Schweiz
Analyse

Warum reden Sie plötzlich nicht mehr von neuen AKW, Herr Rösti?

Albert Roesti, SVP-BE, spricht an der Fruehlingssession der Eidgenoessischen Raete, am Mittwoch, 8. Maerz 2017, im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Bild: KEYSTONE
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Warum neue AKW bei den Energiestrategie-Gegnern plötzlich kein Thema mehr sind

Sie träumten von Atomkraftwerken der vierten Generation, die bei Gefahr «gegen innen implodieren» – doch im Abstimmungskampf ist davon plötzlich nichts mehr zu hören. Was mit den Plänen der Atom-Freunde passiert ist.
09.05.2017, 11:1609.05.2017, 14:25
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Wird der Bau neuer Atomkraftwerke in der Schweiz verboten oder nicht? Dies ist eine der heissen Fragen, die das Stimmvolk am 21. Mai beantworten muss, wenn es über die erste Etappe der Energiestrategie 2050 abstimmt.

Für die SVP schien die Sache klar: Es werde nach der Abschaltung der bestehenden Atomkraftwerke «nur eine Lösung geben», um die Stromversorgung sicherzustellen, sagte Parteipräsident Albert Rösti letzten Herbst im Nationalrat:

«Ein sicheres Kernkraftwerk der vierten Generation, von dem keine Gefahr der Verstrahlung ausgeht und das bei Gefahren gegen innen implodiert.»
Albert Rösti, SVP-Chef, in der Herbstsession 2016
Aufzeichnung aus der Debatte zur Energiestrategie.Video: streamable

Auch andere Gegner der Energiestrategie machten sich im Zuge der Atomausstiegs-Debatte für neue Kraftwerke stark. Die Schweizer Bevölkerung wolle nicht aus der Atomenergie aussteigen, konstatierte etwa FDP-Vizepräsident Christian Wasserfallen, nachdem die Ausstiegsinitiative der Grünen, die eine rasche Abschaltung der bestehenden Werke verlangte, Ende November mit gut 54 Prozent Nein-Stimmen abgelehnt worden war.

Wasserfallen hatte in der Kommission vergebens versucht, das AKW-Verbot im Energiegesetz so abzuändern, dass es nur die bis dahin bereits eingereichen – und inzwischen wieder zurückgezogenen – Gesuche betrifft. Neue Projekte sollten nach seinem Willen weiter möglich sein. Als Fan neuer Kernkraftwerke outete sich auch SVP-Nationalrat Christian Imark: «Damit es keine Stromlücke gibt, braucht es in der Schweiz früher oder später neue AKW», so der Solothurner.

AKW der vierten Generation – was heisst das?
Die Atomkraftwerke der vierten Generation befinden sich derzeit noch im Entwicklungsstadium. Sie sollen sicherer sein und massiv weniger radioaktiven Abfall produzieren als die heutigen Modelle. Anstelle von Uran könnten sie etwa Thorium und Plutonium als Brennstoff verwenden. Experten gehen jedoch davon aus, dass es noch mehrere Jahrzehnte dauert, bis diese AKW-Typen marktreif sind.

Die Modelle, die sich derzeit in Europa im Bau befinden, gehören zur dritten Generation. Was die einstigen Prestige-Projekte angeht, ist jedoch vielerorts Ernüchterung eingekehrt: So machten die Wekre im französischen Flamanville und im finnischen Olkiluotoregel mit massiven Kostenüberschreitungen und Zeitverzögerungen von sich reden. (jbu)

Plötzlich kein Thema mehr

Im Abstimmungskampf zum Energiegesetz ist von diesen Stimmen aber plötzlich nichts mehr zu hören. Von 20 Minuten auf die Möglichkeit angesprochen, bei einem Nein zum Energiegesetz neue AKW zu bauen, gaben sich sowohl Wasserfallen als auch Imark wortkarg: Um diese Frage gehe es in der bevorstehenden Abstimmung nicht.

«Sie wissen, dass der Atomausstieg mehrheitsfähig ist»
Bastien Girod (Grüne) über die Energiestrategie-Gegner

Bastien Girod, Nationalrat der Grünen, ist überzeugt, dass sich die Gegner der Energiestrategie aus strategischen Gründen darüber ausschweigen. «Sie wissen, dass der Atomausstieg mehrheitsfähig ist.» Die SVP werde im Falle einer Ablehnung der Energiestrategie allerdings versuchen, neue AKW «herbeizusubventionieren», ist sich der Zürcher sicher.

«Blödsinn», erwidert SVP-Chef Albert Rösti. Aktuell gehe «niemand davon aus, dass in der Schweiz wieder ein AKW gebaut wird – auch die SVP nicht». Seine Aussagen zu Reaktoren der vierten Generation habe er gemacht, noch bevor die Betreiber ihre Gesuche für neue AKW zurückgezogen haben.

Schweizer AKW-Pläne wurden im Herbst begraben
Im letzten Oktober haben die drei grossen Schweizer Energiekonzerne Axpo, Alpiq und BKW ihre Pläne für neue AKW in der Schweiz begraben. Sie teilten mit, dass sie ihre Gesuche formell zurückzögen, weil sich die Energiewelt seit der Einreichung «fundamental verändert» habe. 

Fachleute sind sich weitgehend einig, dass neue AKW– Stand heute – in der Schweiz nicht rentabel wären. Auch Energieministerin Doris Leuthard (CVP) betont, neue Atomkraftwerke seien schon allein aus wirtschaftlichen Gründen keine Option mehr. (jbu)

Am 21. Mai gehe es aus Sicht des Gegenkomitees primär um die Kostenfrage und nicht um die Frage der Technologie, so Rösti weiter. Darum werde letzteres auch nicht speziell thematisiert. Klar sei für die SVP jedoch, dass die neuen erneuerbaren Energien und die Wasserkraft maximal zwei kleine AKW ersetzen könnten. «Für den Rest müssen wir eine Lösung suchen, damit keine Lücke entsteht.» Und hier sei es nicht am Staat, zu sagen, welches dafür die richtige Technologie ist.

Für Christian Wasserfallen (FDP) besteht die Herausforderung primär darin, den Markt so auszugestalten, dass sich Investitionen in neue Kraftwerke wieder lohnen – ob es sich nun um Wasserkraft, Gas oder neue AKW handelt. Dies sei mit der Energiestrategie von Doris Leuthard nicht möglich, ist er überzeugt.

Wirst du das neue Energiegesetz annehmen?

Ein AKW-Verbot im Gesetz ist aus seiner Sicht unnötig, weil Rahmenbewilligungen für den Bau neuer Atomkraftwerke ohnehin dem Referendum unterstünden. «Die Schweizer Bevölkerung könnte also sowieso darüber abstimmen, falls das Thema Anno Tubak wieder aktuell würde.»

Mühleberg geht 2019 vom Netz

Die bestehenden AKW dürfen laut Energiestrategie noch so lange laufen, wie die Atomaufsichtsbehörde des Bundes sie als sicher einstuft. Bereits klar ist, dass das Werk Mühleberg 2019 vom Netz geht. Neben des Bauverbots für neue AKW sieht das revidierte Energiegesetz verschiedene Instrumente vor, um erneuerbare Energien wie Wasser, Sonne, Wind, Geothermie und Biomasse zu fördern. Zudem soll der Energieverbrauch bis 2035 um 43 Prozent gesenkt werden.

* In einer ersten Fassung des Artikels hiess es, das AKW-Verbot werde in der Verfassung verankert. Das ist falsch. Das Verbot ist im revidierten Energiegesetz vorgesehen. (09.05.17, 14:20)

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94 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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sandbe
09.05.2017 12:35registriert Februar 2017
Die SVP will doch durch die Hintertüre wieder neue AKW bauen, die Gesuche dafür liegen schon bereit. Das unterstreicht einmal mehr, wie scheinheilig die SVP agiert. Aber da sind wir ja nichts anderes gewohnt...lieber Problembewirtschaftung anstatt Problemlösung...für diese Angst-Kampagne der SVP gegen die ES2050 habe ich absolut nicht übrig, die ist einfach nur geschmacklos und vor allem faktenfrei! Darum ist mein JA auch schon auf der Post und ich bereue nichts!
Noch einen Kommentar zu Christian Wasserfallen: Solaranlagen sind übrigens auch Kraftwerke, einfach dezentrale!
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El Vals del Obrero
09.05.2017 11:47registriert Mai 2016
"AKWs, die nach innen implodieren"

Wie war das nochmals, AKW-Gegner und Umweltschützer seien alle "naive Träumer, die keine Ahnung von der Realität haben"?
(Realität = EPR, Flamanville, sämtliche "neuen und modernen" AKWs sind massiv hinter Zeitplan und haben die geplanten Kosten schon um Faktoren überschritten ...)

Kein Wunder gab die Parteileitung wohl die Weisung, lieber nichts zu sagen und sich einzig auf Windräder und Angst vor Kosten zu konzentrieren.
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Herbert Anneler
09.05.2017 13:28registriert August 2015
Die SVP sieht alles nur durch die Brille der heutigen Kosten. Die langfristigen Folgen ihrer überholten Energiestrategie für die LebensQUALITÄT zukünftiger Generationen sind ihr völlig schnurz. Es geht ihr nicht um das Wohl des Landes, sondern um diejenigen des SVP-Filzes. In dessen Zentrum: Die SVP-Milliardäre.
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