Am letzten Donnerstag begann die Bodenoffensive der israelischen Armee im Gazastreifen. Unmittelbarer Anlass war ein vereitelter Anschlag: 13 militante Palästinenser waren durch einen Tunnel nach Israel eingedrungen, vermutlich um einen Kibbuz anzugreifen. Erklärtes Ziel der Israelis ist es, das Tunnelsystem der radikal-islamischen Hamas zu zerstören.
Sein Ausmass hat selbst die Israelis überrascht: Die Hamas hat den 40 Kilometer langen und rund zehn Kilometer breiten Küstenstreifen regelrecht ausgehöhlt. «Ganz Gaza ist eine Untergrund-Stadt. Die von der Hamas über Jahre ausgebaute Infrastruktur ist enorm», sagte ein Armeesprecher der Washington Post: «Es gibt Tunnel, weitläufige Bunker, Waffenlager, sogar in städtischen Gebieten.» Dabei unterscheiden Experten drei Tunnelarten:
Im Grenzgebiet zu Ägypten wurden unzählige Tunnel gegraben, die als «Lebensader» des abgeriegelten Palästinensergebiets dienten. Alle möglichen Güter wurden durch die unterirdischen Gänge nach Gaza geschmuggelt: Lebende Tiere, in ihre Einzelteile zerlegte Autos und Waffen.
Die Grabungen waren gefährlich, die Arbeiter aber gehörten zu den bestbezahlten in Gaza. Denn für Hamas waren die Tunnel eine lukrative Einnahmequelle.
Seit dem Sturz der Muslimbrüder in Ägypten ist es damit vorbei. Die neue Führung in Kairo nahm die Hamas ins Visier, die als Ableger der Bruderschaft gegründet worden war. Sie verdächtigt die Islamisten, die Extremisten auf dem benachbarten Sinai zu unterstützen.
Im Frühjahr zerstörte die ägyptische Armee nach eigenen Angaben 1360 Schmuggeltunnel. Die Hamas geriet dadurch in Bedrängnis, sie konnte ihre rund 40'000 Angestellten im öffentlichen Dienst nicht mehr bezahlen.
Die aktuelle Eskalation im Nahost-Konflikt wird deswegen auch als Flucht nach vorne interpretiert: Hamas wolle mit der Mobilisierung gegen Israel den wachsenden Unmut in Gaza eindämmen.
Here's one of the tunnels that we have uncovered in Gaza. pic.twitter.com/R5RcEESSwf
— IDF (@IDFSpokesperson) 18. Juli 2014
Sie wurden in den urbanen Gebieten errichtet und dienen als Fluchtwege für militante Kämpfer, aber auch als Waffenfabriken oder Abschussrampen für Raketen. Und als Bunker. Die gesamte Führung der Hamas soll sich seit Beginn der Operation «Schutzrand» am 8. Juli in unterirdischen Betonbunkern verstecken. Die Anlagen sind häufig aufwändig ausgebaut, mit Zement verstärkt und mit Strom und Belüftungsanlagen versehen.
Die Palästinenser haben zahlreiche unterirdische Gänge gegraben, die auf israelisches Staatsgebiet führen. Der beim versuchten Anschlag vom letzten Donnerstag verwendete Tunnel war fast zwei Kilometer lang, lag in 20 Metern Tiefe und war mit Biscuits, Joghurt und anderen Vorräten ausgestattet. Seither versuchten weitere Terrorkommandos, nach Israel einzudringen.
Am Samstag griffen Hamas-Kämpfer in israelischen Uniformen eine Militärpatrouille an und töteten zwei Soldaten. Eine weitere Gruppe war mit Handschellen und Betäubungsmitteln ausgerüstet. Sie wollte offenbar Soldaten entführen. Auf diese Weise war 2006 bereits der Soldat Gilad Schalit in den Gazastreifen verschleppt und fünf Jahre festgehalten worden. Am Montag wurden zwei weitere Angriffe vereitelt.
Die Armee hat seit ihrem Einmarsch nach eigenen Angaben 45 Tunnel entdeckt. Dies dürften nicht alle sein: Amerikanische Geheimdienste hätten mit Hilfe von Satelliten mit hochauflösender Infrarot-Technologie etwa 60 Tunnel aufgespürt, berichtete die «Jerusalem Post».
Die Wirkung von Luftangriffen auf diese Einrichtungen ist begrenzt. Eine effektive Zerstörung kann nur am Boden erfolgen. Sollte Israel den Gazastreifen nicht erneut besetzen oder die Hamas stürzen, dürfte das Spiel bald von neuem losgehen.