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Kommentar

Wenn Wahrheit im Bullshit ertrinkt

President Donald Trump and first lady Melania Trump step off Air Force One as they arrive at the Palm Beach International Airport, Thursday, April 6, 2017, in West Palm Beach, Fla., en route to Mar-a- ...
Er treibt das Konzept des Bullshits auf die Spitze: US-Präsident Donald Trump.Bild: Alex Brandon/AP/KEYSTONE
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Herzlich willkommen im Zeitalter des Bullshits

08.04.2017, 17:1109.04.2017, 13:56
Marko Kovic
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Schon seit einiger Zeit wird in den Feuilletons argumentiert, wir befänden uns in einem «postfaktischen Zeitalter». Doch was meinen wir damit genau? Dass Politikerinnen und Politiker heute mehr lügen als zuvor? Wie viele Lügen braucht es dann genau, bis etwas «postfaktisch» wird?

Postfaktischer politischer Diskurs hat nicht unbedingt etwas mit Lügen und Lügnern zu tun. Postfaktischer Diskurs zeichnet sich eher dadurch aus, dass die Wahrheit im Sinne der objektiven Realität grundsätzlich an Bedeutung verliert – das, was passiert, ist also noch schlimmer als Lügen.

Dr. des. Marko Kovic ist Präsident von Skeptiker Schweiz – Verein für kritisches Denken und von ZIPAR – Zurich Institute of Public Affairs Research.
Dr. des. Marko Kovic ist Präsident von Skeptiker Schweiz – Verein für kritisches Denken und von ZIPAR – Zurich Institute of Public Affairs Research.

Der Lügner orientiert sich eigentlich genau so stark an der Wahrheit, wie jemand, der nicht lügt. Der Lügner kann ja überhaupt erst dadurch lügen, dass er weiss, was die Wahrheit ist. Auf eine perverse Art respektiert der Lügner also die Wahrheit, denn dadurch und nur dadurch, dass er weiss, was die Wahrheit ist, kann er lügen.

Beim postfaktischen Diskurs hingegen spielt Wahrheit gar keine Rolle mehr: Es ist egal, ob das, was behauptet wird, wahr oder falsch ist, solange mit dem Gesagten die gewünschte Wirkung erzielt wird. Diese Art von Sprechhandlung hat in philosophischen Kreisen eine prägnante Bezeichnung: Bullshit.

Postfaktischer, von Bullshit geprägter politischer Diskurs ist nichts Neues. Gerade in den USA ist Bullshit eine etablierte Strategie, um Zweifel an wissenschaftlichen Befunden zu säen. Befunde zu den Konsequenzen von Blei in der Umwelt, Befunde zu den Konsequenzen von Tabak und Zigaretten, Befunde zu den Konsequenzen der Nutzung fossiler Brennstoffe: Seit Jahrzehnten wird Bullshit erfolgreich eingesetzt, um wissenschaftliche Befunde in der öffentlichen Wahrnehmung zu verzerren.

Ob der Bullshit, der dabei verzapft wird, wahr ist oder nicht, ist egal – Hauptsache, die Öffentlichkeit wird beeinflusst und verunsichert.

Bullshit ist nichts Neues – aber Bullshit hat heute Hochkonjunktur. Das hat nicht nur mit Donald Trump zu tun: Die Trump-Regierung und ihr verschwörungstheoretischer Kampf gegen die Wahrheit (Journalisten, die Trump kritisieren, sind pauschal «Fake News») mögen die hellsten Sterne am Bullshit-Firmament sein, aber uns allen steht der Bullshit bis zum Hals.

Die Kehrseite des Internets

Das Internet hat, zweifellos, zahlreiche positive Seiten. Dank des Internets wandelt sich nicht zuletzt auch die Art und Weise, wie wir die Welt wahrnehmen: Wir können heute nach unserem persönlichen Gusto Informationen zu allen möglichen Themen zusammensuchen und sind nicht mehr auf einige wenige «Gatekeepers» angewiesen. Das ist an und für sich super, wäre da nur nicht die Natur unseres Denkapparates: Wir alle haben die Tendenz, Dinge, an die wir glauben, auch weiterhin glauben zu wollen.

Das führt dazu, dass wir versuchen, das, was wir eh schon glauben, zu bestätigen – diese kognitive Verzerrung wird Bestätigungs-Bias genannt. Das Internet ist eine enorme Spielwiese für unseren Bestätigungs-Bias: Es war noch nie derart einfach wie heute, Dinge, an die wir glauben wollen, mit schier unendlich vielen Quellen zu «bestätigen», und Dinge, an die wir nicht glauben wollen, mit ebenso vielen Quellen zu «widerlegen». Oftmals ist hierbei bildlich die Rede von Echokammern, denn wir hören im Grunde einfach das, was wir selber schon sagen.

Unser fehleranfälliges Hirn macht keinen grossen Unterschied zwischen einem anonymen Tweet und einer umfangreichen wissenschaftlichen Studie. Im Internet zählt nur Quantität, nicht Qualität, und für das, was wir glauben wollen, findet sich immer Quantität.

So schwimmen wir nun also alle online in einem Ozean von Bullshit. Das Ziel des Online-Bullshits ist, das, was wir eh schon glauben, immer weiter und weiter zu «bestätigen», sowie auch andere zu überzeugen, dass sie das, was wir glauben, auch glauben sollen. Ob dabei das, woran wir glauben, auch wahr ist, ist egal.

Es mag in diesem Sinne für manche von uns unverständlich sein, wenn viele Menschen online glauben, dass jeder Terroranschlag im Westen nur eine (bisweilen mit Schauspielern inszenierte) «False Flag»-Operation westlicher Regierungen gegen ihre eigene Bevölkerung ist. Es mag für manche von uns unverständlich sein, wenn viele Menschen glauben, Impfungen seien Gifte, die bestenfalls Kinder autistisch machen. Es mag für manche von uns unverständlich sein, wenn viele Menschen glauben, sie hätten die metaphorische «rote Pille» («redpilling») zu sich genommen und würden nun endlich erkennen, dass an all unseren Problemen Feministinnen sowie Menschen mit brauner und schwarzer Haut schuld sind. All diese Dinge sind für manche von uns unverständlich, aber für jene, die daran glauben, sind diese Dinge nur eines: Die unumstössliche Wahrheit. Eine Realität à la carte, serviert an dichter Bullshit-Sauce.

Am Schluss holt uns die Realität immer ein

Politik und Bullshit gehören seit jeher zusammen; das ist nichts Neues. Das Problem im aktuellen postfaktischen Diskurs sind denn auch nicht einfach die politischen Eliten: Heute zelebrieren wir alle Bullshit mehr denn je.

Das Problem ist, dass uns die Realität früher oder später einholt. Das hat sie bisher immer getan.

Auch wenn es uns schwer fällt, müssen wir uns darum auch in Zeiten der Bullshit-Omnipräsenz eine seit der Aufklärung zentrale Frage stellen:

«Habe ich wirklich gute Gründe, um zu glauben, was ich glaube?»

Nur dadurch, dass wir uns selber kritisch hinterfragen, können wir uns gegen den immer stärker werdenden Sog von Bullshit rational zur Wehr setzen.

Paradebeispiele von Bullshit: Die besten Tweets von Trump

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Bald gibt's mehr davon: Die besten Tweets von Trump
Trump mag keine schlechten Umfragewerte, nicht im Fernsehen und auch nicht als Präsident. Was tun, wenn die Umfragewerte schlecht sind? Sagen, dass sie falsch sind.
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63 Kommentare
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Bouz
08.04.2017 19:32registriert Februar 2015
👏🏻👏🏻👏🏻👏🏻

Sehr guter Artikel.
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zoobee1980
08.04.2017 17:22registriert Oktober 2014
Danke, Marko Kovic, für diesen lesenswerten Kommentar, und danke watson, dass ihr solche "Perlen" bringt!
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Amadeus
08.04.2017 18:06registriert September 2015
Danke für diesen informativen Kommentar!
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