Vor 100 Jahren traten die USA in den Ersten Weltkrieg ein. Eine historische Wende mit Folgen bis heute: Erstmals beanspruchten die USA die Rolle des Weltpolizisten.
2017 sind die USA die letzte verbliebene Supermacht. Während sie rund um den Globus ihren militärischen Fussabdruck hinterlassen haben, will Präsident Donald Trump ihre Rolle neu definieren, das Land abschotten, internationale Taue kappen.
Vor 100 Jahren, als in Europa der Erste Weltkrieg tobte, schickten sich die USA noch an, Weltmacht zu werden. Lange sträubten sie sich, zu den Waffen zu greifen. Bis zum 6. April 1917.
Noch 1916 hatte sich Präsident Woodrow Wilson die Wiederwahl mit dem griffigen Slogan erkämpft: «He kept us out of war» – «Er hielt uns aus dem Krieg heraus». Noch herrschte die «Monroe-Doktrin», die Parole hiess «Amerika den Amerikanern», aus den Streitigkeiten in Europa solle man sich heraushalten.
Bereits die Versenkung des britischen Passagierschiffes «Lusitania» vor der Südküste Irlands durch deutsche Torpedos im März 1915 hatte aber erste Schockwellen nach Amerika gesandt. Fast 1200 Tote, darunter 128 Amerikaner – ein erster Warnschuss für Wilson. Um ihn zu beruhigen, versprach Berlin den «uneingeschränkten U-Boot-Krieg» erst einmal einzustellen.
Der endgültige Rückschlag kam Anfang 1917. In der Hoffnung, Grossbritannien rasch aushungern zu können, nahm Deutschland den U-Boot-Krieg mit aller Macht wieder auf. Und dann war da die Zimmermann-Depesche, ein im Rückblick fast operettenhaft bizarres Schriftstück. Autor: Staatssekretär Arthur Zimmermann.
Deutschland wollte Mexiko mit dem vollmundigen Versprechen in den Krieg ziehen, dass es sich später Texas, New Mexiko und Arizona einverleiben dürfe. Die Depesche wurde abgefangen. Sie beseitigte in den USA letzte pazifistische Hindernisse.
Für die Historikerin Barbara Tuchman erleichterte die Zimmermann-Depesche Wilson den Schritt in einen unpopulären Krieg ganz entscheidend. Sie schreibt: «Würden die Amerikaner ohne das Telegramm kriegsbereit gewesen sein? Wahrscheinlich nicht ...»
Die lange pazifistische «Daily Tribune» beschrieb am 5. April 1917 auf der Seite eins die Konsequenz: «Das imperiale Deutschland hat wiederholt kriegerische Akte gegen die Regierung und das Volk der USA begangen.» Am Tag darauf erklärten die USA den Mittelmächten den Krieg.
«Es war nicht nur der deutsche U-Boot-Krieg, der die USA zum Eingreifen bewegte», sagte der US-Historiker Michael Kazin von der Georgetown Universität in Washington der Nachrichtenagentur DPA. «Wilson dachte, dass die Welt ein besserer Ort werden sollte. Er war überzeugt, dass Gott auf der Seite Amerikas steht.»
Mit dem Kriegseintritt zielte Wilson nach eigenen Worten auf den «ultimativen Frieden für die Welt, die Befreiung der Völker, einschliesslich des deutschen Volkes». Und weiter: «Uns interessiert nicht der Profit. Wir kämpfen für das, was wir das Recht der Menschen auf Frieden und Sicherheit halten.»
Es war eine historische Wende mit Folgen bis heute. Erstmals beanspruchten die USA die Rolle des Weltpolizisten. Ein gehöriger Schuss Sendungsbewusstsein begann die amerikanische Politik zu prägen. Die USA setzten an, die Rolle des britischen Königreichs als Weltmacht zu übernehmen.
Zunächst griffen die USA lediglich mit 14 000 Soldaten in den Krieg ein. Der deutsche Generalstab schätzte die Stärke der US-Militärs «irgendwo zwischen Belgien und Portugal» ein. Eine grandiose Fehldiagnose.
«Zunächst handelte es sich eher um einen psychologischen Faktor», meint Kazin. «Entscheidend war die Aussicht auf Millionen ausgeruhter US-Truppen, während Deutschland schon völlig erschöpft war.» Abseits der Psychologie schicke Wilson allerdings insgesamt rund zwei Millionen Mann auf die Schlachtfelder. 116'000 von ihnen kamen um.
Erst im Februar 2011 starb der letzte US-Veteran dieses Krieges. Frank Woodruff Buckles wurde 110 Jahre alt.
Historiker bewerten den Kriegseintritt nüchtern. «Die USA traten in den Krieg ein wegen des Gleichgewichts der Mächte», urteilt der Historiker Arthur M. Schlesinger. Folge des Krieges war auch «die grösste Explosion der Wirtschaftsproduktion in der Geschichte der Nation», schreibt Historiker A. Scott Berg.
Wilson warf eine gigantische Propagandamaschine an. Deutsche wurden als Hunnen und wilde Teutonen gezeichnet, Schulen stellten Deutschunterricht ein, Sauerkraut hiess «Liberty Cabbage», Freiheitskohl. Viele Deutschstämmige amerikanisierten ihre Namen, aus Schmidt wurde Smith, aus Müller Miller.
Nebeneffekt zwei: Zensur und Meinungskontrolle. Ein «Anti-Spionage-Gesetz» verbot praktisch jede Kritik an Regierung und Kriegspolitik. «Die Manipulation der öffentlichen Meinung zu politischen Zwecken wurde zur höchst raffinierten Kunst», urteilt der Historiker David M. Kennedy in seinem Standardwerk «The First World War and American Society» und spricht offen von Zensur.
Mit Blick auf die heutige Praxis der US-Geheimdienste sagt Kazin dazu süffisant: «Es gab damals schon eine ganze Menge Überwachung.»
Wilsons hochfliegende Friedenspläne fanden ein bitteres Ende. Bei den Friedensverhandlungen in Versailles wurde er mit Jubel empfangen. Doch sein 14-Punkte-Programm, sein Drängen nach einem Völkerbund für die Regelung der Weltkrisen, stiess vor allem im eigenen Land auf tiefe Skepsis. Statt die Öffnung zur Welt fortzusetzen, verfielen die USA in neuen Isolationismus.
Dem Völkerbund, dem Vorläufer der Vereinten Nationen, traten die USA niemals bei. Wenn Trump nun 2017 die UNO verächtlich macht, sein Land auf sich selbst zurück- und von internationalen Bündnissen wegführen will, dann findet dieses «Amerika zuerst» hier ein fernes Echo. Einmal mehr geht es um Isolationismus, wenn auch aus anderem Grund. (whr/sda/dpa)