Überrascht Sie der Erfolg von Labour-Chef Jeremy Corbyn in Grossbritannien?
Christian Levrat: Noch vor vier Wochen hätte ich sicher nicht damit gerechnet, aber in den letzten Tagen hat sich die Wende abgezeichnet. Labour hat einen brillanten Wahlkampf geführt und jene Themen ins Zentrum gestellt, die den Menschen wichtig sind: Eine gerechte Gesellschaft, soziale Sicherheit, ein starker Service public und gute Arbeitsplätze. Labour hat Tausende Basismitglieder mobilisiert und war nahe bei den Leuten. Und vor allem war Jeremy Corbyn als Person viel glaubwürdiger und authentischer als Theresa May.
Was hat den Erfolg Corbyns möglich gemacht?
Labour war überzeugend, «for the many, not the few» ist aktueller denn je. Und natürlich haben die Tories und Theresa May unglaublich viele Fehler gemacht. Sie trat autoritär auf und hat sich allen Debatten mit Jeremy Corbyn verweigert. Das wurde ihr als Arroganz und Unsicherheit ausgelegt.
Macht die neue Situation die Lage in Europa unübersichtlicher?
Das werden wir sehen. Theresa May hat ja angekündigt, die Verhandlungen wie geplant aufzunehmen. Aber ihre Position ist geschwächt, das ist klar.
Sind die Resultate der letzten europäischen Wahlen ein Hinweis darauf, dass die Sozialdemokratie wieder zulegt – als Gegenreaktion auf Donald Trump?
Das angebliche Ende der Sozialdemokratie haben die Medien herbeigeschrieben, das war von Anfang an Unsinn. Soziale Gerechtigkeit, die Verteilung von Reichtum und Einkommen oder der Schutz der Umwelt sind wichtiger denn je. In dieser Hinsicht hat Trump sicher viele Menschen in Europa wachgerüttelt. Er beweist täglich, dass Rechtspopulisten regierungsunfähig sind. Ich stelle jedenfalls fest, dass der gross angekündigte Angriff der Rechtspopulisten durchwegs gescheitert ist, so hat Ukip gerade noch 1,8 Prozent.
Oder was er von den menschenverachtenden sozialistischen Beharrungsversuchen und der grassierenden Hungersnot von Maduros Venezuela hält, wo Hunderttausende seit Monaten auf die Strasse gehen.
Levrat riskiert eine grosse Lippe über die angebliche "Regierungsunfähigkeit" aller konservativer Parteien, was wohl auch Merkels CDU miteinschliessen mag :-)
Hauptsache: Venezuela wird links regiert.
Nach den 3 SP-Wahlniederlagen bei den Landtagswahlen geht es also mit der deutschen SP weiterhin "bergab".