Ein Steckbrief mit seinem Foto: überall. Die Sicherheitsbehörden in höchster Alarmbereitschaft. Trotzdem gelangt der Terrorverdächtige Amri bis nach Italien. Dort endet seine Flucht – ganz ohne die höchste Garde der Fahnder.
Es ist mitten in der Nacht in Sesto San Giovanni. 25 Minuten braucht man von hier aus mit der Metro nach Mailand. Zwei junge Polizisten schieben in der Nähe des Bahnhofs der 80'000-Einwohner-Stadt Wache. Da fällt Luca Scatà und Christian Movio ein Mann auf. Sie fragen ihn nach seinen Papieren. Dann geht alles ganz schnell: Statt eines Ausweises zieht der Mann eine Pistole, schiesst, die Polizisten feuern zurück. Und töten: den mutmasslichen Attentäter von Berlin.
HEROES #LucaScata& #ChristianMovio sent #AnisAmri a brainless killer of #IslamicState to hell.GRAZIE BRAVO! #Milan #Milano #Berlin #IS #ISIS pic.twitter.com/GYXD46QKdb
— Stephan Schmidt (@beta_resort) 23. Dezember 2016
Anis Amri ist tot. In Italien endet das Drama vom Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz, bei dem Amri einen Lastwagen in eine Menschenmenge gelenkt haben soll. Mindestens 12 Menschen starben dabei. Amri setzte sich unbehelligt mit dem Zug ab, erst nach Frankreich, dann nach Italien. Gestoppt haben ihn die 29 und 36 Jahre alten Polizisten, die nun nicht nur in Italien wie Helden gefeiert werden.
Italiens Präsident lässt Grüsse ausrichten, der Premierminister dankt, der Innenminister ruft die beiden an, der Mailänder Polizeipräsident lobt. Vorbildlich, professionell, pflichtbewusst, mutig hätten sich die beiden verhalten. Scatà, der den entscheidenden Schuss abgibt und Amri in den Brustkorb trifft. Movio, der dem Verdächtigen aufgrund seines Akzents nicht abnimmt, dass dieser aus dem süditalienischen Reggio Calabria kommt, auf die Papiere beharrt und schliesslich von dem extrem gefährlichen Amri angeschossen wird.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel dankt den Sicherheitsbehörden, Innenminister Thomas de Maizière zeigt sich erleichtert nach der Ausschaltung Amris durch die beiden Polizisten. Die Berliner Polizei schreibt auf Twitter «Grazie» an die beiden Poliziotti.
«Als wir ihn heute am frühen Morgen am Telefon gehört haben, wusste er noch gar nicht, dass der getötete Mann der Attentäter war», sagt der Vater des 29-Jährigen, Giuseppe Scatà, der Nachrichtenagentur Ansa. «Ich danke Gott, dass Luca am Leben ist. Er ist ein mutiger Junge und hat seine Pflicht getan.» Scatà ist übereinstimmenden Medienberichten zufolge erst seit neun Monaten als Polizist auf Probe im Dienst.
Dass ihr Sohn Luca einen europaweit gesuchten Terrorverdächtigen getötet hat, bringt Scatàs Mutter zum Nachdenken. «Es berührt einen, wenn man darüber nachdenkt, dass zwei junge Leute so unterschiedliche Wege eingeschlagen haben», sagt sie über Luca und Anis Amri, die in einem ähnlichen Alter sind.
«Es tut mir Leid, dass einer von ihnen tot ist, aber er wusste um das Risiko seines Handelns.» Sie sei immer noch aufgewühlt, habe aber noch nicht mit Luca sprechen können: Er müsse erst noch zu den Ereignissen befragt werden und das gehe vor. «Er war immer stark, erwachsen», sagt sie der Ansa.
Sein Kollege Christian ist auf dem Weg der Besserung. Ein Projektil aus Amris 22-Kaliber-Pistole traf ihn an der Schulter. Er musste operiert werden, schwebte aber nicht in Lebensgefahr. Fotos zeigen ihn im Spital in Monza nördlich von Mailand mit dem Handy am Ohr.
Laut Mailands Polizeipräsident Antonio de Iesu hätte Amri vermutlich erneut zugeschlagen. Dass das nicht passiert ist, ist den beiden Polizisten zu verdanken. «Italien ist ihnen zu Dank verpflichtet», fasst Innenminister Marco Minniti zusammen.
Auch wenn noch nicht klar ist, ob der 24-jährige Tunesier ein Komplizennetzwerk hat: Die Sicherheitsbehörden in Italien und Deutschland atmen auf, dass der gesuchte Terrorverdächtige nun nicht mehr morden kann. Die Weihnachtstage stehen bevor und mit ihnen auch grosse Festlichkeiten, wie am Samstag und Sonntag im Petersdom und auf dem Petersplatz in Rom, wo schon im vergangenen Jahr erhöhte Sicherheitsvorkehrungen galten.
In Italien schliesst sich für Amri der Kreis zu seiner Vergangenheit in Europa. Dort war er 2011 als Flüchtling angekommen, gab sich als Minderjähriger aus, wurde schliesslich wegen verschiedener Gewalttaten verhaftet und kam ins Gefängnis. Angeblich wollte er am Freitag von Mailand nach Süditalien weiterreisen, berichteten Medien. Dort war er, bevor er das Land verlassen musste und sich auf den Weg nach Deutschland machte. (sda/dpa)
Sehr eindrückliche Aussage der Mutter. Tiefster Respekt dafür !!
Welches Gefühl wird wohl stärker sein, wenn die zwei Polizisten wieder auf Patrouille sind ?
Die dankbaren Gesichter zu sehen im Wissen etwas Gutes getan zu haben
oder
dieses flaue Gefühl, dass an jeder Ecke..
Ich finde diese Partystimmung der italienischen Polizei grenzwertig. Ein bischen mehr Demut wäre angebracht.
Für den IS sind die beiden Polizisten jetzt auf jeden Fall ein lohnendes Ziel, da weltweit maximale Aufmerksamkeit gewiss wäre, wenn..