Bundesstrafgericht
Läuft ein radikaler Islamist bald frei in der Schweiz herum?

Ein Unterstützer der Terrorgruppe Dschabhat al-Nusra steht am Freitag vor dem Richter. Eine zweieinhalbjährige teilbedingte Freiheitsstrafe hat er bereits akzeptiert.

Gerhard Lob, Bellinzona
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Ins Gefängnis oder in die Freiheit? Das muss das Bundesstrafgericht im Fall eines Terrorunterstützers entscheiden.

Ins Gefängnis oder in die Freiheit? Das muss das Bundesstrafgericht im Fall eines Terrorunterstützers entscheiden.

Ti-Press/Key (Symbolbild)

Es war ein Anti-Terror-Einsatz von bis dahin ungekannten Dimensionen. Am Morgen des 22. Februars dieses Jahres führten mehr als 100 Beamte der Kantonspolizei Tessin sowie des Bundesamts für Polizei (Fedpol) Hausdurchsuchungen im Tessin – insbesondere
im Raum Lugano – durch. Die Aktion erfolgte im Rahmen eines Strafverfahrens der Bundesanwaltschaft (BA) gegen mutmassliche Unterstützer der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) beziehungsweise ähnlich radikaler Gruppen.

Ob der Grosseinsatz verhältnismässig war, ist bis heute umstritten. Tatsache ist: Ein damals verhafteter 32-jähriger Mann, der in der Sicherheitsfirma Argo1 zur Überwachung eines Asylbewerberzentrums arbeitete, hat die Vorwürfe gegen ihn als Unterstützer von radikalen islamistischen Terrorgruppen anerkannt. Dies geht aus der Tatsache hervor, dass er einem vorzeitigen Strafvollzug zustimmte und die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft vom 12. Juli dieses Jahres im Rahmen eines abgekürzten Verfahrens akzeptierte.

«Bester Tod»

In dieser Anklageschrift wird der Schweizer Bürger mit türkischen Wurzeln zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, davon sechs Monate unbedingt. Da er bereits seit dem 22. Februar in Haft ist, werde er auf Ende August auf freien Fuss kommen, schreibt Bundesstaatsanwalt Sergio Mastroianni in einem nachgereichten Begleitschreiben zur Anklageschrift. Der Mann sitzt im Kantonsgefängnis bei Lugano im vorzeitigen Vollzug. Er soll auch die Verfahrenskosten von knapp 150 000 Franken übernehmen.

Gemäss Anklageschrift hat er von Januar 2014 bis Februar 2017 in Lugano und den norditalienischen Städten Como und Reggio Emilia Propagandaaktionen für die Extremistenorganisation Dschabhat al-Nusra durchgeführt. Dabei habe er eine «indoktrinierende und radikalisierende Rolle» innegehabt. Gegenüber mehreren Personen, die namentlich aufgeführt sind, hat er den Märtyrer-Tod als «besten Tod» gepriesen. Im Gegensatz zu ISIS, die auch Terroranschläge in Europa und auf der ganzen Welt begeht, lobt er Dschabhat al-Nusra als Rebellenorganisation, da sie ausschliesslich in Syrien und im Irak tätig sei, «um die unterdrückten Muslime zu befreien».

Der Schweizer hat gemäss BA zwischen Januar und Juli des Jahres 2015 von Lugano und der Türkei aus zudem zwei Kämpfern – sogenannten «foreign fighters» – dabei geholfen, ins syrischirakische Kriegsgebiet zu gelangen. Dort sollen sie sich dem IS angeschlossen haben.

Bei einer Person handelt es sich um Oussama Khachia, der im Dezember 2015 in Syrien gestorben ist. Sein Name taucht in italienischen Ermittlungen auf, die den sogenannten «Dschihadisten von Viganello» betreffen, einen Marokkaner, der in Italien lebte und in der Schweiz K-1 trainierte. Er wurde sogar Schweizer Meister in der Kampfsportart. Anfang Jahr wurde er in Mailand wegen IS-Unterstützung zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.

Die Verhandlung vor Bundesstrafgericht findet am kommenden Freitagnachmittag in Bellinzona statt. Das Urteil wird für den gleichen Tag erwartet. Das Bundesstrafgericht muss einzig entscheiden, ob es den Deal zwischen Bundesanwaltschaft und dem Beschuldigten akzeptiert. Dies ist nicht nur eine Formalität.

Im August 2013 hatten Bundesstrafrichter im Zusammenhang mit Fällen von Diebstahl von Bankkundendaten klargemacht, dass sie mit abgekürzten Verfahren Mühe bekunden, weil sie sich dadurch – vereinfacht gesagt – ausgebremst fühlen. Gemäss Strafprozessordnung prüft das Gericht bei einem abgekürzten Verfahren, ob die Anklage mit dem Ergebnis der Hauptverhandlung und den Akten übereinstimmt. In einem Fall (Hyposwiss) war dies nicht der Fall, das abgekürzte Verfahren wurde durch Bundesstrafrichter Peter Popp dann auch effektiv zurückgewiesen und ein ordentliches Verfahren angeordnet.

60 Verfahren hängig

«Wir sind nicht hier, um der Anklageschrift einfach einen Stempel zu verpassen, sondern die Fakten zu prüfen», sagte Popp damals. Somit ist davon auszugehen, dass auch in der anstehenden Beurteilung des abgekürzten Verfahrens das in Dreierbesetzung tagende Kollegialgericht die Einigung sehr genau unter die Lupe nehmen wird.

Das Bundesstrafgericht hat sich schon öfter mit dschihadistisch motiviertem Terrorismus befasst. Zurzeit sind bei der Bundesanwaltschaft (BA) – unterstützt vom Fedpol – rund 60 entsprechende Strafverfahren hängig, wie die BA auf Anfrage mitteilt.