Seit Jahrzehnten galt Bob Dylan als Anwärter auf den Literatur-Nobelpreis. Daran geglaubt haben wohl nur die wenigsten. Wieso sollte die elitäre Stockholmer Akademie ausgerechnet einen Vertreter der Populärmusik auszeichnen? Eine Akademie, die seit Jahren eine Aversion gegen alles US-Amerikanische kultivierte? Der grosse John Updike wartete bis zu seinem Tod vergeblich auf die Auszeichnung, Philip Roth ist der ewig ungekrönte Favorit.
Und nun das: Dylan hat es gepackt. Was für eine grandiose, irre Idee! So lautete meine erste Reaktion. Die Schwedische Akademie hat es geschafft, in jeder Hinsicht über ihren Schatten zu springen. Sie zeichnet einen Mann aus, der sich nicht als Literat, sondern als Musiker versteht. Und der als wohl grösster Songwriter der jüngeren Geschichte dennoch ein genialer Poet ist. Man darf behaupten, dass er aus der Popmusik eine seriöse Kunstform gemacht hat.
Ein grosser Fan von Robert Allen Zimmerman war ich nie. Ich verehrte die Beatles und ihren nicht minder brillanten Mastermind John Lennon. Irgendwann aber wurde auch ich vom Phänomen Dylan eingeholt. Einige wenige Male habe ich ihn live gesehen. Es war ein durchzogenes Vergnügen. Die Qualität seiner Songs und nicht zuletzt der Texte aber ist unbestreitbar.
Der Protestbewegung der 1960er Jahre verlieh er seine unverwechselbare Stimme, er bannte sie in unvergessliche Songs. Damit meine ich weniger das zu oft abgenudelte «Blowin' in the Wind». Unglaublich aber, wie er in «The Times They Are a-Changin'» die Befindlichkeit einer aufbegehrenden Jugend in einen dreiminütigen Song verpackt hat. Sein Meisterstück aus jener Zeit bleibt für mich das wundersam-rätselhafte Epos «A Hard Rain's a-Gonna Fall».
Seine Weiterentwicklung zum Rocker mit E-Gitarre – wofür ihn die Folkgemeinde als «Judas» beschimpfte – kulminierte im Jahrhundertsong «Like a Rolling Stone» und im grossartigen Doppelalbum «Blonde on Blonde». Damals entstand auch der exzellente Dokumentarfilm «Don't Look Back» über seine England-Tour 1965. Zu Dylans einzigartiger Aura gehört, dass er sich den Erwartungen seiner Fans immer wieder verweigert hat.
Das führte ihn auch auf Irrwege, etwa zur Konversion des gebürtigen Juden zum Fundi-Christentum. Geschadet haben sie ihm nicht. In den 90er Jahren erlebte er nach einigen eher mauen Platten ein Comeback, mit dem düsteren Album «Time Out of Mind». «Things Have Changed», ein Abgesang auf die Ideale der 60er, bescherte ihm 2001 den Oscar für den besten Filmsong.
Man kann seine grossen Songs gar nicht aufzählen, man muss sie hören. Der Literaturnobelpreis wird hoffentlich auch manchen dazu anregen, der bislang über diese Musik die Nase rümpfte. Auch für mich, der ich nie ein grosser Fan war, gibt es noch viel zu entdecken. Drei Tipps aber seien hier noch erwähnt, die über sein eigentliches Schaffen hinausgehen:
Da hat Dylan ihn wohl auch mehr als verdient.