International
Schweiz

Amnesty International kritisiert Schweizer Asylpolitik

Fluechtlinge essen ein von freiwilligen Helfern der Tessiner Hilfsgruppe Associazione Firdaus verteiltes Abendessen, in einem Park in der Naehe des Bahnhofs in Como am Donnerstag, 12. August 2016, in  ...
Flüchtlinge in Como: Für viele von ihnen bleibt die Schweizer Grenze geschlossen.Bild: KEYSTONE/TI-PRESS

Amnesty International kritisiert Schweiz hart: «Grenzwächter verletzen das Recht»

22.02.2017, 01:2222.02.2017, 08:07
Mehr «International»

Amnesty International bekräftigte in ihrem neusten Bericht ihre Kritik am Umgang mit Asylsuchenden an der Südgrenze. 

Im vergangenen Jahr seien mehrere tausend Menschen nach Italien zurückgeschickt worden, ohne dass sie in der Schweiz hätten Asyl stellen können. Darunter seien auch hunderte unbegleitete Minderjährige gewesen, die zu Familienmitgliedern in der Schweiz gewollt hätten. Kritisiert wurden auch ethnisch motivierte Polizeikontrollen.

«Die Art und Weise, in welcher die Schweizer Behörden ihre Grenzkontrollen durchführen, kann Personen davon abschrecken, in die Schweiz zu gelangen», fasst Denise Graf, Asylkoordinatorin der Schweizer Amnesty-Sektion, Amnesty-Recherchen zusammen, welche der Nachrichtenagentur SDA vorliegen.

Schweizer Recht verletzt

Der Amnesty-Bericht wirft den Grenzwächtern vor, zahlreiche Flüchtlinge daran gehindert zu haben, in der Schweiz Asyl zu beantragen. «Indem sie dieses Recht verwehren, verletzten sie Schweizer Recht», beklagt Amnesty.

Tausende Flüchtlinge seien mittels «vereinfachten» Grenzverfahren nach Italien zurückgeschickt worden. Dieses Vorgehen entspricht für Amnesty einer Zwangsabschiebung (push-back) von Asylsuchenden nach Italien.

Im Gespräch mit Abgewiesenen in Como habe man festgestellt, dass kaum Einzelfall-Abklärungen hinsichtlich der Gefahren einer in Italien verfügten Abschiebung in das jeweilige Herkunftsland stattgefunden hätten, so Amnesty. Ein Mangel an Übersetzern habe zudem zu Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Grenzwächtern und den aufgefangenen Personen geführt.

Auffanglager als Folge der Abweisungen

Im vergangenen Spätsommer hatte das Grenzwachtkorps damit begonnen, im Tessin ankommende Asylsuchende abzuweisen, bei denen es vermutete, sie wollten lediglich durch die Schweiz in Richtung Norden reisen. In Como bildete sich sodann ein Auffanglager, das auf harsche Kritik von Nichtregierungsorganisationen traf.

Positiv erwähnt Amnesty im Bericht, dass Asylsuchende mit dem revidierten Asylgesetz kostenlose Rechtsberatung erhalten werden und dass die Behörden den Bedürfnissen besonders schutzbedürftiger Asylsuchender Rechnung tragen müssen. Negativ sieht Amnesty dagegen wiederum die mit dem neuen Nachrichtendienstgesetz ausgebauten Überwachungsmöglichkeiten.

«Wir gegen die Anderen»

Das vergangene Jahr ist für die Menschenrechte nach Einschätzung von Amnesty International generell kein gutes gewesen. «Angstmacherei» und eine Haltung nach dem Motto «Wir gegen die Anderen» von Politikern wie US-Präsident Donald Trump hätten zu einem Rückschritt geführt.

Die Menschenrechtsorganisation zieht in ihrem Jahresbericht 2016/17 Parallelen zwischen der heutigen Stimmung und jener der 1930er Jahre. Die Respektlosigkeit, der Hass und die Angst in der Politik hätten eine Bedeutung erreicht, wie sie die Welt zuletzt vor dem Zweiten Weltkrieg erlebt habe, heisst es in dem am Mittwoch veröffentlichten Bericht.

Politiker nutzten die legitimen Sorgen der Menschen um wirtschaftliches Auskommen und Sicherheit aus und trieben mit dem Schüren von Hass und Zwietracht die Spaltung der Gesellschaft voran, schreibt die Nichtregierungsorganisation.

Dabei würden Flüchtlinge und Migranten von vielen Regierungen als Sündenböcke hingestellt. Beispielhaft steht dafür aus Sicht von Amnesty US-Präsident Donald Trump und dessen Einreiseverbot für Flüchtlinge. Trump habe bereits im Wahlkampf eine Politik versprochen, die der Wahrung der Menschenrechte in höchstem Masse zuwiderlaufe.

EU-Flüchtlingspolitik am Pranger

Laut Amnesty werden auch in EU-Staaten Menschenrechtsstandards zunehmend ausgehöhlt. «Antiterrorgesetze in zahlreichen Ländern der Europäischen Union schränken Freiheitsrechte ohne die notwendige rechtsstaatliche Kontrolle der Massnahmen ein», sagte Amnesty-Deutschland-Chef Markus Beeko. Schlechte Noten gab es auch für den Umgang in der EU mit Flüchtlingen.

Laut Amnesty verletzten 2016 mindestens 36 Staaten internationales Recht, indem sie Schutzsuchende in Länder zurückgeschickt hätten, in denen ihnen schwere Menschenrechtsverletzungen drohen. Die EU nehme darüber hinaus durch ihre geplante Zusammenarbeit mit Libyen «schwere Menschenrechtsverletzungen in Kauf».

Beeko forderte stattdessen eine «aktive EU-Flüchtlingspolitik, die den Schutz und sichere Zugangswege» für Flüchtlinge zur Priorität mache. Auch die australischen Internierungslager für Bootsflüchtlinge auf fernen Pazifikinseln werden im Bericht erwähnt.

«Oft brutale Repressalien»

Amnesty kritisierte weiter, dass Regierungen in aller Welt im vergangenen Jahr Gesetze zur «massiven Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit» erlassen und durch «anlasslose Massenüberwachung das Recht auf Privatsphäre verletzen» hätten. Amnesty erwähnt namentlich China, Ägypten, Äthiopien, Indien, Iran, Thailand und die Türkei.

Vor allem Journalisten, Aktivisten und Anwälte seien «oft brutalen Repressalien» ausgesetzt gewesen. In mindestens 22 Ländern weltweit seien Menschen sogar ermordet worden, «nur weil sie sich friedlich für ihre Rechte und die anderer einsetzten».

Gelähmter UNO-Sicherheitsrat

Amnesty prangert weiter die Tatsache an, dass die Reaktion auf Gräueltaten und Kriegsverbrechen immer schwächer ausfalle. In 23 Ländern kam es nach einer Amnesty-Zählung zu Kriegsverbrechen. Der UNO-Sicherheitsrat sei aber nach wie vor gelähmt durch die Rivalität der Vetomächte.

Weil viele der mächtigsten Staaten die nationale Interessenpolitik der internationalen Zusammenarbeit vorzögen, drohe eine «chaotischere und gefährlichere Welt», lässt sich Amnesty-Generalsekretär Salil Shetty zitieren. Bereits 2016 sei die Welt «finsterer und unsicherer» geworden. (cma/sda/dpa/afp)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
92 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Angelo C.
22.02.2017 03:48registriert Oktober 2014
Zitat:

"Tausende Flüchtlinge seien mittels «vereinfachten» Grenzverfahren nach Italien zurückgeschickt worden. Dieses Vorgehen entspricht für Amnesty einer Zwangsabschiebung (push-back) von Asylsuchenden nach Italien."

Offenbar scheint Amnesty International nicht viel von den geltenden Schengen-Verträgen zu halten, wonach insbesondere Wirtschaftsflüchtlinge im Lande ihrer Erstregistrierung um Asyl nachsuchen müssen 🤔!

Auch auch davon, dass hierzulande von den Abertausenden vorübergehend Aufgenommener vier von fünf durch die Sozialhilfe alimentiert werden müssen.

Was auf Dauer ruinös ist.
13124
Melden
Zum Kommentar
avatar
MaxHeiri
22.02.2017 08:29registriert März 2016
Es macht wenig Sinn, dass junge Männer in Eritrea ihr Lebensziel darin sehen möglichst nach Europa zu kommen. 80% sind noch nach 5 Jahren nicht in den Arbeitsmarkt integrierbar und werden es mit dieser Generation auch eher bleiben. Zusätzlich stellen sie einen Grossteil der Ankommenden was den richtigen Flüchtlingen die zur Verfügung gestellten Ressourcen wegnimmt.
11114
Melden
Zum Kommentar
avatar
Swarup
22.02.2017 06:09registriert Januar 2015
«Die Art und Weise, in welcher die Schweizer Behörden ihre Grenzkontrollen durchführen, kann Personen davon abschrecken, in die Schweiz zu gelangen»

Die Grenzwache macht demfall einen guten Job! Weiter so.
11836
Melden
Zum Kommentar
92
Das Tessin stimmt über ein umstrittenes Steuergesetz ab

Am 9. Juni stimmt das Tessin über zwei Gesetzesänderungen und den Erwerb eines Gebäudes für die kantonale Gerichtsbarkeit ab. Insbesondere die Abstimmung über die Anpassung des Steuergesetzes dürfte spannend werden. Diese sieht unter anderem vor, die höchsten Einkommensklassen steuerlich zu entlasten.

Zur Story