Sie warnten vor kalten Duschen und wurden selber kalt geduscht. Die Gegner der Energiestrategie 2050 mussten am Sonntag eine klare Niederlage einstecken. Mehr als 58 Prozent des Stimmvolks sagten Ja zu Doris Leuthards Grossreform. Noch am gleichen Tag begann die Ursachenforschung für die Pleite der Gegner. Ins Visier geriet dabei vor allem ihre Kampagne.
Mit enormem Aufwand und zahllosen Inseraten und Plakaten hatte das von der SVP angeführte Nein-Komitee das Energiegesetz bekämpft. Die von der Agentur Goal von SVP-Hauswerber Alexander Segert gestalteten Sujets sorgten gleich doppelt für Stirnrunzeln. Zum einen imitierten sie offenkundig die erfolgreiche linke Kampagne gegen die Unternehmenssteuerreform III.
Daneben griff Segert mit seinen Warnungen vor enormen Kosten und Stromausfällen in die bekannte Angstmacher-Kiste. Das Land wurde mit den Duschplakaten vollgepflastert. Ein anders Motiv zeigt einen traurigen Knaben, der wegen der Mehrkosten von 3200 Franken pro Jahr und Familie nicht mehr in die Ferien darf (weinende Kinder sind ein beliebtes Segert-Sujet).
Für Kritiker schoss die SVP damit über das Ziel hinaus. Der Journalist und Medienkritiker Ronnie Grob, ein Gegner der Energiestrategie, machte am Sonntag in seinem Blog die Segert-Kampagne für die Niederlage verantwortlich. Unentschiedene Stimmbürger seien «durch die lebensfremden Übertreibungen ins Befürworter-Lager getrieben» worden, schreibt Grob.
Die Kampagne habe auf Ängste gebaut, «die viel zu weit von der Realität entfernt waren». Kaum jemand in der Schweiz habe jemals kalt duschen müssen oder aus finanziellen Gründen nicht in die Ferien fahren können. Die Goal-Kampagne habe versagt, weil sie «genau jene Stimmbürger abschreckte, die mit Fakten zu überzeugen gewesen wären», lautet Ronnie Grobs Fazit.
Tatsächlich ist es verblüffend, dass das Nein-Komitee kaum auf die offenkundigen Schwachstellen des Energiegesetzes einging. Das gilt insbesondere für die Frage, wie die Stromversorgung im Winter sichergestellt werden kann, wenn die Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Selbst die Befürworter mussten einräumen, dass in diesem Punkt Klärungsbedarf besteht.
SVP-Präsident Albert Rösti verteidigte im Interview mit der NZZ die Nein-Kampagne. Diese habe es gebraucht, «damit kritische Themen wie etwa die Kostenfrage überhaupt auf den Tisch kamen». Blogger Ronnie Grob hingegen gibt der SVP den Rat, «ihre längst zur Routine gewordene Zusammenarbeit mit Alexander Segert mal grundsätzlich zu überdenken».
Der gebürtige Hamburger war 1985 in die Schweiz gekommen. Ab Mitte der 90er Jahre wurde er zum SVP-Hauswerber, nachdem sein Mentor Hans-Rudolf Abächerli – der «Vater» der SVP-Schockkampagnen – in Pension gegangen war. Lange funktionierte sein schriller Stil perfekt. Die SVP profitierte selbst dann, wenn sie Abstimmungen verlor.
In letzter Zeit aber scheint sich die Segert-Masche totzulaufen. Zunehmend kopierte er frühere Kampagnen, etwa das schwarze Schaf bei der Durchsetzungsinitiative oder das Burka-Motiv bei der erleichterten Einbürgerung von Ausländern der dritten Generation. Dessen Verwendung stiess laut der Tamedia-Nachwahlbefragung sogar bei Teilen der SVP-Basis auf Ablehnung.
Mit plumper Angstmacherei scheint die SVP nicht mehr punkten zu können. Das liegt auch an den anderen Parteien und den Medien. Sie haben – reichlich spät – realisiert, dass sie mit ihrer ritualisierten Empörung über die SVP-Stillosigkeiten der Partei nur genützt haben. Heute ignorieren sie die Kampagne oder reagieren mit Gelassenheit und lassen die SVP so ins Leere laufen.
Alexander Segert orientiert sich zunehmend Richtung Ausland. Im Februar berichtete der «SonntagsBlick», er liebäugle mit einer Einbürgerung in seiner Wohngemeinde Andelfingen im Zürcher Weinland. Nun scheint es ihn in seine alte Heimat zu ziehen. Laut der «Wochenzeitung» ist er im Umfeld der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) aktiv.
In einem Interview mit der «WirtschaftsWoche» sagte Segert Ende April, die AfD müsse «rasch ihre Hausaufgaben machen und wieder Fokus gewinnen, sich auf Themen und auf ihren Markenkern konzentrieren». Das Problem sei, «dass es bei der AfD wie im Kindergarten zugeht. Das ist wie früher im Sandkasten: Keiner will seine Förmchen teilen. Jeder schaut nur auf seinen Sandhaufen und im Zweifelsfall wird mit der Schaufel auf den Kopf des Spielgefährten eingedroschen.»
Zuvor war Alexander Segert bereits für die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) aktiv. Sogar beim Front National in Frankreich soll er gemäss «WOZ» angeklopft und dafür sogar Französisch gebüffelt haben. Allerdings vergebens. Obwohl Parteichefin Marine Le Pen die SVP wiederholt gelobt hat, zeigte der Front National dem Deutschen aus der Schweiz die kalte Schulter.