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«Nelli, komm zurück». Dieser Gedanke begleitete mich quer durch die ganze Lektüre dieses liebevollen Buches. Mit Nelli bin ich gross geworden. Sie war vierfarbig gefleckt, alles wild durcheinander, nur die Beine waren schneeweiss. Sie sah aus wie ein Katzengeneral in weissen Armeestiefeln, wenn sie so elegant durch die Quartierstrassen stolzierte. Nelli schlug Hunde jeder Grösse mit ihrer Tatze mitten ins Gesicht – auch das mit einer Art brutaler Grazie – und wartete jeden Mittag auf der Mauer vor unserem Haus, bis ich vom Kindergarten zurückkam.
Meine drei Brüder und ich warfen sie uns zu im Garten, je höher desto besser. Wir drohten ihr damit, sie in den Backofen zu stecken. Sie hasste den Backofen. Aber uns liebte sie. Und am Samstag vor dem Fernseher, während Beni Thurnheer pausenlos telefonierte, um mit farbigen Kugeln ein paar Schweizer mit einer Million zu beglücken, ass auch sie wie wir Kinder nur von den Paprikachips und ganz sicher nicht vom langweiligen Salzpendant.
Sie wurde immer älter, so alt, dass wir dachten, sie wäre unsterblich. Aber irgendwann hing ihr einst so seidiges Fell nur noch in verklebten Zotteln an ihrem dürr gewordenen Körper. Der Katzengeneral war zum Veteran geworden. Wenn Nelli ihr Maul öffnete, kam kein Miau mehr. Ihre linke Backe hatte ein Loch und aus diesem Loch ragte ein Zahn. Sie konnte kaum mehr fressen. Vielleicht darum griff sie ihren Napf an, stiess ihn um und rannte weg. Manchmal lachten wir noch über ihre Verrücktheit. Doch dann ging Nelli weg und kam nie wieder.
Das ist wohl das, was allen Haustierbesitzern passiert, wenn sie von anderen Katzen- oder Hundegeschichten hören. Sie wollen sofort von ihrem eigenen Tier erzählen. In Birgit Schmids Buch geht es um ihren melancholischen Kater Fritz und Rosie, der Neugierigen. Und um die Suche nach dem Ja auf die Frage «Lieben Katzen ihre Besitzer?»
Die Autorin wehrt sich gegen die Fütterungstheorie, die besagt, dass die Zuneigung der Katzen von der einen Hand zur nächsten springt, solange diese ihr was zu fressen gibt. BBC hat das in einer Studie mit 50 Tierchen zu beweisen versucht. Sie verfolgten die mit GPS und Mikrokameras ausgestatteten Katzen auf ihren Streifzügen und kamen zum Schluss: Sie fühlen sich beim Nachbarn genauso wohl, vorausgesetzt sie werden von diesem bewirtet.
Das sei Schwachsinn, findet die Autorin. Und der berühmte Schweizer Katzenforscher Denis C. Turner gibt ihr recht: Wenn man eine Katze nur füttere und sie weder streichle noch mit ihr spreche, dann sei die Liebe nach zwei Wochen dahin. Katzen wählen sich ihre Lieblingsmenschen aus. Und deshalb ist ihre Beziehung zum Halter nicht austauschbar, sondern sehr individuell. Genauso wie es das Miauen jedes Tiers ist.
Das zeigt eine Studie, in der das Miauen von zwölf Katzen in fünf Alltagssituationen aufgenommen und den Besitzern vorgespielt wurde. Jeder Besitzer konnte bloss diejenige Situation entschlüsseln, in der das Miauen seiner eigenen Katze aufgezeichnet wurde – ob die Katze gelangweilt war, fressen wollte oder Auslass forderte. Eine Universalkatzensprache gibt es nicht. Und vielleicht auch darum werden wir diese Wesen nie ganz verstehen. Sie sind einfach zu eigenwillig.
Brigit Schmid schreibt:
Stimmt. Niemand begreift diese ungemein konfusen Motivationen einer Katze.
Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel hat mal versucht, sich in eine Fledermaus hineinzuversetzen. Er stellte sich vor, kopfüber an einem Ast zu hängen und sich wegen der fast blinden Augen nur über das Gehör orientieren zu können. Er schreibt: «Insoweit ich mir dies vorstellen kann, sagt es mir nur, wie es für mich wäre, mich so zu verhalten, wie sich eine Fledermaus verhält. Das aber ist nicht die Frage. Ich möchte wissen, wie es für eine Fledermaus ist, eine Fledermaus zu sein.» Der Mensch ist also auf sein Bewusstsein beschränkt. Er kann daraus nicht ausbrechen. Er kann niemals nicht Mensch sein.
Und wenn wir nicht mal in die Fledermaus hineinschauen können, wie sollen wir dann jemals das grösste aller Rätsel, die geheimnisvolle Chiffre Katze entschlüsseln?
Die Vorschläge der Katzenhasser reichen von Kastrierung über Hausarrest bis hin zum Abschuss. Irritierend ist aber nicht einfach die Tatsache, dass Katzen Amseln, Blindschleichen und Mäuse töten und damit deren Population teilweise drastisch dezimieren, sondern der Umstand, dass sie es tun, obwohl sie gefüttert werden.
Ist das nun der höchste Grad der Dekadenz? Die domestizierte Katze, die keinen Hunger kennt und dennoch jagt?
Nein. Es muss irgendwas tief in der Katze drin sein. Ein natürlicher Jagdinstinkt, der sich nicht abstellen lässt. Erschwerend kommt hinzu, dass sie das einzige Tier ist, das mit seiner Beute spielt, bevor sie es – wenn überhaupt – frisst. Und dieses Spiel ist Ausdruck ihrer Macht. Katzen wenden nicht einfach rohe Gewalt an:
Das ist der Moment, in dem die Katze mit ihrem Spiel beginnt: Sie entlässt die gefangene Maus aus ihrer Gewalt, lässt ihr einen Augenblick der Hoffnung. Doch es steht in ihrer Macht, die Maus jederzeit zurückzuholen.
Warum tun die Tierchen so etwas Grauenhaftes? Wenn wir annehmen, dass allein der Mensch fähig ist, andere Lebewesen willentlich zu quälen, so muss es bei der Katze eine Art Spielinstinkt sein. Wissen tut man wie immer nichts Genaues darüber. Aber eine These besagt, dass ihre «Spielereien» in Wirklichkeit präzis platzierte Schläge seien, die es der Katze ermöglichen, grössere Beutetiere wie Ratten – die zurückbeissen können – zu zermürben.
Als die Menschen mit dem Ackerbau begannen, fand auch die Katze ihr perfektes Jagdrevier: Der Kornspeicher, in dem sie Mäusen und Ratten den Garaus machte und damit den Hunger der Menschen ein bisschen verringerte.
Den Alten Ägyptern galt die Katze als heilig. Eine zu töten war ein Kapitalverbrechen. Nur die Priester durften die Tiere den Göttern opfern. Man erzählt sich sogar, dass beim Brand eines Hauses die Katze vor den eigenen Kindern gerettet wurde.
Im mittelalterlichen Europa war die Katze weniger beliebt. Die Kirche brachte sie mit heidnischen Bräuchen und Hexerei in Verbindung und erklärte sie, wenn auch nicht immer zum Teufel selbst, so doch zu dessen Gesandten. Katzen wurden vertrieben, in Körbe gesperrt und auf Scheiterhaufen verbrannt. In Frankreich war es Brauchtum, eine Katze ins Fundament einer Kirche einzubauen, um Satan und seine bösen Mächte zu begraben. Erst im 18. Jahrhundert wurde die Verfolgung der Katze durch Ludwig XV. von Frankreich verboten.
Heute sind sie die Königinnen des Internets. Birgit Schmid sieht die Katzenmanie im Netz jedoch kritisch:
Aber immerhin sagt die Wissenschaft, dass herzige Bilder dieselben Hirnregionen stimulieren würde wie Sex, gutes Essen oder Kokain.