Justine Ruszczyk aus Sydney wollte in den USA ein neues Leben anfangen. In Minneapolis im Bundesstaat Minnesota hatte die ausgebildete Tierärztin eine Praxis für Meditation und Lebensberatung eröffnet. Im August wollte sie ihren amerikanischen Verlobten Don Damond auf Hawaii heiraten. Seinen Namen hatte die 40-jährige Australierin schon zuvor angenommen.
Am 15. Juli endete der amerikanische Traum von Justine Damond durch die Kugel eines Polizisten. Kein neues Phänomen: In den letzten Jahren waren in den USA mehrfach unschuldige Menschen von Ordnungshütern getötet worden. Meist war das Opfer schwarz. In Minneapolis war es umgekehrt: Die Tote war weiss, und der Schütze ein Einwanderer aus Somalia.
Der Vorfall sorgte für Aufsehen, doch anfangs geschah wenig. Amerika schien nicht zu wissen, wie man mit einer Bluttat umgehen sollte, die nicht in das übliche Schema passte. In Australien jedoch waren die Trauer und das Entsetzen immens. Premierminister Malcolm Turnbull bezeichnete die Tötung als «schockierend» und «unerklärlich»: «Wir verlangen Antworten im Namen der Familie.»
Was geschah an jenem Samstagabend?
Kurz vor 23.30 Uhr rief Justine Damond ihren Verlobten an, der sich auf Geschäftsreise befand. Sie habe auf der Strasse hinter ihrem Haus Geräusche gehört, die sich wie eine Vergewaltigung anhörten, sagte sie ihm. Don Damond riet ihr, den Notruf zu verständigen. Zwei Polizisten machten sich auf den Weg, der 25-jährige Matthew Harrity und der 31-jährige Mohamed Noor.
Gegen 23.40 Uhr waren sie vor Ort. Harrity, der am Steuer sass, schaltete die Scheinwerfer des Streifenwagens aus, Noor entsicherte seine Pistole. Justine Damond begab sich im Pyjama auf die Strasse und ging zum Polizeiauto. Als sie beim offenen Fenster auf der Fahrerseite angelangt war, schoss Noor ihr in den Bauch. Zuvor soll es ein lautes Geräusch gegeben haben. Die Polizisten wollten die Frau wiederbeleben, doch zehn Minuten später wurde sie für tot erklärt.
Die beiden Beamten wurden vom Dienst suspendiert. Während Harrity einer Einvernahme zustimmte, verweigert Noor, der den Schuss abgefeuert hat, bislang die Aussage. Sicher ist, dass beide ihre Körperkameras ausgeschaltet hatten. Diese wurden eingeführt, um unter anderem solche Fälle zu verhindern. Ebenso klar ist, dass Justine Damond unbewaffnet war.
Warum musste sie trotzdem sterben? Ein Grund mag sein, dass «zwei der unerfahrensten Beamten aus dem Polizeikorps von Minneapolis» an den Ort des Geschehens entsandt worden waren, schrieb die Zeitung «The Australian». Matthew Harrity war erst ein Jahr zuvor der Polizei beigetreten. Mohamed Noor vor 21 Monaten.
Der Sohn einer Einwandererfamilie hatte sich zuvor im Gastgewerbe und in der Immobilienbranche versucht. Sieben Monate vor der Bluttat hatte er einen Sorgerechtsstreit gegen seine frühere Partnerin um den gemeinsamen Sohn verloren. Ausserdem war er mit einer Klage wegen Freiheitsberaubung konfrontiert. Er soll mit zwei Kollegen eine Frau gegen ihren Willen in ein Spital eingeliefert haben.
Dennoch galt Noor als Vorzeige-Polizist. Er war der erste somalische Beamte in seinem Bezirk. In Minneapolis leben rund 30'000 Menschen aus Somalia, es ist die grösste Gemeinde in den USA. Das Zusammenleben verläuft nicht konfliktfrei. Mehrere Somalis aus Minnesota waren an der Planung von Terroranschlägen in den USA beteiligt.
Entsprechend schwer tut man sich nun mit dem Fall Damond. Ausser Mahnwachen vor ihrem Haus geschah wenig. Black Lives Matter, die als Reaktion auf die Tötung von Schwarzen gegründete Bürgerrechts-Organisation, schwieg genauso wie die «Blue Lives Matter»-Bewegung, die als Gegenreaktion entstand und sich für angeschuldigte Polizisten einsetzt.
Rechte Kreise witterten ein Komplott, weil der Schütze «ein schwarzer, islamischer Einwanderer aus Somalia» war. Sie beschuldigten die Medien, sie wollten den Fall «beerdigen». Das trifft nicht zu, dennoch war der Kontrast zu den Protestkundgebungen nach der Tötung von Schwarzen durch die Polizei auffällig. Erst im Juni hatten in Minneapolis solche Demonstrationen stattgefunden, nach dem Freispruch für einen Polizisten im Fall Philando Castile.
Der Afroamerikaner war vor einem Jahr mit dem Auto angehalten worden, weil ein Bremslicht defekt war. Der Polizist tötete ihn mit fünf Kugeln, weil er angeblich befürchtete, Castile wolle eine Waffe zücken. Der Vorfall ging um die Welt, weil seine Freundin auf dem Beifahrersitz ihn mit dem Handy filmte und auf Facebook streamte. Ihre vierjährige Tochter sass auf dem Rücksitz.
Der Polizist – ein Latino – wurde vom Vorwurf des Totschlags freigesprochen. Die Familie von Philando Castile erhielt eine Entschädigung von drei Millionen Dollar, dennoch war die Empörung über das Urteil gross. Mit Verzögerung setzte dieser Prozess auch im Fall von Justine Damond ein. Janee Harteau, die Polizeichefin von Minneapolis, musste zurücktreten.
Letzte Woche fand unter dem Motto «Justice for Justine» eine Kundgebung statt. Dabei kam es zu einer symbolträchtigen Umarmung von Don Damond und Valerie Castile, der Mutter von Philando Castile. «Man versteht langsam, dass es nicht um schwarz oder weiss geht, sondern um Menschen», sagte Castile. Nach dem Freispruch habe sie gewusst, dass es wieder Tote geben würde.
Der genaue Hintergrund der Tötung von Justine Damond bleibt mysteriös. Aus einem Durchsuchungsbefehl geht laut CNN hervor, dass sie auf die Rückseite des Streifenwagens «geschlagen» habe. Das könnte das laute Geräusch erklären. Ob diese Information der Aussage von Matthey Harrity entnommen wurde, ist unklar. Mohamed Noor schweigt weiter.
Über die eigentliche Ursache der Polizeigewalt wird in den USA kaum, in Australien dafür umso heftiger diskutiert: Eine «verstörende Waffenkultur» habe Justine Damond getötet, schrieb ein Kolumnist der Zeitung «The Advertiser» aus Adelaide. Amerikas Waffenwahn sorgt dafür, dass die Knarre bei der Polizei locker sitzt, aus Selbstschutz. Den Preis zahlen unschuldige Opfer, die meistens schwarz sind. Für einmal traf es eine weisse Frau aus Australien.