Am Freitagmorgen wurde in der Bundesrepublik Deutschland gegen das Völkerrecht verstossen. Ohne eine vorgängige Deklaration wurde der Krieg ausgerufen. So zumindest der Tenor in den deutschsprachigen Medien.
Wenn am Montagmorgen die Rauchschwaden die Elbe hinaufziehen und freie Sicht aufs verlassene Schlachtfeld geben, dann lohnt es sich, nüchtern Bilanz zu ziehen: Mehrere Hundert Polizisten wurden verletzt, eine ungenaue Zahl an Demonstranten wurde verletzt, Dutzende Autos fielen den Flammen zum Opfer, einzelne Geschäfte wurden geplündert, Scheiben eingeschlagen, der Sachschaden beläuft sich vermutlich in der Höhe von mehreren Millionen Euro.
Was es nicht gegeben hat: Tote. Wie in Genua. Wie in Göteborg.
Vielleicht ist das einem glücklichen Zufall geschuldet: Wäre einer der Molotow-Cocktails, mit dem die rücksichtslosen und entfesselten Gewalttäter unter den Demonstranten hantierten, ein bisschen genauer gezielt gewesen, so hätten die Einsatzkräfte nun vielleicht einen Toten zu beklagen. Wäre einer der Polizisten, die am Steuer der Räumungsfahrzeuge sassen, ein bisschen forscher aufs Gas getreten, so hätte möglicherweise ein Demonstrant sein Leben verloren. Nach aktuellem Stand gibt es sieben Schwerverletzte, aber in Lebensgefahr schwebt niemand.
Was es sehr wohl gegeben hat: Ein Gefühl der Unsicherheit und Angst bei Anwohnern, Touristen, Polizisten und friedlichen Demonstranten. Ein psychologischer Ausnahmezustand angesichts von vermummten Jugendlichen, die brandschatzend durch Altona zogen und von Hundertschaften der SEK, die mit Schnellfeuergewehren und martialischer Ausrüstung durchs Schanzenviertel patrouillierten.
Das reicht aber noch nicht, um den Krieg herbeizuschreiben. Sonst herrschten fast jedes Wochenende in und um Fussballstadien bewaffnete Konflikte. Sonst stünde jeder zweite Polizeieinsatz an der Zürcher Langstrasse an der Schwelle zur Kriegserklärung. Wäre jeder Aufmarsch der Revolutionären Jugend am 1. Mai ein Casus Belli.
Die Mitglieder des schwarzen Blocks und anderer autonomer Gruppen, die marodierend durch die Hafenstadt gezogen sind, gehören bestraft. Die Härte des Gesetzes werden sie so oder so zu spüren bekommen, die deutsche Justiz ist noch nie gross aufgefallen mit einer Milde gegenüber linksextremen Gewalttätern. Wer nun aber Vergeltungsmassnahmen herbeifantasiert, von Sippenhaft für die gesamte Linke träumt und von «Protestterroristen» schwadroniert, dem fehlt ganz offenbar das Augenmass. Oder, er will die schrecklichen Bilder aus Hamburg für politische Zwecke ausschlachten. Beides ist nicht opportun.
Ebensowenig ist es angebracht, von Krieg zu sprechen.
Krieg passiert in Syrien, wo auch sechs Jahre nach Ausbruch des Konflikts tagtäglich Menschen getötet und verschleppt werden, wo Hunderttausende ihr Obdach verloren haben und zur Flucht gezwungen sind. Wo eine ganze Region in den Strudel von Chaos, Gewalt und politischer Destabilisierung gerissen wurde.
Am G20-Gipfel verkündeten Trump und Putin einen Waffenstillstand für den Südwesten Syriens. Kein Meilenstein, aber ein Schritt in die richtige Richtung, bevor die Friedensgespräche heute Montag in Genf fortgesetzt werden.
Nur hat das unter dem Bann eines imaginären Krieges gar niemand mitbekommen.