um 951 v. Chr. den Ersten Tempel, in dessen Allerheiligstem die Bundeslade aufbewahrt wurde. Mit der Zeit wurde dieser Tempel zur einzigen jüdischen Kultstätte. Der Erste Tempel wurde 586 v. Chr. von den Neubabyloniern unter Nebukadnezar II. zerstört.
Nach dem Ende der babylonischen Gefangenschaft konnten die Juden 516 v. Chr. mit persischer Hilfe einen Zweiten Tempel errichten, der dann um 19 v. Chr. von Herodes dem Grossen zu einer grossen Anlage ausgebaut wurde. Dieser Zweite Tempel wurde von den Römern nach einem jüdischen Aufstand um 70 n. Chr. zerstört. Einzig die westliche Stützmauer blieb erhalten, die heute Klagemauer heisst und das wichtigste jüdische Heiligtum überhaupt darstellt. Viele orthodoxe Juden vermeiden es, auf den Tempelberg zu gehen, da sie nicht unwissentlich den Ort betreten wollen, an dem sich das Allerheiligste befand. Das Judentum verlor mit dem Tempel sein einziges kulturelles und religiöses Zentrum; fortan gewann das rabbinische Judentum mit der Synagoge an Bedeutung.
Für den Islam, die jüngste der drei abrahamitischen Religionen, hatte Jerusalem schon vor der muslimischen Eroberung (638 n. Chr.) eine besondere Bedeutung: Der Religionsgründer Mohammed hatte ursprünglich bestimmt, dass die Muslime in Richtung Jerusalem (al-Kuds) beten sollten. Erst um 624 n. Chr. änderte er die Gebetsrichtung (Qibla) – heute richten sich die Muslime nach der Kaaba in Mekka aus.
Nachdem Kalif Omar Jerusalem erobert hatte, bauten die Muslime am Ort des Allerheiligsten den Felsendom (687-691) – heute der älteste islamische Sakralbau – und am Rand des Plateaus die al-Aksa-Moschee («die fernste Moschee», 706-717). Zusammen gelten sie als drittwichtigstes Heiligtum des Islams; ein Gebet soll hier 500 Mal eher erhört werden als anderswo. Der Überlieferung nach wurde hier auch das erste Minarett errichtet.
Mohammed war nie in Jerusalem, doch die muslimische Überlieferung spricht von einer wundersamen Nachtreise des Propheten. Mohammed soll demnach auf einem Fabelwesen namens al-Buraq – ein weisses Pferd mit Adlerschwingen und menschlichem Antlitz – in einer Nacht von Mekka nach Jerusalem geritten sein. Vom Tempelberg soll er dann in den Himmel aufgestiegen sein, wo er mit Allah über die Zahl der täglichen Gebete verhandelte. Ein Hufabdruck im Gestein unter dem Felsendom erinnert daran.
11 Tore an der Nord- und Westseite des Plateaus ermöglichen den Zutritt zum Tempelberg. Zehn davon sind für Muslime reserviert, die in der Regel ungehinderten Zugang geniessen. . Aus Sicherheitsgründen untersagen die israelischen Sicherheitskräfte jedoch an bestimmten Tagen – besonders an hohen Feiertagen – muslimischen Männern unter 50 Jahren den Zugang zum Tempelberg.
Juden und arabischen Israelis verwehrte Jordanien bis zur israelischen Eroberung 1967 den Zutritt. Heute dürfen Juden und andere Nicht-Muslime den Tempelberg als Touristen betreten, allerdings nur über das Marokkanertor (auch Maghrebinertor, Bab al-Magariba genannt) bei der Klagemauer. Bis zu den aktuellen Spannungen mussten die Besucher nur an diesem Zugang Sicherheitsschleusen mit Metalldetektoren passieren.
Für Nicht-Muslime gelten zudem zeitliche Beschränkungen: Sie dürfen den Tempelberg nur ausserhalb der muslimischen Gebetszeiten betreten, am Freitag ist ihnen der Zugang den ganzen Tag über verwehrt. Die al-Aksa-Moschee und den Felsendom dürfen sie seit 2000 nicht mehr betreten. Den nicht-muslimischen Besuchern ist ausserdem verboten, Bücher oder Kultgegenstände – zum Beispiel Kreuze – mitzunehmen. Auch ist es Nicht-Muslimen verboten, auf dem Tempelberg zu beten.
Seit der Eroberung Ostjerusalems im Sechstagekrieg kontrollieren israelische Sicherheitskräfte den Zugang zum Tempelberg. Das Areal selber wird aber von Mitarbeitern des Waqf verwaltet und überwacht. Diese islamische Stiftung übt die Aufsicht über die heiligen islamischen Stätten auf dem Tempelberg und zudem über die Moschee im Patriarchengrab in Hebron aus.
Der Waqf wiederum steht unter jordanischer Aufsicht und wird gänzlich von Jordanien finanziert, da die Dynastie der Haschemiten – die Jordanien beherrscht – seit 1924 über die heiligen Stätten von Jerusalem wacht. Diese Rolle Jordaniens wurde im israelisch-jordanischen Friedensvertrag von 1994 ausdrücklich bestätigt.
Nach dem Ende des Osmanischen Reiches war Jerusalem Teil des Völkerbundsmandats Palästina, das von Grossbritannien verwaltet wurde. Der UNO-Teilungsplan von 1947, der Palästina nach dem Ende des britischen Mandats in einen jüdischen und einen arabischen Staat teilen sollte, sah für Jerusalem eine internationale Verwaltung vor. Dies wurde nie realisiert, da die arabische Seite den Teilungsplan gesamthaft ablehnte. Im Palästinakrieg kam Ostjerusalem wie das Westjordanland unter jordanische Kontrolle. Jordanien annektierte das Gebiet 1950, was international jedoch nicht anerkannt wurde.
Im Sechstagekrieg 1967 eroberten israelische Truppen Ostjerusalem. Die Verwaltung des Tempelbergs beliessen die Israelis aber auf Geheiss von Verteidigungsminister Mosche Dajan in den Händen des Waqf. Dieser Status quo blieb auch bestehen, nachdem Israel 1980 Ostjerusalem annektierte und israelisches Recht auch im Ostteil der Stadt gilt. Auch diese Annexion wurde im Übrigen international nicht anerkannt – der Tempelberg gilt daher nach wie vor als besetztes Gebiet.
Auf der palästinensischen Seite herrschen Unmut und Besorgnis, weil eine zunehmende Anzahl von nationalistischen Juden den Tempelberg aufsucht, von denen manche beten wollen. Wenn sie dabei erwischt werden, wirft sie die israelische Polizei normalerweise hinaus. Bestrebungen, den Juden das Gebet auf dem Tempelberg zu erlauben, werden auch von einigen Abgeordneten in der Knesset unterstützt.
Einige ultranationalistische Hardliner – namentlich die Mitglieder des sogenannten «Tempel-Instituts» – würden sogar gern den Felsendom sprengen, um an dieser Stelle einen dritten jüdischen Tempel zu bauen. Diese Pläne sind derzeit in Israel jedoch alles andere als mehrheitsfähig; auch die Regierung in Jerusalem hat mehrmals ausdrücklich betont, es sei keine Statusänderung beabsichtigt.
Ich lese ALLE seine Artikel gerne und erachte sie grossmehrheitlich als bildungs- und wissensfördernd.
Kompliment 👍🏼!
Um den Tempelberg ist heute alles business as usual. Es hat definitiv noch viele Metalldetektoren und Armeepräsenz, die etwas nervös scheinen.
Touristen stört das nicht, sind alle fröhlich am Shoppen und Selfiesticklen