US-Aussenminister John Kerry sprach in München von einer Einigung auf eine «vollständige Einstellung der Kampfhandlungen» in Syrien. Die Umsetzung könnte in einer Woche erfolgen. Die Modalitäten müssten indes noch vereinbart werden. Die Entscheide hätten aber das Potenzial, den Alltag der Syrerinnen und Syrer zu verändern.
Es sei vereinbart worden, «dass humanitärer Zugang verbessert werden soll» und «dass wir sofort starten mit einer signifikanten Reduzierung der Gewalt», sagte der deutsche Aussenminister Frank-Walter Steinmeier am frühen Freitag. Die Menschen in den eingeschlossenen Städten sollen binnen Tagen mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt werden.
Die Angriffe auf die Terrormiliz Islamischer Staat und die radikalislamische Al-Nusra-Front sind von der angestrebten Waffenruhe nicht betroffen.
«Ob das ein Durchbruch war, wird sich in den nächsten Tagen beweisen müssen», fügte Steinmeier allerdings hinzu. Auch Kerry erklärte: «Die eigentliche Bewährungsprobe wird sein, ob sich alle Mitglieder der Gruppe in der Realität an die Verpflichtungen halten.»
Der russische Aussenminister Sergej Lawrow sagte zur angestrebten Feuerpause: «Das ist eine komplizierte Aufgabe. Es gibt zu viele Kräfte, die an militärischen Aktivitäten beteiligt sind.»
Die Waffenruhe und die Gewährleistung des humanitären Zugangs in Syrien bezeichnete Steinmeier als «Zwischenziele», die erreicht werden müssten, «damit in Zukunft, hoffentlich in absehbarer Zeit, die politischen Gespräche zwischen Opposition auf der einen Seite und Repräsentanten des Regimes auf der anderen Seite in Genf wieder fortgesetzt werden können». Die UNO sei dazu noch im Februar bereit.
Syriens Hauptoppositionsgruppe begrüsste die Einigung in München. Ein Sprecher sagte aber auch, dass Auswirkungen der Vereinbarungen zu sehen sein müssen, bevor die Gruppe an den politischen Genfer Gesprächen teilnehmen werde. Die Vereinbarung erzielten die Vertreter der Syrien-Kontaktgruppe aus 17 Staaten sowie der UNO, der Europäischen Union und der Arabischen Liga.
Der Bürgerkrieg in Syrien tobt seit rund fünf Jahren. Einer Studie zufolge sind ihm 470'000 Syrer zum Opfer gefallen. Das berichtete der britische «Guardian» unter Berufung auf das Syrische Zentrum für Politikforschung. 400'000 Menschen wurden demnach bei Kampfhandlungen getötet. Weitere 70'000 seien ums Leben gekommen, weil sie keine ausreichende medizinische Versorgung, sauberes Wasser oder Unterkünfte gehabt hätten.
Seit dem Eingreifen der russischen Luftwaffe auf der Seite von Präsident Baschar al-Assad im September sind den Regierungstruppen grosse Geländegewinne gelungen. Im Moment konzentriert sich der Kampf auf die Region Aleppo. Die Rückeroberung der einstmals grössten Stadt Syriens wäre ein strategischer Erfolg für Assad, dessen Truppen auch vom Iran unterstützt werden. Die Regierungstruppen haben den zur türkischen Grenze führenden Korridor bereits abgeriegelt, über den die Rebellen versorgt wurden.
Die Kämpfe haben zu einer neuen Fluchtwelle geführt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warnte, wenn die Luftangriffe fortgesetzt würden, könnte es weitere 600'000 Flüchtlinge geben. Ausserdem besteht nach Einschätzung der Vereinten Nationen die Gefahr, dass Hunderttausende Menschen nicht mehr versorgt werden könnten. Das betreffe insbesondere Menschen in Aleppo und in den Rebellengebieten im Norden der Provinz Homs.
Russlands Regierungschef Dmitri Medwedew warnte die Anti-IS-Koalition vor der Entsendung von Bodentruppen nach Syrien. Alle Seiten müssten «gezwungen werden, am Verhandlungstisch Platz zu nehmen anstatt einen neuen Weltkrieg auszulösen», sagte er der deutschen Zeitung «Handelsblatt» vom Freitag. Unter anderem Saudi-Arabien hatte zuletzt angeboten, unter US-Führung Soldaten nach Syrien zu schicken. (kad/sda/reu/dpa)