Einst jagten hier russische Zaren und polnische Fürsten. Heute leben 250 Vogel- und 62 Säugetierarten im Urwald von Białowieża, darunter Wölfe, Luchse und Europas grösster Säuger, der Wisent. Ein Teil des 150'000 Hektar grossen Waldes, der im polnisch-weissrussischen Grenzgebiet liegt, ist ein Nationalpark und gehört zum Weltnaturerbe und Biosphärenreservat der UNESCO. Hier stehen majestätische Eschen, jahrhundertealte Eichen und mächtige, bis zu 50 Meter hohe Fichten – Europas grösste Bäume.
Vielleicht nicht mehr lange. Die rechtskonservative Regierung in Polen kann sich mit den strikten Schutzbestimmungen für den letzten Tiefland-Urwald Europas nicht anfreunden. Im März 2016 beschloss sie, eine Verdreifachung der bisher zugestandenen Abholzung zu erlauben – und zwar auch in Teilen des Waldes, die bisher von Eingriffen jeglicher Art ausgenommen waren.
Das rief die EU-Kommission auf den Plan. Im April 2017 forderte sie Warschau in einer «letzten Mahnung» dazu auf, den grossflächigen Holzeinschlag im Natura-2000-Gebiet – das Natura-2000-Netz verbindet Schutzgebiete in der gesamten EU – innerhalb von vier Wochen zu stoppen. Ansonsten werde sie Polen vor dem EU-Gerichtshof (EuGH) verklagen.
Die polnische Regierung liess sich davon nicht beirren und stoppte die Abholzung nicht. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass vorherige Regierungen Polen um viel Geld gebracht hätten, weil sie derart strenge Richtlinien zum Holzeinschlag akzeptiert haben. Umweltminister Jan Szyszko konterte zudem, bei den Massnahmen im Wald handele es sich um «aktiven Schutz» – mit der Abholzung bekämpfe man den Borkenkäfer. Später forderte der Minister sogar, den Wald von der UNESCO-Liste zu streichen.
Mitte Juli hat die EU-Kommission daher Warschau wie angedroht vor dem EU-Gerichtshof verklagt. Da der Holzeinschlag bereits begonnen hat, forderte Brüssel zusätzlich eine einstweilige Verfügung des Gerichtshofes. Solche Massnahmen werden nur in dringenden und schwerwiegenden Fällen verhängt, bis ein endgültiges Urteil ergangen ist.
Nicht nur die EU und die UNESCO – sowie Naturschutzorganisationen wie Greenpeace oder der WWF – sorgen sich um den Urwald von Białowieża. In Polen selber wächst der Widerstand. Mitte Juli demonstrierten Umweltschützer in Krakau, wo das UNESCO-Welterbekomitee tagte. Und am letzten Wochenende gingen in Warschau tausende auf die Strasse, um gegen die Abholzung zu protestieren.
Wie der Kampf um einen der letzten Urwälder in Europa ausgehen wird, steht derzeit noch in den Sternen.
(dhr)