Doppelbürgerschaft
Cassis interveniert bei Zeitungsredaktion - wegen «Fake News» um seinen italienischen Pass

Bis 1992 waren Doppelbürgerschaften in der Schweiz verboten. Wie konnte FDP-Bundesratskandidat Ignazio Cassis dennoch zwei Pässe besitzen? Eine Nachforschung.

Antonio Fumagalli und Henry Habegger
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Als Beweis dafür, dass bei seiner Einbürgerung alles mit rechten Dingen zugegangen ist, zeigt Ignazio Cassis eine Kopie des Originaldokuments von 1976.

Als Beweis dafür, dass bei seiner Einbürgerung alles mit rechten Dingen zugegangen ist, zeigt Ignazio Cassis eine Kopie des Originaldokuments von 1976.

Foto: key/ho; Montage: edi

Ignazio Cassis und sein italienischer Pass – seit Wochen schon schwelt die Polemik rund um die Doppelbürgerschaft des aussichtsreichsten Bundesratskandidaten der FDP. Politiker aller Couleur debattieren darüber, ob es nun staatspolitisch notwendig oder doch eher opportunistisch war, dass er den Pass Anfang August ohne zwingenden Grund bei den italienischen Behörden abgab. So weit, so bekannt.

Am Sonntag vergangener Woche publizierte das Online-Portal «Infosperber» dann einen Text unter dem Titel «Ignazio Cassis: Sagt er die ganze Wahrheit?» – und gab der Geschichte plötzlich eine neue Wendung. Tenor des Artikels, der auf Erzählungen der Dorfbevölkerung von Sessa beruht: Der FDP-Magistrat habe aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen zum Zeitpunkt seiner Einbürgerung den italienischen Pass abgeben müssen und ihn erst Jahre später wieder beantragt. Er habe seine italienische Staatsbürgerschaft also auf eigenen Antrieb und in erwachsenem Alter wieder zurückgewonnen – was seine heutigen Aussagen naturgemäss in ein anderes Licht rücken würde.

Eigentlich nicht möglich, aber...

Nachfrage also bei Ignazio Cassis: Wie war das damals bei der Einbürgerung im Jahr 1976 genau? Der Tessiner überlegt nicht lange und qualifiziert die im Artikel dargelegte Version seiner Einbürgerung kurzum als «Fake-News». «Ich war von der Geburt bis am 7. August 2017 ununterbrochen italienischer Staatsbürger. Den italienischen Pass habe ich bis zu diesem Zeitpunkt nie abgegeben», beteuert er. Aber sagt er auch die ganze Wahrheit oder vielleicht doch nur die halbe, wie der Online-Artikel insinuierte?

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) kommentiert den Einzelfall nicht. Es legt aber den juristischen Rahmen dar, in dem sich die Familie Cassis zum Zeitpunkt der Einbürgerung – die Eltern wurden erst später Schweizer – bewegte.

Tatsächlich war es bis 1992 grundsätzlich nicht möglich, gleichzeitig Bürger der Schweiz und eines anderen Landes zu sein. Wer sich bis in jenes Jahr einbürgern lassen wollte, musste «alles unterlassen, was die Beibehaltung der bisherigen Staatsangehörigkeit bezweckte» – andernfalls konnte eine Einbürgerung wegen «Erschleichens» für nichtig erklärt werden.

Aber: Diese Bestimmung galt nur für ordentliche, nicht jedoch für erleichterte Einbürgerungen, wie das SEM mitteilt. Ob dies heisst, dass Personen, die von einer erleichterten Einbürgerung profitierten, die frühere Staatsangehörigkeit in gar keinem Fall abgeben mussten, kann das Staatssekretariat nicht beantworten – das sei von der «damalig etablierten Praxis» abhängig gewesen, die sich jetzt nicht mehr eruieren lasse.

Cassis selbst erinnert sich nicht mehr daran, ob er damals im Alter von 15 Jahren erleichtert eingebürgert worden ist. Aufgrund der damaligen Gesetzeslage scheint dies allerdings wahrscheinlich. Vor 1992 war eine erleichterte Einbürgerung grundsätzlich bei zwei Konstellationen möglich: bei der Heirat eines schweizerischen Ehegatten oder bei Geburt in der Schweiz als Kind ausländischer Eltern. Cassis kam 1961 in Croglio TI zur Welt.

Die Forderung an die «NZZ am Sonntag»

Die Querelen rund um seine einstmalige Doppelbürgerschaft sind damit aber noch nicht beendet: Vor drei Tagen kolportierte die «NZZ am Sonntag» die Grundaussage des «Infosperber»-Artikels, ohne freilich die Quelle zu nennen. Ignazio Cassis platzte damit offenbar der Kragen. In einem Mail, das der «Nordwestschweiz» vorliegt, forderte er die Redaktion auf, «dafür zu sorgen, dass diese falsche Meldung nicht mehr weiterverbreitet wird». Die Onlineversion des entsprechenden Artikels wurde kurz darauf abgeändert.

Als Beweis dafür, dass bei seiner Einbürgerung alles mit rechten Dingen zugegangen sei, legte Cassis eine Kopie des Originaldokuments von 1976 bei (siehe PDF unten). Darin schrieb der italienische Generalkonsul Ignazios Vater Luigi, dass der «Erwerb einer ausländischen Staatsbürgerschaft während der Minderjährigkeit (...) nicht den Verlust der italienischen Staatsbürgerschaft verursacht. Deswegen bleibt Ihr Sohn auch italienischer Staatsbürger.»

HO