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YouTuber spielen Kriegsreporter – warum das auch schiefgehen kann

Julien Donzé im Irak.
Julien Donzé im Irak.screenshot youtube le grand JD

Warum es schiefgehen kann, wenn YouTuber auf Kriegsreporter machen

Sie berichten aus dem Irak oder schicken ein Flugzeug voller Lebensmittel nach Somalia – Social-Media-Sternchen mischen neu in der Entwicklungshilfe mit. Ob die Initianten damit aber immer etwas Gutes tun, ist fraglich. 
24.05.2017, 07:5324.05.2017, 16:59
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Er heisst Julien Donzé und lebt in Genf: Donzé aka «Le grand JD» (franz. «Der grosse JD») zählt auf YouTube über eine Million Abonnenten. Auf den Social-Media-Kanälen Snapchat, Instagram und Facebook folgen ihm hunderttausende Menschen. Üblicherweise können ihm seine Fans beim Spässchen-Treiben zuschauen. Oder beim Parodieren von Serien. Im März aber versuchte sich der 30-jährige Schweizer als Kriegsreporter. Er reiste in die damalige «IS»-Hochburg Mossul, im Irak. Zurück kam er mit einer 26-minütigen Video-Reportage, über einer Million Views und jeder Menge Medienpräsenz in der Westschweiz. 

Seine Komfortzone der lustigen Vines und Snapchat-Videos hat auch der französische YouTuber Jérôme Jarre verlassen. Dem 26-Jährigen gelang vor rund zwei Monaten ein grosser Coup, als er ein ganzes Frachtflugzeug der Turkish Airlines charterte und voller gespendeter Nahrungsmittel nach Somalia schickte. Sein Hashtag #TurkishAirlinesHelpSomalia, der die beachtliche Spenden-Aktion möglich machte, ging um die Welt. Und wurde auch von Promis wie Ben Stiller und Omar Sy geteilt. 

Julien Donzés Video aus dem Irak. Ganz alleine ist der Romand aber doch nicht ins Kriegsgebiet gereist. Er begleitete einen Reporter.Video: YouTube/LE GRAND JD

Das Ziel der beiden: Die Menschen, besonders die junge Generation, auf gewisse Situationen aufmerksam machen und sensibilisieren (ob auch die Views eine Rolle spielen, sei dahingestellt). Nicht alle freuen sich aber über das humanitäre Engagement der YouTube-Stars. 

«Die Frage ist, ob Initianten, die nicht berufsmässig in diesem Bereich tätig und sehr gut über die Situation informiert sind, wirklich Gutes tun können.»
Bettina Büsser

Geiselnahme als Risiko

Bettina Büsser von der Schweizer Sektion von Reporter ohne Grenzen sagt: «Hinter solchen Aktionen steckt sicher guter Wille. Die Frage ist, ob Initianten, die nicht berufsmässig in diesem Bereich tätig und sehr gut über die Situation informiert sind, wirklich Gutes tun können. Je nachdem koste die Ausführung einzelner Produkte zudem viel Geld, das von Hilfswerken, die schon in der Region tätig sind, wohl effektiver eingesetzt werden könnte.

Büsser sagt, sie rate «sicher niemandem» nach Mossul zu gehen. «Auch sehr informierte Journalisten meiden solche Kriegsgebiete, wenn sie nicht sehr gute Kontakte haben, die sie vor Risiken warnen können.» Wenn etwas schief laufe, belaste man womöglich auch bestehende Strukturen, die sich dann um diese Freiwilligen kümmern müssten. «Zudem besteht ja auch ein gewisses Risiko, in einem Krisengebiet als Geisel genommen zu werden.»

Der Westschweizer YouTube-Star hat auch schon eine Video-Reportage in Tschernobyl gedreht.Video: YouTube/LE GRAND JD

Initiative sei begrüssenswert

Beim Schweizerischen Roten Kreuz SRK heisst es, man begrüsse es, wenn Menschen die Initiative ergreifen und über ihr Netzwerk andere Menschen informieren und aufrütteln. Sprecher Beat Wagner: «Es ist aber zentral, vor einer Aktion abzuklären, welches die Bedürfnisse sind und wie diese am effizientesten gedeckt werden können.»

So versuche das Rote Kreuz beispielsweise immer, sich international zu koordinieren. So sollten Hilfsgüter idealerweise in der betroffenen Region beschafft werden, um den lokalen Markt nicht zu konkurrenzieren, sondern wenn möglich zu stützen, und um lange Transporte zu vermeiden.

«Ein Risiko kann sein, dass die Aktion nicht abgesprochen ist, oder mangels Kenntnis nicht genügend gut organisiert ist.»
Beat Wagner, Sprecher beim Schweizerischen Roten Kreuz

Falsche Hilfsgüter beschafft

Den Vorteil, den Menschen wie Donzé und Jarre mitbringen würden, sei, dass sie andere Menschen leicht und schnell erreichen könnten. Auf der anderen Seite stehe hingegen, dass persönliche, unter Umständen medial ausgelöste Betroffenheit die Hilfe möglicherweise auf Situationen lenkt, in denen – bestenfalls – schon genügend andere Hilfe geleistet wird, oder dass die Hilfe nicht dorthin geleitet wird, wo die Not noch viel grösser ist.

Ein Risiko könne auch sein, so Wagner, dass die Aktion nicht abgesprochen ist, oder mangels Kenntnis nicht genügend gut organisiert ist. «Zum Beispiel bei den Einfuhrbestimmungen für Medikamente oder Lebensmittel, oder dass nicht die richtigen Hilfsgüter beschafft und geliefert werden.»

Julien Donzé seinerseits erklärte in der Westschweizer Fernsehsendung «26 Minutes», er habe nicht den Anspruch, als Kriegsreporter oder Journalist angesehen zu werden. Er habe lediglich ein YouTube-Video produzieren wollen, um zu zeigen, was in Mossul vor sich geht. Die Reise habe er im Detail geplant und sich gewissenhaft darauf vorbereitet. Die Views, die das Irak-Video generiert hat, seien «sicher nicht» sein Beweggrund gewesen. 

Hier eine kleine Auswahl der erfolgreichsten Schweizer YouTuber

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Einige der erfolgreichsten Schweizer YouTuber
Typhoon Cinema: Der YouTube-Kanal des Baslers Ken Rotaris dreht sich um Gaming-Animationen, er hat 2.6 Millionen Abonnenten (Stand: Oktober 2018). (YouTube-Link)
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13 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bruno S.1988
24.05.2017 08:06registriert Juli 2016
"Sehr gut informierte" Journalisten vertrauen eher auf twitter und facebook einträge von irgendwelchen ominösen Organisationen die klare Interessen verfolgen, als sich selber vor Ort über die Lage zu informieren. Viel besser! Ich kann euch ja verstehen. Wir leben in einer Zeit wo niemand mehr für News bezahlen möchte. Auch wird immer weniger TV geschaut. Social Media nimmt euch jetzt auch noch die letzten klicks weg. Aber hey. Ihr bezieht eure Quellen zum Teil ja auch von dort ;-)
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DerHans
24.05.2017 08:19registriert Februar 2016
Fukushima und Tschernobyl same same but different...
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_stefan
24.05.2017 13:17registriert September 2015
Ich finde es schade, wie hier YouTuber generell als klick-geil hingestellt werden.

Jérôme Jarre wollte etwas gegen die Armut in Somalia tun, und dazu seine Reichweite nutzen. Er hat die Stiftung von Ben Stiller und Turkish Airways um Hilfe gebeten. Casey Neistat half mit. Johan Djourou ist einer der Top-Spender...

Viele Lebensmittel (v.a. Notrationen für Babys) wurden nach Somalia transportiert. Mit dem Rest des Geldes werden Lebensmittel vor Ort gekauft und durch die ansässigen Hilfsorganisationen verteilt.

Das ist zusätzliche Hilfe, welche sonst nicht geleistet werden könnte!
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