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Über ein Jahr wartet Brasilien auf Dokumente der Bundesanwaltschaft in Bern.

epa06053259 Brazilian President Michel Temer speaks during a press conference at the Presidential Palace in Planalto in Brasilia, Brazil, 27 June 2017. President Michel Temer was formally charged with ...
Seine Gegner nennen ihn «Dracula»: Michel Temer ist letzte Woche als erster amtierender Präsident Brasiliens formell angeklagt worden.Bild: EPA/EFE

Brasilien will seinen «Dracula» loswerden – aber die Schweiz trödelt bei der Amtshilfe 

Ein Koffer mit 150'000 Franken Schmiergeld, ein konspiratives Telefonat: dem brasilianischen Staatsoberhaupt steht das Wasser wegen Korruptionsvorwüfen bis zum Hals. Bereits seine Wahlkampagne stand unter dem Verdacht illegaler Finanzierung. Die Schweizer Bundesanwaltschaft könnte bei der Aufklärung helfen – doch sie lässt sich seit über einem Jahr Zeit.
04.07.2017, 17:3805.07.2017, 13:15
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«Operação Lava Jato» – Operation Waschstrasse: Diese Korruptionsermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft hält die brasilianische Politik seit Jahren in Atem. Im Zentrum der Affäre stehen Schmiergelder – insgesamt mehr als eine Milliarde US-Dollar –, welche brasilianische Firmen wie der Ölgigant Petrobras oder der Baukonzern Odebrecht an Politiker zahlten, um sich Aufträge zu sichern.

Eine Schlüsselrolle spielte dabei die Bundesanwaltschaft in Bern: Ihre Hinweise führten 2014 zur Verhaftung eines hochrangigen Managers des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras. Dessen Aussagen brachten die Ermittlungen erst richtig ins Rollen.

Gesuch liegt seit über einem Jahr in Bern

Bei der Bundesanwaltschaft in Bern ging bereits im Mai 2016 ein Rechtshilfeersuchen der brasilianischen Justiz ein. Die brasilianische Staatsanwaltschaft verlangt darin Einblick in Unterlagen zu einem in der Schweiz gesperrten Konto. Über dieses wurden «laut damaligem Kenntnisstand politische Kampagnen in Mittel- und Südamerika finanziert», wie die «Schweiz am Sonntag» berichtete.

Die brasilianische Justiz interessiert sich dafür, ob der Wahlkampf von Michel Temer im Jahr 2014 mit Schmiergeldern finanziert war – damals stand er als Vizepräsident gemeinsam mit seiner unterdessen abgesetzten Vorgängerin Dilma Rousseff auf dem Wahlzettel.

Eine Nachfrage von watson zeigt, dass das Rechtshilfeersuchen über ein Jahr nach dessen Eingang bei der Bundesanwaltschaft in Bern (BA) weiterhin in Bearbeitung ist. Angesprochen auf die über einjährige Behandlungszeit sagt BA-Sprecherin Ladina Gapp, dass das Ersuchen mit einem in der Schweiz geführten Strafverfahren zusammenhänge.

Bildlegende: Treffen des Bundesanwalts Michael Lauber mit dem Generalstaatsanwalt Brasiliens Rodrigo Janot vom 17. März 2016 in Bern.
Bundesanwalt Michael Lauber empfängt seinen brasilianischen Amtskollegen Rodrigo Janot im März 2016 in Bern.Bild: Bundesanwaltschaft

Wie lange die Behandlung noch dauert, sagt die BA nicht. Strafverfahren seien dynamische Prozesse, die nicht von der BA alleine beeinflusst werden: «Deshalb kann über deren zeitlichen Rahmen oder Verlauf keine Prognose gemacht werden», so Gapp. Gegen Präsident Michel Temer selber führe die BA derzeit weder Ermittlungen noch ein Strafverfahren.

Doch trotz ausbleibender Schützenhilfe aus Bern könnte die brasilianische Justiz Temer bald zu Fall bringen. Letzte Woche erhob sie Anklage gegen ihn wegen passiver Korruption. Eine belastende Videoaufnahme zeigt, wie ein enger Berater des Präsidenten von Vertretern des Fleischkonzerns JBS einen Koffer mit 150'000 Franken Schmiergeld erhält.

Nur sieben Prozent der Brasilianer unterstützen Temer

Der unter Beschuss geratene Temer ist noch kein Jahr im Amt: Der damalige Vizepräsident übernahm im Mai 2016 die Amtsgeschäfte von der suspendierten Dilma Rousseff. Im August letzten Jahres setzte das brasilianische Parlament die Präsidentin wegen angeblicher Kompetenzüberschreitungen beim Staatsbudget endgültig ab, Temer rückte an die Staatsspitze.

Doch seine noch junge Amtszeit stand von Anfang an unter keinem guten Stern: Noch während der Suspendierung Rousseffs wurden abgehörte Telefonate zwischen Petrobras-Managern und Parteikollegen Temers öffentlich. Inhalt der Gespräche: Die Absetzung von Dilma Rousseff soll helfen, die brisanten «Lava Jato»-Ermittlungen zu stoppen.

Seither versucht sich Temer trotz sinkender Unterstützung – gemäss Umfragen unterstützen ihn unterdessen nur noch sieben Prozent der Bevölkerung – im Amt zu halten. Solange er im Kongress genügend Unterstützung geniesst, werden ihm die Ermittlungen nicht das Amt kosten.

Proteste gegen Temer bei dessen Amtsantritt

Video: reuters

Massenproteste in Brasilien eskalieren

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Massenproteste in Brasilien eskalieren
Mehrere Demonstranten wurden bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei verletzt.
quelle: epa/efe / fernando bizerra jr.
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13 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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N. Y. P. D.
04.07.2017 18:33registriert Oktober 2015
Gab es mal eine Staatschef/in in Brasilien, der als NICHT korrupt galt ?
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majortom79
04.07.2017 17:47registriert August 2014
Diese tolle Volk hat das echt nicht verdient :-/... Alles Gute, liebes Brasilien! Und hopp Schwiiz: ab ad Säck!
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Töfflifahrer
04.07.2017 18:02registriert August 2015
Einmal wieder eine Glanzleistung des BA.
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