International
Kommentar

Ankaras Zickenkrieg mit Europa: Tickt Erdogan völlig aus?

Kommentar

Ösis sind Nazis und deutsche Medien manipuliert: Ticken Erdogan und Co. jetzt völlig aus?

05.08.2016, 19:5306.08.2016, 08:44
Philipp Dahm
Folge mir
Mehr «International»
Turkish President Recep Tayyip Erdogan attends a funeral service for victims of the thwarted coup in Istanbul at Fatih Mosque in Istanbul, Turkey, July 17, 2016. REUTERS/Alkis Konstantinidis
Mann der Masse: Der türkische Präsident Reccep Tayyip Erdogan.Bild: ALKIS KONSTANTINIDIS/REUTERS

Immer Ärger mit der Türkei: Seit dem gescheiterten Putschversuch müht sich die Regierung von Präsident Erdogan redlich, nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland «auszuräumen». Und langsam, aber sicher hat die Diplomatie Sandkastenniveau erreicht. Namentlich geht es um einen Disput zwischen Ankara und Wien.

Was ist passiert? Gerade erst hat Brüssel der Türkei 1,4 Milliarden Euro überwiesen, damit dort Migranten versorgt werden können. Das war ja der Deal mit der EU: Ankara bekommt Geld und kümmert sich um die Flüchtlinge. Dafür können die Türken ohne lästigen Papierkram Grenzen überqueren – wenn sie denn die Voraussetzungen für visafreie Reisen schaffen.

Das Elend syrischer Flüchtlinge

1 / 25
Diese 23 Bilder aus Syrien beweisen, dass gerade was komplett falsch läuft
Die Lage an der syrisch-türkischen Grenze ist prekär. Rund 40'000 Menschen warten darauf, das Bürgerkriegsland zu verlassen.
quelle: x03674 / ammar abdullah
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Das Problem: Jene Bedingungen für die Visafreiheit in der EU wurden bisher nicht erfüllt. Für Erdogans Politiker ist das aber kein Grund, nicht trotzdem Druck zu machen: Wenn die Visafreiheit bis Oktober nicht kommt, platzt der Flüchtlingspakt, drohte Aussenminister Mevlut Cavusoglu unverhohlen.

Das war am 3. August.

Militärputsch in der Türkei

1 / 44
Militärputsch in der Türkei
Die Türkei stellt nach dem vereitelten Militärputsch die Gefangenen zur Schau: Der Nachrichtensender CNN veröffentlichte diese Bilder von halbnackten Verhafteten, wie sie offenbar in einem Lagerraum gefesselt gehalten werden. (Quelle: CNN)
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Am 4. August reagierte Wien. Der österreichische Kanzler forderte, die Beitrittsverhandlungen zur EU auszusetzen – weil die demokratischen Standards beim Aspiranten nicht ausreichten. «Ich sehe einen Beitritt der Türkei auf Jahre, wenn nicht auf Jahrzehnte für ein Ding der Unmöglichkeit an», urteilte Christian Kern.

Und nun beginnt ein Schlagabtausch auf höchstem diplomatischem Level – und tiefstem intellektuellen Niveau. Erst meldete sich Ankaras Europaminister Omer Celik zu Wort. «Es ist verstörend, dass seine Kommentare ähnlich wie die der Rechtsaussen klingen», sagte er. Aussenminister Mevlüt Cavusoglu setzte noch einen drauf. Österreich sei ein Hort des «radikalen Rassismus».

Dass sich die türkische Politik nicht über die Äusserungen Kerns freut, ist nur recht und billig. Der Österreicher begründet seine Aussage allerdings: Er bezieht sich auf die extremen Massnahmen, mit denen die Regierung Erdogans seit dem Putschversuch Gesellschaft und Politik umkrempelt. Die Retourkutsche aus Ankara bestätigte beinahe, was der Türkei unterstellt worden ist: Wien wegen dieser Kritik Rassismus zu unterstellen, ist nicht recht und nur billig.

Lynchstimmung in der Türkei

1 / 11
Lynchstimmung in der Türkei
Szene vom 16. Juli in Istanbul: Eine aufgebrachte Menge geht gegen vermeintliche Putschisten vor.
quelle: x90138 / murad sezer
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Am 5. August geht der Schaukampf im Kindergarten weiter, weil unsere Nachbarn der Sache nicht den Wind aus den Segeln nehmen, sondern Öl ins Feuer giessen. «Ich weise die Kritik an Österreich scharf zurück», sagte Aussenminister Sebastian Kurz. Und: «Ankara ist dazu aufgerufen, sich in Wortwahl und Vorgehen im Land zu mässigen sowie die Hausaufgaben zu machen.»

Die einen ziehen den plumpen Nazi-Joker, die anderen kontern mit schulmeisterlicher Belehrung. Dass in diesem Kampf der Unkultur nun die dritte Runde folgt, ist so sicher wie das Amen in einer Wiener Kirche (oder der Muezzinruf in einer Moschee in Ankara).

Animiertes GIFGIF abspielen
Der Konflikt als GIF. Du kannst dir aussuchen, wer wer ist!
gif: giphy

Doch nicht nur mit Österreich legt sich die türkische Politik an, auch im Presse(freiheit)-Zickenkrieg mit Deutschland gibt es Neuigkeiten. Aussenminister Mevlüt Cavusoglu hat deutschen Medien vorgeworfen, fremdgesteuert gegen die Türkei und ihren Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan Stimmung zu machen.

«In den meisten europäischen Ländern sind die Medien nicht frei. Vor allem in Deutschland sind sie überhaupt nicht frei.»
Der türkische Aussenminister Mevlüt Cavusoglu

Deutschlands Presseorgane «werden alle vollständig von einem Kontrollmechanismus geleitet», erklärte Cavusoglu am Freitag dem regierungsnahen Sender TGRT. Dass alle «gegen die Türkei und unseren Präsidenten berichten, ist kein Zufall, das wissen wir». Wer da Kontrolle ausübt, verriet er übrigens nicht. 

Nachdem Präsident Erdogan einen Rechtsstreit gegen den deutschen Moderator Jan Böhmermann angestrengt hat, im eigenen Land Hunderte wegen Beleidigung verklagt und diverse Journalisten kaltgestellt hat, sind solche Aussagen türkischer Politiker nur noch merkwürdig. Vielleicht soll diese Propaganda innenpolitisch wirken – aussenpolitisch treibt sie Ankara in die Isolation.

Lange vor dem Putschversuch: Türkei verhaftet Journalisten

1 / 12
Türkei verhaftet Journalisten
In der Türkei sind Mitte Dezember 2014 mindestens 24 Journalisten, TV-Produzenten und Polizisten festgenommen worden.
quelle: x90138 / murad sezer
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Der nächste Zickenkrieg ist übrigens schon vorprogrammiert. Dann legt sich die Türkei mit dem dicksten, stärksten Kind im Sandkasten an: dem kleinen Uncle Sam. Ankara hatte Washington ein Dossier geschickt, das die Auslieferung des Erdogan-Intimfeinds Fethullah Gülen rechtfertigen sollte. Der Präsident selbst tönte mit Blick auf den Putschversuch, man müsse «blind» sein, «um nicht zu verstehen, dass er hinter all dem steckt».

Animiertes GIFGIF abspielen
Um es mal so zu sagen: Uncle Sam ain't no one to fuck with!gif: giphy
Türkei
AbonnierenAbonnieren

Doch für Washington sind die vorgelegten Beweise aus Ankara offenbar nicht stichhaltig genug: Wie das «Wall Street Journal» erfahren haben will, wird das Aussenministerium das Auslieferungsgesuch ablehnen. Mal sehen, wie der türkische Präsident und seine Mannen damit umgehen werden. Könnte sein, dass jemand aus der Sandkastentruppe wild um sich schlagen wird. Fortsetzung folgt – ganz gewiss.

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
76 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
reaper54
05.08.2016 20:09registriert März 2015
Die Österreicher haben vollkommen recht. So wie sich die Türkei benimmt ist es unter aller Sau und Europa duldet es und lässt sich auf der Nase herumtanzen.
1734
Melden
Zum Kommentar
avatar
Bobo B.
05.08.2016 21:08registriert März 2015
Man sollte ins Auge fassen, die in westlichen Staaten lebenden Erdoganisten (damit meine ich ausdrücklich nicht alle Türken) in ihre gelobte Heimat zu deportieren. Dort können sie unter der Ägide des grossartigen Führers neue Wunder in Wissenschaft und Technik erschaffen und der Welt zeigen, wo der Hammer hängt...
16812
Melden
Zum Kommentar
avatar
blobb
05.08.2016 20:10registriert Juni 2016
Wird Zeit, dass Böhmermann aus der Sommerpause zurückkommt.
1406
Melden
Zum Kommentar
76
Skyguide führt Pannen auf technische Innovationen zurück
Der Chef der Flugsicherungsfirma Skyguide, Alex Bristol, hat die jüngste Häufung von Pannen auf neue technische Innovationen zurückgeführt. Bei deren Lancierung liessen sich solche Vorfälle nie ausschliessen, wie Bristol in einem Interview sagte.

Bristol betonte mehrfach, dass die Sicherheit immer gewährleistet war und ist. Die Häufung der Vorfälle lasse sich nicht leugnen, sagte der Skyguide-Chef im am Donnerstag publizierten Interview mit CH Media. Er kündigte eine externe Untersuchung an.

Zur Story