Gesellschaft & Politik
Zürich

«Wir nehmen uns, was uns gehört. Wir sind die Stadt!»

«Euer System macht meine Freunde depressiv.» Kaum eine Fassade im Zürcher Kreis 4 und um die Europaallee blieb in der Nacht auf Samstag unversprayt.  
«Euer System macht meine Freunde depressiv.» Kaum eine Fassade im Zürcher Kreis 4 und um die Europaallee blieb in der Nacht auf Samstag unversprayt.  Bild: userinput
Krawalle in Zürich

«Wir nehmen uns, was uns gehört. Wir sind die Stadt!»

Die «Reclaim the Street»-Bewegung meldete sich in der Nacht auf Samstag mit einem grossen Knall zurück – von der Aggressivität des Umzugs sind sogar die Tanzdemonstranten selber überrascht.
13.12.2014, 14:0113.12.2014, 16:27
Rafaela Roth
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«Heute Abend soll diese Stadt mal wieder richtig leben», stand in dem Schreiben, das die «Reclaim the Streets»-Aktivisten an der unbewilligten Demonstration in der Nacht auf Samstag verteilten: «Wir lassen uns nicht verdrängen. Wir nehmen uns, was uns gehört. Wir sind die Stadt», hiess es weiter. 

Unter dem Slogan «Reclaim the Streets» (RTS) gab es seit 2010 immer wieder unbewilligte Demonstrationen in diversen Schweizer Städten. Die Beteiligten wollen sich «tanzend die Strasse zurück erobern» und demonstrieren gegen Gentrifizierung und Zerstörung des zahlbaren Wohnraumes in Schweizer Städten: «Wir wollen die Stadt nicht dem Geld, den Grundeigentümern, den Kapitalistinnen, dem Public-Private-Partners-hip-Staat und allen anderen Machtinhaberinnen überlassen», schreiben die RTS-Aktivisten, die aus der linksautonomen Szene stammen. 

Das Schreiben der «Reclaim the Streets»-Organisatoren.
Das Schreiben der «Reclaim the Streets»-Organisatoren.bild: userinput

Nach dem letzten RTS in Zürich vor zwei Jahren und den grossen «Tanz dich frei»-Demonstrationen in Bern wurde es in letzter Zeit ruhig um die Bewegung. 

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Polizei wurde überrascht

Vom letzten Coup am Freitagabend wurde die Stadtpolizei Zürich denn auch komplett überrascht: «Wir hatten keine Kenntnis von der geplanten Aktion», sagt der Informationschef der Stadtpolizei Mario Cortesi. Die Polizei habe keinen Zugang zu einschlägigen Foren und die Demonstranten hätten sich per SMS organisiert. Die aufgebotenen Polizisten seien aber dank dem neuen Alarmierungssystem schnell vor Ort gewesen.

Mit diesem SMS wurde zur RTS-Tanzdemonstration aufgerufen. 
Mit diesem SMS wurde zur RTS-Tanzdemonstration aufgerufen. Bild: watson

Ebenfalls überrascht wurde die Polizei von der Aggressivität der Demonstranten: «Eine solche Angriffslust habe ich noch selten gesehen», sagt Cortesi. Polizisten seien massiv und gezielt angegriffen worden. Sieben wurden mit Gehör- und Augenverletzungen ins Spital eingeliefert. 

Tatsächlich artete die Zusammenkunft am Freitagabend ungewöhnlich schnell in eine wütende Strassenschlacht aus, wie Augenzeugen gegenüber watson berichteten: «Für ungefähr 20 Minuten war es recht friedlich, dann roch man Tränengas und alles geriet ausser Kontrolle», sagt Sympathisantin Nadine H. Sie ergriff danach die Flucht. 

Niemand kann sich die Eruption der Gewalt erklären

In der Vergangenheit waren die RTS-Demonstrationen – abgesehen von jener letzten September in Winterthur und jener vor zwei Jahren in Zürich – verhältnismässig friedlich verlaufen. Tanzende Menschen, kreative Transparente, laute Musik und gute Stimmung prägten die spontanen Strassenpartys. 

Am Freitagabend zog Reclaim The Streets durch Zürich. Nicht alle randalierten kurz darauf in der Innenstadt.
Am Freitagabend zog Reclaim The Streets durch Zürich. Nicht alle randalierten kurz darauf in der Innenstadt.Bild: KEYSTONE

Die gestrige Entladung können sich weder Polizei noch die friedlichen RTS-Teilnehmer erklären. «Das war total übertrieben», sagt ein Tanzdemonstrant. «So aggressiv wie die SBB mit der Europaallee in den Kreis 4 eingefahren ist, so aggressiv schlägt das Quartier jetzt zurück», sagt ein anderer. 

Was die Gründe auch immer waren, die Bilanz des neusten RTS fällt traurig aus: Sieben verletzte Polizisten, vier verhaftete Aktivisten, mehrere hunderttausend Franken Schaden, meterweise versprayte Fassaden und ein Anliegen, das niemand mehr gehört hat. (rar)

RTS: Krawall in Zürich

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RTS: Krawall in Zürich
Die Polizei im Kreis 4 im Grossaufgebot. «Dank neuem Alarmierungssystem konnten innerhalb kürzester Zeit viele Polizisten aufgeboten werden», sagt Polizeisprecher Mario Cortesi. Bild: userinput watson
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21 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Señor Ding Dong
13.12.2014 15:12registriert Dezember 2014
solche aktionen spielen allen in die hände, die die persönliche freiheit und die nutzung des öffentlichen raums weiter einschränken wollen. :-(
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SagittariusA*
13.12.2014 15:04registriert Februar 2014
Vier Aktivisten verhaftet!
Vier?
Seh ich jetzt da etwas falsch?
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manhunt
13.12.2014 14:39registriert April 2014
"wir sind die stadt!". würde mich mal wunder nehmen, wieviele dieser idioten wircklich in zürich leben. und wieviele davon krawalltouristen aus der aglomeration, anderen kantonen oder gar dem ausland sind.
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