Die verbliebenen Menschen im Osten Aleppos sind hungrig, übermüdet und verunsichert. Ganze Familien stehen zwischen den Trümmern der einst pulsierenden Grossstadt, weil sie gehört haben, dass sie in Sicherheit gebracht werden sollen. Die dafür vorgesehenen Busse bleiben aber leer.
Nach Monaten, in denen der Osten Aleppos sturmreif geschossen wurde, hätten die verbliebenen Personen nun mit Bussen in den Norden des Landes gebracht werden sollen. Doch die Fahrer in den Bussen haben kein grünes Licht bekommen, sie schlafen.
Seit Mitte Juli ist der Ostteil Aleppos, der seit vier Jahren von den Aufständischen kontrolliert wurde, eingekesselt. Hilfsgüter kamen nicht mehr durch. Da klang es für viele der ausgemergelten Zivilisten wie eine Erlösung, als am Dienstag die Ansage kam, sie könnten sich in gesicherte Gebiete bringen lassen.
«Der erste Schritt wird die Evakuierung der Zivilisten und Verletzten sein», sagte Jassir al-Jussef von der Gruppierung Nureddin al-Senki. Er sprach von einer Evakuierung «binnen Stunden». Danach sollten die Kämpfer mit leichten Waffen folgen.
Am frühen Mittwochmorgen stehen rund zwei Dutzend Busse am Rande des Stadtviertels Salaheddin, ohne dass die Aktion in Gang kommt. In den noch von Rebellen kontrollierten Strassenzügen warten Hunderte, die ihre bescheidene Habe in Taschen bei sich tragen.
In den vergangenen Monaten haben Zehntausende die östlichen Viertel Aleppos verlassen, um der Tragödie endlich den Rücken zu kehren. Aber andere haben sich festgeklammert an der sterbenden Hoffnung, der finale Sturm der Regierungstruppen würde ausbleiben. Sie fürchten nun Misshandlung, Folter, den Tod.
Die Kunde von der möglichen Evakuierung geht auf die Türkei und Russland zurück. Die Kampfhandlungen im Osten Aleppos seien beendet, sagte der russische UNO-Botschafter Witali Tschurkin am Dienstagabend.
Die türkische Regierung erklärte, die Menschen aus Ost-Aleppo könnten nach Idlib gebracht werden, die Türkei werde «eine Zeltstadt zur Aufnahme von bis zu 80'000 Flüchtlingen aus Aleppo errichten».
Wenn der aus Aleppo stammende Historiker Alaa al-Sajjed sich in diesen Tagen in seiner Stadt umsieht, kann er es nicht fassen. Vor den Ruinen am Al-Hatab-Platz sagt er, er könne diesen «nicht wiedererkennen».
Umgestürzte Busse liegen auf dem Platz, auf dem Barrikaden errichtet wurden, um den Ansturm der regierungstreuen Verbände aufzuhalten, der nicht aufzuhalten war. Die Omaijaden-Moschee aus dem 11. Jahrhundert ist zerstört, die Zitadelle schwer angeschlagen.
Selbst der Friedhof um die Ecke ist nicht unbeschadet davongekommen. Abgesprengte Teile von Grabsteinen sind im trockenen Gras gelandet. Im mittelalterlichen Viertel Bab al-Hadid herrscht eine gespenstische Ruhe. An den Fassaden der Verkaufsstände prangen noch immer die Zeichen, unter denen sich die Opposition gegen Präsident Baschar al-Assad versammelte – die syrische Flagge mit drei roten Sternen. (whr/sda/afp)