Die Gäste im Plenarsaal «Seine» warteten. Und sie warteten schon lange. Seit rund zwei Stunden sassen die Top-Klimadiplomaten aus 196 Ländern der Welt, die meisten von ihnen Minister, schon erwartungsfroh auf ihren Plätzen. Doch es passierte nichts. Wieder und wieder verschoben die französischen Gastgeber am Samstagabend den Start der entscheidenden Sitzung zum Weltklimavertrag. Hinter den Kulissen waren noch drei Probleme zu lösen. Wären sie auf offener Bühne diskutiert worden, es hätte den Verhandlungserfolg von Paris womöglich in letzter Sekunde zunichte gemacht. Am Ende sorgte, so ist zu hören, auch ein Anruf aus Rom für einen entscheidenden Durchbruch.
Aber eins nach dem anderen: Da waren zunächst einmal die Amerikaner. Sie hatten ein Problem in Artikel 4.4 des geplanten Abkommens. Nur ein einziges Wort. Ein «shall», so forderten sie, sollte durch ein «should» ersetzt werden – «sollen» durch «sollten». Sechs Buchstaben statt fünf. Das roch nach Haarspalterei. Allerdings ging es um eine Passage des Textes, auf die man vor allem im Kongress in Washington genau schaute – weil sich daraus womöglich eine völkerrechtlich bindende Verpflichtung für CO2-Minderungen hätte ableiten lassen.
Die republikanische Parlamentsmehrheit hätte dann mit Sicherheit darauf beharrt, über den Vertrag abzustimmen – und ihn anschliessend in der Luft zerrissen. Dieses Risiko konnte die US-Delegation nicht eingehen. Deswegen zeigten sich Aussenminister John Kerry und seine Leute hart. Gipfelpräsident Laurent Fabius würde das Problem später in der Sitzung mit einem Kniff aus der ganz hohen Schule der Diplomatie lösen: Das betreffende Wort «shall» sei an dieser Stelle ganz einfach ein Schreibfehler, erklärte er gewitzt, verursacht von einer übernächtigten Hilfskraft.
In früheren Fassungen des Textes habe dort schliesslich auch ein «should» gestanden. So werde man es flugs wieder korrigieren. Problem gelöst – auch weil Staaten wie Indien, China und Brasilien vorher unter der Hand ihre Zustimmung zu diesem Ausweg signalisiert hatten.
Dann war da noch die Sache mit den Türken. Sie sind eine Art Sonderfall in den Verhandlungen. Seit dem Kyoto-Protokoll waren die Staaten beim Klimaschutz in Industrie- und Entwicklungsländer eingeteilt – und mussten dementsprechend etwas tun oder nicht. Die Türkei lief unter «Wirtschaft im Umbruch», so wie andere Ostblockstaaten, die mittlerweile aber EU-Mitglied sind. In Ankara forderte man bis zuletzt, dass der Sonderstatus erhalten bleiben müsse.
Das Verhandlungsmandat der türkischen Unterhändler, so hörte man in Paris, sei direkt im Präsidentenpalast geschrieben worden – deswegen konnten sie sich in den letzten Stunden des Gipfels kaum flexibel zeigen. Doch auch dieser Knackpunkt liess sich mit Geschick lösen. Bis zum Klimagipfel in marokkanischen Marrakesch nächstes Jahr soll dazu ein Vorschlag erarbeitet werden, so die Einigung. Die Eskalation war auch hier verhindert.
Probleme notfalls auf eine spätere Konferenz zu vertagen, das ist nicht neu im Klimabetrieb – und bringt nach einiger Zeit oft überraschend gute Ergebnisse. Nur eben nicht so schnell. Dieses Prinzip hier anzuwenden, das brachte am Ende auch die Türken auf Linie.
Die wohl härteste Nuss war aber Nicaragua. Dessen Chefunterhändler Paul Oquist, geborener Amerikaner und Doktor der Politikwissenschaft der University of California in Berkeley, hatte klar gemacht, dass sein Land unter keinen Umständen zustimmen wolle. Der schnauzbärtige Oquist gilt als enger Vertrauter von Präsident Daniel Ortega – und begleitet die Klimaverhandlungen schon lange auf seine ganz besondere Art.
Die Linie der Nicaraguaner ist mit Fundamentalopposition ganz gut beschrieben. Sie fordern, dass sich die Industriestaaten viel stärker anstrengen müssen, um das Klima zu retten. Als einziges Land der Welt lehnen sie es explizit ab, nationale Klimaschutzziele zu veröffentlichen – so wie es bereits 186 von 196 Staaten getan haben. Das Argument: Die Freiwilligkeit der Zusagen schicke die Welt auf Kurs für ein Temperaturplus von drei oder gar vier Grad. Da wolle man kein Komplize sein.
Um das Problem zu lösen, so erzählt man es sich jedenfalls in Paris, setze die französische Regierung schliesslich auf einen Anruf von ganz oben – im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Diplomat mit guten Kontakten zum Papst habe das katholische Kirchenoberhaupt dazu bringen können, an entscheidender Stelle in Mittelamerika anzurufen. Er sei dafür sogar extra aus einer Messe geholt worden, heisst es.
Franziskus hat sich mit seiner Umweltenzyklika («Über die Sorge für das gemeinsame Haus») vom Juni klar auch als Klimaschützer positioniert – und dabei nicht nur an die Mächtigen der Welt, sondern an jedermann appelliert. Doch seine Intervention vom Samstag richtete sich offenbar gezielt an die hohe Politik. Und, wie es scheint, hatte sie Erfolg.
Der Nicaraguaner Oquist bekam offenbar neue Orders von oben. Jedenfalls stoppte er den Vertrag in der entscheidenden Schlusssitzung nicht, die auch wegen ihm mit zwei Stunden Verspätung begonnen hatte. Er bat zwar vor der entscheidenden Abstimmung um das Wort, doch Gipfelpräsident Fabius hämmerte das Abkommen vorher durch – und erntete langanhaltenden Beifall und stehende Ovationen.
Als Oquist anschliessend sprach, beklagte er zwar, sein Land sei «nicht gehört» worden und kritisierte: «Das schwächt den Multilateralismus». Aber zum Geisterfahrer wurde er nicht – das Abkommen blieb unangetastet. Laurent Fabius erklärte anschließend, man nehme die Bedenken auf jeden Fall zu den Akten. Mit anderen Worten: Die Sache ist erledigt. Und wie es aussieht, hat auch der Papst dabei mitgeholfen, dass die Welt jetzt erstmals einen historischen Klimavertrag hat, der für alle Staaten gilt.