Die Europäische Union will das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der Schweiz nicht neu verhandeln. Dies geht aus einem Brief an Bundespräsident Didier Burkhalter hervor, den die Botschafter der 28 EU-Mitgliedsstaaten am Donnerstag in Brüssel laut Radio SRF einstimmig verabschiedet haben. Die Personenfreizügigkeit gehöre zu den grundlegenden Prinzipien, es gebe keine Möglichkeit, sie neu zu verhandeln oder durch Kontingente einzuschränken.
Überraschend kommt diese Abfuhr nicht. Am letzten Samstag hatte die Westschweizer Zeitung «Le Temps» bereits einen Entwurf des Briefes veröffentlicht. Darin betonte die EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton, dass sie auf ein entsprechendes Begehren nicht eintreten könne, das die Schweiz am 4. Juli formell in Brüssel eingereicht hat. Es basiert auf dem Umsetzungskonzept zur Zuwanderungsinitiative der SVP, das der Bundesrat am 20. Juni vorgestellt hatte.
SVP-Chefstratege Christoph Blocher warf der EU darauf Vertragsbruch vor. Das Abkommen zur Personenfreizügigkeit sehe ausdrücklich die Möglichkeit von Nachverhandlungen vor. EU-Kenner verweisen jedoch darauf, dass die Schweiz kein Anrecht darauf habe. Und Staatssekretär Yves Rossier erklärte in einem Interview mit der NZZ vom Mittwoch, eine Absage der EU bedeute nicht, «dass es überhaupt keine Gespräche oder Verhandlungen geben kann».
Tatsächlich schreibt Catherine Ashton, Brüssel stehe für Diskussionen über praktische Probleme zur Verfügung, die sich bei der Einhaltung des Abkommens ergäben. Eines allerdings scheint klar: Personenfreizügigkeit plus Kontingente – das gibt es nicht. Den Fünfer und das Weggli kann die Schweiz nicht haben. Zwei Szenarien stehen zur Auswahl, die Yves Rossier im NZZ-Interview als «Schicksalsfrage für die Schweiz» bezeichnete:
Der Bundesrat macht seine Ankündigung wahr und setzt den Verfassungsartikel zur Zuwanderung, den das Volk am 9. Februar angenommen hat, konsequent um. Also mit Kontingenten und Inländervorrang. Die EU dürfte im Gegenzug das Abkommen zur Personenfreizügigkeit aufkündigen.
Konsequenz: Ob die restlichen bilateralen Verträge betroffen sein werden, ist unklar. Das Verhältnis der Schweiz zu ihrem wichtigsten Handelspartner aber wäre mit Sicherheit massiv belastet.
Die Schweiz versucht, die Zuwanderung ohne Kontingente und Inländervorrang einzuschränken, etwa indem sie das Potenzial einheimischer Arbeitskräfte – vor allem Frauen und ältere Leute – besser ausschöpft. Eine solche Lösung wird von der Linken und der Wirtschaft bevorzugt. Damit liesse sich vermutlich die Personenfreizügigkeit retten, der Verfassungsartikel vom 9. Februar aber bliebe toter Buchstabe.
Konsequenz: Der Widerstand der SVP wäre programmiert, sei es mit der angedrohten Durchsetzungsinitiative oder mit einem Referendum.
Ein erneuter Volksentscheid wäre mit enormen Risiken verbunden, vor allem falls die Zuwanderung in den nächsten Jahren hoch bleiben sollte. Und bereits ist die nächste, noch grössere Kraftprobe mit der EU absehbar: Das institutionelle Rahmenabkommen, gegen das Christoph Blocher schon heute aus vollen Rohren feuert. Im Aussendepartement liebäugelt man deshalb laut Medienberichten mit dem grossen Befreiungsschlag: Das Volk soll 2016 in einer einzigen Abstimmung über den Rahmenvertrag und die Personenfreizügigkeit entscheiden.
Staatssekretär Rossier spielte dieses Szenario gegenüber der NZZ herunter: «Damit es dazu kommen könnte, müssten viele Vorbedingungen erfüllt sein – und dies auch noch zeitlich koordiniert.» Die diversen Planspiele sind ein Abbild der Ratlosigkeit in Bern. Und der Tatsache, dass die Beziehungen der Schweiz zur EU zunehmend einem Blindflug gleichen. Mit hohem Absturzrisiko.
Diese Fehlkonstruktion ist Erwiesenermassen eine unendliche Kapitalvernichtungsmaschine mit dem Ziel, Schulden auf möglichst viele Staaten zu verteilen, um so, nach amerikanischem Beispiel, immer Anderen die Schuld zuschieben zu können.