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Warum starb Sandra Bland in einer Gefängniszelle in Texas? Die sechs wichtigsten Antworten zu einem verwirrenden Fall

Sie setzte sich in den sozialen Medien für die Rechte von Schwarzen in den USA ein.
Sie setzte sich in den sozialen Medien für die Rechte von Schwarzen in den USA ein.Bild: Facebook

Warum starb Sandra Bland in einer Gefängniszelle in Texas? Die sechs wichtigsten Antworten zu einem verwirrenden Fall

23.07.2015, 17:3923.07.2015, 17:57
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Sandra Bland ist tot. Die 28-jährige Afroamerikanerin wurde tot in einer Gefängniszelle in Texas aufgefunden. Die Umstände ihrer Verhaftung und ihres Todes werfen Fragen auf. 

Hier die wichtigsten Antworten:

Wie kam es zur Verhaftung?

10. Juli 2015: Alles beginnt damit, dass Sandra Bland auf der Strasse einem Polizeiauto Platz machen will. «Ich bin Ihnen aus dem Weg gegangen. Sie haben beschleunigt und lagen mir im Rücken», sagt Bland dem weissen Beamten Brian Encinia, nachdem dieser sie angehalten hat, weil sie beim Spurwechsel den Blinker nicht aktiviert hatte.

Enicina bittet Bland, ihre Zigarette auszumachen. Sie antwortet mit einer Gegenfrage: «Ich bin in meinem Auto. Warum muss ich meine Zigarette ausmachen?» Daraufhin befiehlt der Polizist der jungen Frau, aus dem Auto auszusteigen.

Das Gespräch eskaliert zusehends, immer wieder fragt Bland, warum sie wegen einem fehlenden Blinklicht aus dem Wagen steigen müsse. Schliesslich richtet der Cop den Taser auf Sandra Bland und sagt: «Ich werde Sie anzünden! Steigen Sie aus! Jetzt!» 

Das von der Polizei veröffentlichte Video.YouTube/Texas Department of Public Safety

Kurze Zeit später befindet sich Bland ausserhalb des Autos in Handschellen. Was genau passiert, ist auf dem Video der Polizei-Dashcam nicht zu sehen. Zu hören ist jedoch ein Handgemenge. «Sie haben mich gerade niedergeschlagen und meinen Kopf auf den Boden geknallt», sagt Brown.

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In einem unscharfen Handyvideo eines Passanten ist zu sehen, wie der Polizist die Frau zu Boden drückt. Sie wird verhaftet. Nicht wegen des fehlenden Blinklichts, sondern wegen eines Angriffs auf einen Polizeibeamten. «Sie hat mich getreten», sagt der Polizist später über Funk zu einem Vorgesetzten, «nicht hart, aber sie hat mich getreten». Wegen dieses Vorwurfs musste Sandra Bland dann auch ins Gefängnis.

War die Verhaftung rechtens?

Experten sind sich einig, dass der Polizeibeamte nicht illegal gehandelt hat. Trotzdem merken einige an, dass er alles andere als souverän auf die störrische Frau reagiert habe. Der Streit beginnt, als Sandra Bland fragt, warum sie denn ihre Zigarette ausmachen müsse. Encinia geht nicht darauf ein, sondern sagt: «Sie können jetzt aus dem Auto aussteigen.»

Polizisten werden darin geschult, Beschimpfungen nicht persönlich zu nehmen, sagt der Professor und ehemalige Polizeioffizier Eugene O'Donnel zu NBC. «Die Beamten sind angehalten, so sehr wie möglich zu entpersonalisieren, Beleidigungen von sich abprallen zu lassen.» Im Video ist klar ersichtlich, dass sich Encinia im Verlauf des Gespräches provozieren lässt.

Die Verhaftung, aufgenommen mit einem Handy.YouTube/Shazzam1294

In einem Funkgespräch nach der Verhaftung erzählt Encinia seinem Vorgesetzten, er habe wiederholt versucht, zu deeskalieren. Das Gesprächsprotokoll zeigt ein anderes Bild. Sandra Bland war zwar sichtlich genervt und unfreundlich – doch das ist nicht verboten (in den USA geht das Unfreundlichsein zu Cops sogar unter das First Amendment, das Recht auf freie Meinungsäusserung). Es wäre die Aufgabe des Polizisten gewesen, die Situation zu beruhigen, statt sich aufwiegeln zu lassen.

Wurde das Polizeivideo manipuliert?

Das von der Polizei veröffentlichte Video der Verhaftung wirft einige Fragen auf: An mehreren Stellen tauchen Ungereimtheiten auf, wie mehrere Medien und User auf sozialen Medien bemerkten. Schnell wurde der Vorwurf laut, die Polizei hätte die Aufnahme bearbeitet.

In diesem vom Journalisten Ben Norton hochgeladenen Abschnitt sieht man zwei Mal, wie ein Mann aus einem Auto aussteigt:

An einer anderen Stelle taucht ein weisses Auto auf und verschwindet auf mysteriöse Weise wieder:

Die Polizei sagt, das Video sei nicht editiert worden. Die Anomalien seien wegen eines technischen Fehlers entstanden. Tatsächlich wurde später das ganze Video ohne fehlerhafte Szenen hochgeladen. In Anbetracht dessen und dem Fakt, dass die Anomalien wirklich offensichtlich und gut sichtbar sind, scheint es plausibel, dass es sich tatsächlich nicht um Manipulation gehandelt hat.

Wie ist Bland gestorben?

Drei Tage nach der Verhaftung, am 13. Juli, wird Sandra Bland leblos in der Zelle 95 des Gefängnisses in Waller County nordwestlich von Houston gefunden. Sie habe sich mit einer Plastikmülltüte erhängt, teilt die Polizei mit.

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Sandra Blands Familie hält einen Suizid für ausgeschlossen. «Das ist unvorstellbar», sagte ihre Mutter an einer Medienkonferenz. Sandra sei gerade umgezogen und habe sich auf ihren neuen Job gefreut. Der zuständige Staatsanwalt Elron Mathis ordnet an, den Fall wie einen Mordfall zu untersuchen. «Es gibt zu viele Fragen, die beantwortet werden müssen», sagte Mathis.

Blands Leiche wird im Gefängnis abtransportiert.
Blands Leiche wird im Gefängnis abtransportiert.Bild: EPA/WALLER COUNTY SHERIFF'S OFFICE

Der Menschenrechtsanwalt Avery Friedman kritisiert die Polizei in einem Interview mit CNN scharf. Man hätte die Insassin besser überwachen müssen. Ausserdem stelle sich die Frage, wie dieser Plastiksack in die Zelle gekommen sei. Das Gefängnis sei schon früher aufgefallen, weil es seine Aufsichtspflicht nicht eingehalten habe.

War sie suizidgefährdet?

Über die mentale Gesundheit von Sandra Bland kursieren widersprüchliche Angaben. In Unterlagen, die sie nach ihrer Ankunft im Gefängnis ausfüllte, soll Bland angegeben haben, dass sie nach dem Verlust eines Babys einen Suizidversuch unternommen hatte. In den Papieren steht aber auch, dass sie zum Zeitpunkt der Festnahme keine Suizidgedanken gehegt habe. 

Doch die Dokumente enthalten Widersprüche: In einem Fragebogen steht, Bland habe in diesem Jahr versucht, mit Tabletten Suizid zu begehen. Gemäss einem anderen Formular sei dies im Jahr 2014 passiert.

Auch eine angebliche Epilepsie-Erkrankung sorgt für Verwirrung: Bland soll den Wärtern gesagt haben, sie nehme Epilepsie-Medikamente. In einem Dokument, das sie ausfüllte und unterschrieb, erwähnte sie diese jedoch nicht. Die Angehörigen wussten nichts von einer Epilepsie-Erkrankung der Verstorbenen.

Im März hatte Sandra Bland auf Facebook ein Video veröffentlicht, in dem sie sagte, sie leide «an einer kleinen Depression und einer posttraumatischen Belastungsstörung». Freunde sagten, sie habe damals einfach nur nach einem schlechten Tag ihrem Ärger Luft gemacht. 

Wer war Sandra Bland?

Die Afroamerikanerin Sandra Bland ist von Illinois nach Texas umgezogen, um dort einen neuen Job an einer Universität anzutreten. In den sozialen Medien und in Videos, die sie «Sandy Speaks» nannte, äusserte sie sich regelmässig über den Alltagsrassismus in den USA.

«Sandy Speaks» über die Bewegung #BlackLivesMatter.YouTube/Diamond Blakke

Aufgrund ihrer mutmasslichen Todesart ist ein Tweet vom 8. April besonders unheimlich. Bland schrieb: «Früher benutzten sie eine Schlinge, jetzt schiessen sie nur noch.» 

(rey)

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