Mit Hochdruck fahnden die deutschen Behörden nach dem Tunesier Anis Amri. Er wird verdächtigt, den Terroranschlag mit einem Lastwagen auf dem Weihnachtsmarkt bei der Berliner Gedächtniskirche verübt zu haben. Nun hat sich Amris Familie zu Wort gemeldet. Sie schildert eine Karriere, die typisch ist für viele Dschihadisten: Vom Kleinkriminellen zum Massenmörder.
Anis Amri stammt aus Oueslatia, einem verarmten Dorf in der Umgebung der Stadt Kairouan. Diese gilt als Hotspot der tunesischen Salafisten, hier wurden junge Männer für den Dschihad rekrutiert, ehe die Regierung 2013 dagegen vorging. Anis allerdings sei bis zu seiner Flucht nach Europa nie religiös oder intolerant gegenüber Andersgläubigen gewesen, erklärte sein Vater der britischen Zeitung «The Times».
Sein Sohn sei ein normaler Teenager gewesen, mit einer Leidenschaft für Fussball. «Er war ehrgeizig und wollte seinen gesellschaftlichen und finanziellen Status verbessern», sagte der Vater. Angesichts der drückenden Armut habe Anis jedoch die Sekundarschule in Kairouan abbrechen müssen. Dafür kam er mit Alkohol und Drogen in Kontakt. Wegen Diebstählen und Gewaltdelikten kam er wiederholt mit dem Gesetz in Konflikt.
Die Wirren nach dem Sturz von Diktator Ben Ali Anfang 2011 nutzte Anis Amri zur Flucht nach Italien, wo er wegen Diebstählen und Brandstiftung an einer Schule zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde. «Dort traf er extremistische Gruppen, von denen er sich angezogen fühlte», sagte Amris Vater.
2015 zog Amri weiter nach Deutschland, wo er sich als syrischer Flüchtling ausgab und um Asyl ersuchte. Er hielt weiter Kontakt zu seinen sieben Geschwistern – drei Brüder und vier Schwestern –, mit dem Vater jedoch habe er seit seiner Flucht aus Tunesien nie mehr gesprochen. «Einmal schickte er mir ein Mobiltelefon und eine Schachtel Schokolade über einen tunesischen Freund, der in Italien lebte.»
In Deutschland geriet Anis Amir, der sechs verschiedene Namen verwendet haben soll, erneut in den Dunstkreis von Salafisten, darunter der Hassprediger Ahmad Abdulaziz Abdullah A. alias «Abu Walaa», der kürzlich verhaftet wurde. Amris Asylgesuch wurde abgelehnt und er selber von den Staatsschützern als «Gefährder» eingestuft. Eine Abschiebung nach Tunesien war wegen fehlender Papiere nicht möglich.
Nun wird er dringend verdächtigt, den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt verübt zu haben. Seine Geschwister zeigten sich fassungslos. «Ich kann nicht glauben, dass er so etwas tun könnte», sagte seine Schwester Najoua der Nachrichtenagentur AFP. «Er gab uns nie das Gefühl, dass etwas falsch lief. Wir hatten Kontakt über Facebook, er hat immer gelacht und war fröhlich.»
Anis' Bruder Abdelkader äusserte sich deutlicher: «Ich war schockiert und konnte nicht glauben, dass er dieses Verbrechen begangen hat. Wenn er schuldig ist, verdient er jede Bestrafung. Wir distanzieren uns von Terrorismus und Terroristen – wir haben nichts mit Terroristen zu tun.» (pbl)