Schweiz
Aargau

«Hassmails geben mir zu denken»: Buchser Ammann nimmt Stellung zum Fall Yilmaz

Urs Affolter sagt, es sei unbefriedigend, wenn die Gemeinde nicht kommunizieren dürfe, Yilmaz sich aber frei äussern könne.
Urs Affolter sagt, es sei unbefriedigend, wenn die Gemeinde nicht kommunizieren dürfe, Yilmaz sich aber frei äussern könne.Bild: zvg/key; Montage: edi/mwa

«Hassmails geben mir zu denken»: Buchser Ammann nimmt Stellung zum Fall Yilmaz

Der Buchser Ammann Urs Affolter äussert sich im Interview über die Einbürgerungspraxis seiner Gemeinde und den «Shitstorm» der letzten Wochen.
19.07.2017, 11:53
Nadja Rohner / az Aargauer Zeitung
Mehr «Schweiz»

Einen Monat ist es her, seit der Buchser Einwohnerrat entschieden hat, die Türkin Funda Yilmaz (25) nicht einzubürgern. Dies auf Empfehlung und Antrag der Einbürgerungskommission und des Gemeinderats – weil Yilmaz in den beiden Einbürgerungsgesprächen nicht gut abgeschnitten hatte. Untypisch für die Gemeinde, die sonst nicht für eine besonders restriktive Einbürgerungspolitik bekannt ist.

Der Entscheid sorgte schweizweit für Schlagzeilen – und spätestens seit die Gesprächsprotokolle an die Öffentlichkeit gelangt sind, auch für Empörung. Von «Stasi-Methoden» ist die Rede, von «zu hoch angesetzter Messlatte» und von «blödsinnigen Fragen». Kurz: Buchs hatte auch schon bessere Publicity. Welche Konsequenzen hat das für die Gemeinde und die betroffenen Behörden? Die az hat bei Gemeindeammann Urs Affolter (FDP) nachgefragt.

Jetzt auf

Herr Affolter, in der halben Schweiz wird über «die Schweizermacher von Buchs» geredet. Welche Reaktionen haben Sie persönlich erhalten?
Urs Affolter: Der «Shitstorm» in Form von Hassmails, der über alle Beteiligten hereingebrochen ist, gibt mir zu denken. Der Inhalt der meisten Mails entbehrt jeglicher Beschreibung und gehört direkt ins Altpapier.

Bestehen Schweizer den Einbürgerungstest? (29.07.2017)

Wegen nicht zufriedenstellend beantworteten Fragen beim Einbürgerungstest bestand Funda Yilmaz nicht. Doch die Schweizer sind nicht wirklich besser. Video: © TeleM1

Die Buchser Einbürgerungskommission hat sich nie inhaltlich zum Fall Funda Yilmaz geäussert. Inzwischen sind das Protokoll der mündlichen Befragung und weitere Akten veröffentlicht. Ärgert Sie das oder ist es Ihnen sogar lieber so, weil jetzt vollständige Transparenz herrscht?
Der Gemeinderat ist an das Amtsgeheimnis gebunden und darf darum nicht so offen kommunizieren. Wenn die Antragstellerin auf diese Weise an die Öffentlichkeit gelangt, dann ist das ihre Entscheidung und wird vom Gemeinderat nicht kommentiert. Grundsätzlich ist es aber unbefriedigend, wenn die entscheidenden Gremien nicht kommunizieren dürfen und die Antragstellerin sich frei zur Situation äussern kann.

Der Fall Funda Yilmaz
Die Türkin Funda Yilmaz (25) ist in Aarau geboren, hat in Buchs und Rohr die Schulen besucht und arbeitet als Tiefbauzeichnerin in derselben Aarauer Firma, in der sie schon ihre Lehre gemacht hat. Sie ist mit einem gebürtigen Schweizer verlobt. Am 20. Juni hat der Buchser Einwohnerrat mit 25:12 ihr Einbürgerungsgesuch abgelehnt. Die Einbürgerungskommission hat sie als «zu wenig integriert» bezeichnet, ihre staatsbürgerlichen Kenntnisse seien ausserdem nicht ausreichend. Im schriftlichen Staatskundetest hat sie 100 Prozent erreicht. In den beiden Gesprächen mit der Einbürgerungskommission konnte Yilmaz den Erwartungen des Gremiums punkto Wissen über das Dorf und die Schweiz jedoch nicht gerecht werden. Funda Yilmaz hat gegen den Entscheid des Einwohnerrats Rekurs beim Regierungsrat eingelegt.
«Der ganze Medienhype ging nicht spurlos an den betroffenen Personen vorbei.»

Laut Protokoll wurden Frau Yilmaz detaillierte Fragen zum Dorfleben, zu Gesundheit, Geografie etc. gestellt. Entspricht das etwa dem, was normalerweise bei einem Einbürgerungsgespräch abgeht, oder handelt es sich hier um einen ausserordentlichen Fall?
Da ich bei den Gesprächen nicht dabei bin, beantworte ich diese Frage nach Rücksprache mit dem verantwortlichen Ressortvorsteher, Gemeinderat Toni Kleiber: Grundsätzlich kann ein Einbürgerungsgespräch nicht mit einem anderen verglichen werden, da auf die Person der Antragstellerin oder des Antragstellers – Alter, Berufsbildung, Lebenserfahrung, Vorinformationen aus den Akten – sowie deren Antworten eingegangen wird. Zudem ist es immer ein anderes Kommissionsmitglied, das die Fragen vorbereitet und stellt. Es werden auch nicht immer alle Themengebiete, die der Kanton vorgibt, abgefragt. Der angesprochene Gesprächsverlauf ist darum speziell, weil es ein Zweitgespräch gab. Zweitgespräche werden in der Regel dann geführt, wenn der Eindruck aus dem Erstgespräch nicht eindeutig für eine positive Empfehlung der Einbürgerungskommission gesprochen hat.

Ausschnitte aus der Sendung «TalkTäglich» mit Funda Yilmaz (27. Juni 2017)

Ein Einbürgerungs-Nein sorgt für Wirbel. Der Einwohnerrat will F. Yilmaz nicht einbürgern, obwohl die junge Türkin schweizerischer nicht sein könnte. Video: © Tele M1
«Es gab bisher auch keinen Grund, nicht auf die Empfehlung der Einbürgerungskommission einzugehen»

Hat der Fall Yilmaz innerhalb der Gemeinde Konsequenzen, etwa beim Gemeinderat, bei der Verwaltung oder der Einbürgerungskommission?
Da Frau Yilmaz Rekurs beim Kanton eingelegt hat, werden wir den Entscheid des Kantons abwarten und diesen genau analysieren. Sofern angezeigt, werden wir selbstverständlich Korrekturen vornehmen und die erforderlichen Konsequenzen ziehen. Der ganze Medienhype ging in jedem Fall nicht spurlos an den betroffenen Personen vorbei.

Buchs: Junge Türkin als Schweizermacher-Opfer – «Ich kann es nicht verstehen» (22. Juni 2017)

Die 25-jährige Türkin Funda Yilmaz darf nicht Schweizerin werden – trotz perfektem Schweizerdeutsch, einwandfreiem Leumund, stabiler Lebenssituation, Pläne für ein Studium und mit 100 Prozent bestandenem Staatskundetest. Sie kann die Ablehnung ihrer Einbürgerung nicht verstehen. Video: © Tele M1

Der Gemeinderat ist der Empfehlung der Einbürgerungskommission gefolgt und hat beim Einwohnerrat den Antrag gestellt, das Einbürgerungsgesuch von Frau Yilmaz abzulehnen. Gibt es auch Fälle, bei denen der Gemeinderat zu einem anderen Schluss kommt als die Kommission?
Bis vor rund acht Jahren hat der Gemeindeammann die Einbürgerungsverfahren weitgehend alleine verantwortet. Es hat keine speziellen Vorkommnisse gegeben, aber der Einwohnerrat war der Ansicht, dass das Einbürgerungsverfahren professioneller und breiter abgestützt werden sollte. Er hat deshalb die Einbürgerungskommission eingesetzt, und diese hat bis heute sehr gute Arbeit geleistet. Es gab bisher auch keinen Grund, nicht auf die Empfehlung der Einbürgerungskommission einzugehen, zumal ein Gemeinderat in der Regel bei den Einbürgerungsgesprächen dabei ist und auch die Entstehung des Entscheids in der Einbürgerungskommission mitverfolgen kann. Trotz der sorgfältigen Kommissionsarbeit können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Das ist natürlich unerfreulich, da Menschen betroffen sind, was ich – auch persönlich – sehr bedaure. Dafür sind in unserem Rechtssystem jedoch Rekursmöglichkeiten und Behörden vorgesehen – im vorliegenden Falle ist es der Regierungsrat, der den Sachverhalt beurteilt und gegebenenfalls auch korrigierend eingreift, indem er den Entscheid des Einwohnerrats aufhebt und die Einbürgerung direkt vornimmt oder sie zur Neubeurteilung an die Gemeinde zurückgibt.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
19 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Grigor
19.07.2017 12:06registriert Februar 2014
Er hat genau nichts gesagt. Oder er durfte nichts sagen. Was hat uns das Interview den jetzt für eine Erkenntnis gebracht? Er tut hier so als sei das völlig normal, aber natürlich ist es nicht normal wenn Menschen so realitätsfremd über Menschen entscheiden. Ich hoffe er wollte mit diesem Interview nicht sagen: "So läuft es in einer Verwaltung, die Leute müssen damit leben das sich das nie ändern wird."
5025
Melden
Zum Kommentar
19
Breel Embolo kaufte offenbar gefälschte Covid-Zertifikate von Hells Angel
Natistürmer Breel Embolo hat während der Pandemie angeblich gefälschte Covid-Zertifikate von einem Hells-Angels-Mitglied gekauft. Das geht aus einer Anklageschrift gegen den Biker hervor.

Breel Embolo ist kein Kind von Traurigkeit. Schon mehrfach geriet der Natistürmer mit dem Gesetz in Konflikt. Im vergangenen Jahr wurde er wegen «mehrfacher Drohungen» schuldig gesprochen und zu einer hohen bedingten Geldstrafe verurteilt. Wegen Vermögensdelikten muss er in Basel bald wieder vor Gericht. Und unvergessen ist die Story, als er in Deutschland – er spielte damals für Gladbach – während Corona an einer illegalen Party teilgenommen hatte, dann vor der Polizei geflüchtet ist und sich angeblich in einer Badewanne versteckt hat.

Zur Story