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Britische Juden wollen Wiedereinbürgerung in Deutschland

London rabbi Julia Neuberger poses for a photograph with the old German passport of her grandmother, Hermine Sara Rosenthal, at the West London Synagogue in London, Britain September 20, 2016. REUTERS ...
Bild: STEFAN WERMUTH/REUTERS

Ihre Grosseltern flohen vor den Nazis – Brexit treibt britische Juden zurück nach Deutschland

22.09.2016, 13:5122.09.2016, 13:57
Kian Ramezani
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Seit der überraschenden Annahme des Brexit-Referendums überlegen sich viele Briten, wie sie zu einem zweiten EU-Pass kommen. Sie wollen auch nach dem Ausscheiden des Vereinigten Königreichs von den Vorteilen der Union profitieren können. Die Republik Irland etwa wurde im Nachgang der Abstimmung mit tausenden Einbürgerungsgesuchen eingedeckt.

Auch Deutschland verzeichnet eine markante Zunahme an Anfragen aus Grossbritannien, und zwar basierend auf Artikel 116 des Grundgesetzes:

«Frühere deutsche Staatsangehörige, denen zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 die Staatsangehörigkeit aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen entzogen worden ist, und ihre Abkömmlinge sind auf Antrag wieder einzubürgern. (...)»
Artikel 116, Grundgesetzquelle: bundestag.de

Tatsächlich überlegen sich etliche jüdische Briten deutscher Abstammung, diesen Weg zu beschreiten. Der Antrag ist reine Formsache und für die Betroffenen kostenlos. Unter ihnen ist die Londoner Rabbinerin und Mitglied des House of Lords, Julia Neuberger, deren Mutter 1937 aus Nazi-Deutschland nach Grossbritannien floh.

London rabbi Julia Neuberger poses for a photograph with the old German passport of her grandmother, Hermine Sara Rosenthal, at the West London Synagogue in London, Britain September 20, 2016. REUTERS ...
Julia Neuberger mit dem Reisepass ihrer Grossmutter (20.09.2016).Bild: STEFAN WERMUTH/REUTERS

«Meine Tochter fragte mich: ‹Wie kannst du nur, nach all dem, was sie uns angetan haben?›», sagt Neuberger gegenüber Reuters. Die Last der Geschichte ist allgegenwärtig, auch im Antragsverfahren. Als Nachweis ihrer deutschen Abstammung dient zum Beispiel der Reisepass der Grossmutter mit dem berüchtigten Judenstempel auf der ersten Seite: 

The old German passport of Hermine Sara Rosenthal, the grandmother of London rabbi Julia Neuberger, is seen at the West London Synagogue in London, Britain September 20, 2016. REUTERS/Stefan Wermuth
Bild: STEFAN WERMUTH/REUTERS

Auch anderen bereitet die Vorstellung Mühe: «Als mein Sohn mir nach der Abstimmung eröffnete, dass er einen Antrag stellen würde, war ich entsetzt und sagte, dass sich meine Mutter im Grab umdrehen würde», sagt Frank Harding, dessen Eltern ebenfalls in den 1930er-Jahren aus Deutschland flohen.

Der über 70-Jährige habe die Entscheidung zunächst wie einen Verrat an seinen Eltern empfunden, die deutsche Produkte boykottierten und sie in ihrem Haus verbaten. Inzwischen verstehe er seinen Sohn, für die jüngere Generation sei es wichtig, die Tür nach Europa offen zu halten. «Es ist sicher auch eine Art Versöhnung, aber ich selbst habe noch nicht entschieden, ob ich den Antrag stellen werde.»

Auch Rabbinerin Neuberger sagt, nach all den Jahren habe Sie Ihren Frieden mit Deutschland gemacht. Mehr noch: «Ein wenig deutsch bin ich ja doch, ganz tief drin.»

Laut dem Auswärtigen Amt in Berlin sind in der deutschen Botschaft in London bislang 400 Anfragen betreffend Einbürgerung nach Artikel 116 sowie rund 100 Gesuche eingegangen. In einem normalen Jahr habe es 20 solcher Anfragen gegeben. Und es könnten noch weit mehr werden: Viele jüdische Briten sagten gegenüber Reuters, sie würden die Austrittsverhandlungen abwarten und dann entscheiden. Glaubt man den jüngsten Verlautbarungen aus London, könnte am Ende auch ein Totalbruch mit der EU stehen.

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15 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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herschweizer
22.09.2016 14:00registriert November 2014
Würde ich auch machen. Wieso hat denn jemand damit ein Problem?
6431
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the brain
22.09.2016 14:55registriert Juni 2016
Anekdotische Evidenz, mein Lieber, sei gewahr, genauso falsch wie der Vergleich der Fluchtgründe während dem Krieg versus aktueller Partikularinteressen im Bereich staatlicher Vorteile.
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