Erstmals äussert sich der Stadtrat zum Fall von W.*, der im März von der Bundesanwaltschaft wegen Unterstützung einer kriminellen Organisation zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Der Mann hatte unter anderem Propaganda des sogenannten «Islamischen Staates» auf Facebook verbreitet.
Vor seiner Verhaftung lebte er in Baden von der Sozialhilfe. Er ist bereits wieder auf freiem Fuss: Wegen Anrechnung der Untersuchungshaft und guter Führung wurde er im Sommer freigelassen. Die Bundespolizei nahm ihn nach abgesessener Haftstrafe zwar in Ausschaffungshaft, wollte ihn ausweisen. Doch das Bundesgericht entschied, ihn freizulassen.
Der Mann wohnt nun wieder in Baden. Und er erhält wieder, beziehungsweise weiter Sozialhilfe. Dies wird in einer schriftlichen Stellungnahme des Stadtrates angedeutet und auf telefonische Nachfrage bestätigt. «Der Klient» sei zwar seit 17. Oktober zu 100 Prozent erwerbstätig, doch das Einkommen sei für ihn und seine Familie nicht existenzsichernd.
Bisher hiess es vonseiten des Stadtrates zum Fall: kein Kommentar. SVP-Einwohnerrat Adrian Gräub erzwang die Stellungnahme nun mithilfe einer parlamentarischen Anfrage. Er wollte wissen, ob es «weitere solche fragwürdigen Zahlungen» wie im Fall des «IS»-Unterstützers gebe.
Die «Weltwoche» hatte im Herbst berichtet, W. habe vor seiner Verhaftung Sozialhilfe erhalten, obschon vier Autos im Neuwert von 90'000 Franken auf ihn registriert gewesen seien. Ausserdem seien er und seine Frau der Aufforderung der Behörden nicht nachgekommen, eine billigere Wohnung zu suchen.
«Es gab und gibt im vorliegenden Fall keine fragwürdigen, sondern nur gesetzeskonforme Leistungen», lautet die Antwort des Stadtrats. Der Mann habe die Autos zwar nicht deklariert, was er gemäss Sozialhilfe- und Präventionstext hätte tun müssen. «Die erwähnten 90'000 Franken beziehen sich aber auf den Neuwert der Autos und entsprechen in keiner Art und Weise dem tatsächlichen Vermögenswert.»
Die Autos seien von einem jeweils so geringen Wert gewesen, dass sie unter dem Vermögensfreibetrag von 4500 Franken lagen, die einer «Unterstützungseinheit» maximal zustehen. Die Autos seien jeweils gewechselt nur wenige Monate betrieben worden. Es gelte bei der Sozialhilfe die Dispositionsfreiheit: «Die betroffene Person kann selber entscheiden, ob sie aus ihrem Lebensunterhalt lieber die Autohaltung finanziert oder die Priorität bei anderen Ausgabenpositionen setzt.»
Und warum wechselte der Iraker nicht die Wohnung, obwohl von der Stadt dazu aufgefordert wurde? Die Behörde könne unter keinen Umständen einen gültigen Mietvertrag zwischen Mieter und Vermieter auflösen, so der Stadtrat. «Kommt die betroffene Person der Aufforderung nicht nach, die Wohnungskosten zu minimieren, wird der Betrag für den Lebensunterhalt entsprechend gekürzt.» Es sei nicht einfach, kostengünstige Wohnungen zu finden: «Viele Sozialhilfebezüger verzichten darum auf einen Wohnungswechsel und nehmen eine Kürzung des Betrags für Lebensunterhalt in Kauf.»
Adrian Gräub: «Man muss Aufforderungen vom Sozialamt also nicht nachkommen, deklariert beim Sozialamt nicht alle Autos, wird rechtskräftig verurteilt wegen Unterstützung des ‹Islamischen Staats› und bekommt nach wie vor die gleichen Leitungen wie jeder Andere. Ein rechtschaffener Bürger, der sich nie etwas zuschulden kommen liess und nun unverschuldet von der Sozialhilfe leben muss, wird sich wohl die gleiche Frage stellen wie ich – ist dies gerecht?»
Die AZ hat die Frage Stadträtin Regula Dell’Anno-Doppler (SP) weitergeleitet. Ihre Antwort fällt formell aus: «Die Ausrichtung von Sozialhilfe geschieht gemäss den geltenden Gesetzen und den anerkannten Richtlinien. Dabei spielen persönliche Meinungen oder Haltungen keine Rolle. Das Anrecht auf Sozialhilfe wird bei jedem Gesuchstellenden umfassend geprüft, Auflagen und Weisungen werden erlassen und durchgesetzt. Nichteinhalten wird mit Kürzungen sanktioniert.»
Kurt Pelda, Autor des Artikels in der «Weltwoche» und Kenner der Schweizer «IS»-Zelle: «Für mich erwecken die Antworten des Stadtrats den Eindruck, als ob man seine Hände in Unschuld waschen wollte. Man wiegelt ab, verschleiert. Die Tatsache, dass alles angeblich gesetzeskonform war, sollte nicht von der viel wichtigeren Frage ablenken, inwiefern die Stadt Baden einen Terroristen und Schlepper finanziert hat – ganz legal.» Es sei schon seltsam, dass beim Stadtrat niemand auf die Idee kam, dass der Besitz von vier Autos ein Hinweis auf eine Händlertätigkeit sein könnte.
Regula Dell’Annos Antwort auf die Frage, ob der Mann Geld an der Sozialhilfe vorbei verdiente: «Das ist reine Spekulation.» Weiter schreibt sie: «Bei der Ausrichtung von Sozialhilfe geht es um die Erfüllung des Grundrechtes, das in der Bundesverfassung festgehalten ist. Also um eine gesetzliche Pflicht, die jede Gemeinde zu erfüllen hat.»
Der Fall von W. beschäftigt inzwischen bereits den Bundesrat. Er will laut «Sonntags Zeitung» verurteilte Dschihadisten und Terroristen künftig nach Verbüssung der Haft in Verwahrung nehmen können, ähnlich wie dies für gefährliche Gewalt- oder Sexualstraftäter möglich ist.
*Name der Redaktion bekannt
(aargauerzeitung.ch)