Wegen eines umstrittenen Schmähgedichts auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat die Staatsanwaltschaft Mainz nach «Spiegel»-Informationen strafrechtliche Ermittlungen gegen den Satiriker und Moderator Jan Böhmermann eingeleitet.
Wie die Leiterin der Ermittlungsbehörde, Andrea Keller, auf Anfrage bestätigte, sei ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Beleidigung von Organen oder Vertreter ausländischer Staaten eingeleitet worden. Der Paragraf 103 des Strafgesetzbuchs sieht im Fall einer Verurteilung eine Haftstrafe von drei Jahren vor.
Zuvor seien «bei der Staatsanwaltschaft Mainz bislang rund 20 Strafanzeigen von Privatpersonen eingegangen», sagte Keller am Mittwoch. «Die bereits eingegangen und mutmasslich noch eingehenden weiteren Anzeigen werden alle in einem Ermittlungsverfahren zusammengeführt und bearbeitet», sagte die Juristin.
Der @neomagazin Hashtag der Woche: #witzefrei
— Jan Böhmermann (@janboehm) 6. April 2016
Bitte fangen Sie NICHT an, den Hashtag zu interpretieren!
.@ZDF-Studio in #Istanbal nach Gedicht von @janboehm auf #Erdogan mit faulen Eiern beworfen: https://t.co/XQnSTLjapO pic.twitter.com/5KYKubglY8
— Robert Klages (@klaro0) 6. April 2016
Auch erste Schritte für das Verfahren sind bereits geplant. «Zur Sicherung der Beweise wird beim ZDF ein Mitschnitt der Sendung angefordert werden», so die Oberstaatsanwältin. Umgehend habe man auch das Bundesjustizministerium unterrichtet, «um zu klären, ob seitens der Türkei bzw. ihres Staatsoberhauptes ein Strafverlangen gestellt wird».
Das Gedicht hatte innerhalb der Bundesregierung in den letzten Tagen für massive Aufregung gesorgt. Laut einem Bericht des «Tagesspiegel» warnten bereits am Sonntag Juristen im Auswärtigen Amt (AA), dass gegen Böhmermann wegen der schmähenden Worte gegen Erdogan ein Strafverfahren wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts eingeleitet werden könne.
Demnach hatte das AA am Sonntag, kurz vor einem länger vereinbarten Telefonat zwischen Kanzlerin Angela Merkel und dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu, geprüft, ob die Satire von Böhmermann den Straftatbestand des Paragrafen 103 erfüllen könnte.
Kurz danach telefonierte Merkel mit ihrem türkischen Kollegen. Ihrem Sprecher zufolge waren sich die beiden einig, dass der als eine Art Schmähgedicht vorgetragene Sketch «bewusst verletzend» war und deswegen vom ZDF kurz nach der Ausstrahlung auf der Online-Mediathek gelöscht wurde.
Die direkte Einmischung der Kanzlerin zeigt, wie heikel der Fall mittlerweile für die Regierung ist. Merkels Sprecher betonte in diesem Zusammenhang, die Kanzlerin habe auch auf die geltende Presse- und Meinungsfreiheit hingewiesen. Diese sei aber nicht schrankenlos. Das Schmähgedicht war am 31. März in der Sendung «ZDF Neo Royal» ausgestrahlt worden. Am nächsten Tag entfernte der Sender den Beitrag aus seiner Online-Mediathek, da er "nicht den Ansprüchen der Satire" genüge.
Wie das Verfahren ausgeht, ist kaum abzusehen. Laut Experten erscheint es ziemlich unwahrscheinlich, dass Böhmermann wegen des Schmäh-Gedichts tatsächlich mit einer Freiheitsstrafe rechnen muss. Selbst gegen die Verhängung einer Geldstrafe gibt es demnach viele Argumente. Gleichwohl muss die Staatsanwaltschaft feststellen, ob es sich um eine Beleidigung handelt oder nicht – schon dieser Befund ist politisch brisant.