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150 «kranke» Piloten und Existenzängste – die 6 wichtigsten Fragen zum Air Berlin-Crash

Ungewissheit und Existenzängste machen die Piloten der insolventen Air Berlin wütend.
Ungewissheit und Existenzängste machen die Piloten der insolventen Air Berlin wütend.bild: keystone/shutterstock

150 «kranke» Piloten und Existenzängste – die 6 wichtigsten Fragen zum Air-Berlin-Crash

Mitte August meldete Air Berlin Insolvenz an. Seither ranken sich die Gerüchte um die Zukunft der Airline. Wir haben für euch die 6 wichtigsten Fragen beantwortet. 
15.09.2017, 15:54
Helene Obrist
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Im August kam die Hiobsbotschaft: Die zweitgrösste deutsche Fluggesellschaft Air Berlin ist insolvent. Danach überschlugen sich die Ereignisse. Die deutsche Regierung verhinderte mit einem Brückenkredit von 150 Millionen Euro das Schlimmste. Bis heute Freitag um 14 Uhr hatten potenzielle Käufer Zeit, ihr Interesse an Air Berlin anzumelden.

Angst und Bang wird es derzeit nicht nur den Kunden, sondern auch den Angestellten von Air Berlin. Diese Woche meldeten sich über 150 Piloten kurzfristig krank und traten in einen Streik. Über 160 Flüge mussten gestrichen werden, 12'000 Passagiere waren betroffen. Wie kam es dazu? Und was passiert jetzt mit den Piloten von Air Berlin? Die sechs wichtigsten Fragen und Antworten zum Crash:

Warum ging Air Berlin pleite?

Etihad, die nationale Fluggesellschaft der Vereinigten Arabischen Emirate, war Minderheitsaktionär von Air Berlin. Etihad stieg 2011 bei Air Berlin ein und hielt knapp 30 Prozent an der Airline. Doch die deutsche Fluggesellschaft hat turbulente Zeiten hinter sich: Verspätungen, Flugausfälle, verärgerte Kunden. 

Mitte August wurde es Etihad zu bunt und die Emirate drehten den Geldhahn zu. Laut der Airline aus Abu Dhabi «habe sich das Geschäft von Air Berlin in einer beispiellosen Geschwindigkeit verschlechtert.» Als Minderheitsaktionär könne Etihad kein weiteres Geld zuschiessen, ohne dass sich das eigene Risiko erhöht. 

Was passiert mit den Angestellten und den Flugzeugen?

Die Piloten sowie das Bodenpersonal dürften die besten Chancen haben, bei den Airlines Lufthansa und Easyjet unterzukommen. Schwieriger könnte es für die rund 1200 Mitarbeiter in der Berliner Zentrale und die 700 Angestellten werden, die bei der Berliner Technik-Tochter arbeiten. 

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Rund 144 Flugzeuge stehen zum Verkauf. Bild: AP/AP

Für die rund 144 Flugzeuge, darunter 17 Langstreckenflieger vom Typ Airbus 330-200, haben sich bereits mehrere Interessenten gemeldet. Was schlussendlich mit ihnen passiert, zeigt sich am 25. September (siehe auch Frage 4). Neben den Flugzeugen sind besonders die Start- und Landerechte begehrt. Im Geschäftsbericht 2016 von Air Berlin wurden sie mit 80 Millionen Euro beziffert. Die Rechte können aber nicht einfach an den Meistbietenden verkauft werden, sondern können nur im Paket mit anderen Unternehmensteilen aufgekauft werden. 

Wie ist die Stimmung bei den Mitarbeitern?

Die Stimmung ist gereizt. Vergangenen Dienstag meldeten sich rund 150 Piloten kurzfristig krank. Die Aktion wurde, laut Bericht der «Süddeutschen Zeitung», sorgfältig organisiert. Schon seit längerem würden die Piloten der insolventen Airline eine sogenannte «Sick-out-Datei» führen. In dieser tragen sie Krankmeldungen ein, um einen Überblick über die Teilnahme an der Aktion zu haben. 

Gründe für den Streik liefert ein offener Brief, den der Pilot Hans Albrecht an die Geschäftsführung verfasste. Darin kritisiert er, dass es in allen Gesprächen rund um die insolvente Fluggesellschaft um wirtschaftliche Interessen gehe, nicht um die Arbeitsplätze von mehr als 8000 Beschäftigten. Zudem werde die Belegschaft im Unklaren gelassen, «um die Verunsicherung durch das Schüren von Existenzängsten auf ein Maximum zu treiben». 

Wer will Air Berlin kaufen?

epa04150018 Airbus A319 airplanes of German carrier Lufthansa are grounded at the airport of Duesseldorf, Germany, 01 April 2014. Air travellers in Germany are set to face chaos this week after the co ...
Der deutschen Airline Lufthansa werden gute Chancen nachgesagt, ein grosses Stück des Kuchens zu bekommen.Bild: EPA/DPA

Am Freitag endet die Frist für die Interessenten. Am 25. September wird entschieden, wer tatsächlich ein Stück vom Kuchen bekommt. Als Bieter meldeten sich einige. Das sind die wichtigsten fünf Interessenten: 

  • Lufthansa: Dem deutschen Marktführer werden gute Chancen auf ein grosses Stück vom Kuchen nachgesagt – weil lange Gespräche mit Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann laufen, der aus dem Lufthansa-Konzern zu Air Berlin kam. Der Konzern wolle 90 der 144 Flugzeuge übernehmen, wollten Beobachter zwischenzeitlich erfahren haben. 38 Maschinen davon hat Lufthansa schon seit einem Jahr geleast. Jetzt besonders im Fokus: die Touristik-Tochter Niki und ein Teil der Langstreckenflugzeuge. Sie sollen für die Lufthansa-Tochter Eurowings an den Start gehen.
  • Ex-Formel-1 Weltmeister und Unternehmer: Der frühere Rennfahrer Lauda hat einst Niki gegründet, nun scheint er sein Baby zurück zu wollen. Kurz vor Ende der Bieterfrist hat er sich mit dem Ferienflieger Condor zusammengetan und nach eigenen Angaben 100 Millionen Euro geboten – nach Medienberichten für 38 Flugzeuge und die Tochter Niki. Der Plan: Es werden nur noch Urlauber geflogen und die holt die Condor-Mutter Thomas Cook in die Flieger.
  • Easyjet: Gleich nach der Insolvenz im August hiess es, Lufthansa und Easyjet könnten sich Air Berlin teilen – schon weil das Kartellamt eine Komplettübernahme durch Lufthansa blockieren würde. Dem britischen Billigflieger wird Interesse an etwa 40 Flugzeugen nachgesagt und der Ehrgeiz, damit am bisherigen Air-Berlin-Drehkreuz Düsseldorf einen Fuss in die Tür zu bekommen. Easyjet hält sich aber bedeckt.
  • British Airways: Öffentlich hat sich die britische Airline nicht zu ihrem Interesse an Air Berlin geäussert. Dennoch gehört die British-Airways-Mutter IAG zusammen mit der Lufthansa zu den wenigen Airlines Europas, die am ehesten eine grosse Übernahme stemmen könnten. 
  • Chinesischer Investor: Jonathan Pang, ein chinesischer Investor, hat seit längerem einen Blick auf den deutschen Luftverkehrsmarkt geworfen. 2016 versuchte er ohne Erfolg, den Flughafen Hahn im Hunsrück zu kaufen. Schon seit zehn Jahren gehört ihm der Flugplatz Parchim in Mecklenburg-Vorpommern. Spekuliert wird, dass Pang Air Berlin dorthin verlegen könnte.

Was passiert, wenn Lufthansa Air Berlin übernimmt?

Die Lufthansa hat ihr Drehkreuz in Frankfurt. Das könnte dazu führen, dass Langstreckenflüge häufig über Frankfurt und nicht mehr über Berlin abgewickelt werden würden. 

Für die Mitarbeiter könnte eine Übernahme von der Lufthansa Lohneinbussen bedeuten. Besonders die Flugbegleiter von Air Berlin verdienen derzeit besser als jene bei der Lufthansa-Tochter Germanwings. Worst-Case-Szenario: Langjährige Flugbegleiter, die im Laufe ihres Berufslebens ein hohes Verdienstniveau erreicht haben, müssen sich bei Germanwings neu bewerben – und erhalten dort nur das Einstiegsgehalt. 

Was geschieht jetzt? Und was, wenn ich noch einen Air-Berlin-Flug gebucht habe?

Travellers whose flights have been cancelled by Air Berlin wait in front of the Air Berlin desk at the Duesseldorf Airport, Germany, Tuesday, Sept. 12, 2017 when the airline had to cancel dozens of fl ...
Von einer Stornierung der Flugtickets wird abgeraten. Die gezahlten Flugpreise könnten womöglich in der Insolvenzmasse landen.Bild: AP/dpa

Wegen des Brückenkredits der deutschen Bundesregierung ist der Flugbetrieb noch bis November abgesichert. So lange reichen die 150 Millionen Euro. Laut Air Berlin werden veröffentlichte Flüge wie angegeben durchgeführt. Wenn das Bodenpersonal und Piloten aber weiterhin streiken, kann es zu Flugausfällen kommen. Es wird deshalb geraten, sich fortlaufend über den bevorstehenden Flug zu informieren. 

Was Ende November passiert, ist ungewiss. Wenn sich ein Käufer findet, dürften die bei Air Berlin gebuchten Flüge von den neuen Eigentümern ausgeführt werden. Eine Garantie dafür gibt es jedoch nicht. Von einer Stornierung der Flugtickets wird abgeraten. Die gezahlten Flugpreise könnten womöglich in der Insolvenzmasse landen. Fluggäste sollten sich bis zum Abflug gedulden und abwarten, was wirklich passiert. (ohe/mit Material von sda)

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8 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
avatar
so wie so
15.09.2017 16:10registriert Juli 2015
"...Die Piloten sowie das Bodenpersonal dürften die besten Chancen haben,..." und was ist mit dem Bordpersonal? Es gibt ja deutlich mehr Flugbegleiter, als Piloten. Dieses Personal verdient, im Gegensatz zu den Piloten, nicht sonderlich gut. Um die Piloten mach ich mir eher weniger Sorgen
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