Als ihm seine Partnerin am Morgen des Karfreitags eine Kaffeetasse an den Kopf schmettert, weiss Beat Blatter* endgültig: fertig! Jetzt ist genug! So kann es nicht mehr weitergehen. Blatter greift zum Telefonhörer und wählt die Nummer der Interventionsstelle Bern. Er bittet um Hilfe.
An den Auslöser des vorangehenden Streits kann sich der Mann mittleren Alters nicht mehr erinnern. «Wie ich mich kenne, war es eine Kleinigkeit.» Das gilt für all die vielen Auseinandersetzungen, die zunehmend nicht nur mit gegenseitigen verbalen Attacken endeten, sondern mit einem «Chlapf», wie es Blatter nennt. 26 Jahre lebt das Paar zusammen, die letzten anderthalb Jahre sind von Gewalt gezeichnet.
Laut Blatters Erzählung bricht der erste eskalierende Streit einen Bann: «Wir stritten uns, warfen uns Schimpfwörter an den Kopf, bis ich nicht mehr wusste, wie ich mich wehren soll, wie ich die angestaute Wut herauslassen kann.» Es folgte der «Chlapf». Blatter hält mit der Erzählung inne, versucht zu erklären: «Der Streit hat sich hochgeschaukelt, bis ich mich mit Worten nicht mehr zu wehren wusste. Dann habe ich sie geschlagen, sie aufs Bett gestossen und vermöbelt.»
Nachdem sich die gesamte Wut an seiner Partnerin entladen hatte, verliess er das Haus. Er fuhr mit dem Auto durch die Gegend, fühlte sich schlecht, wusste nicht, was tun. Dann kehrte er zurück in die gemeinsame Wohnung, versuchte, sich zu entschuldigen: «Sorry. Das darf nicht passieren», sagt er. «Es war von uns beiden scheisse.»
Trotzdem wollten es die beiden nochmals versuchen. «Ein Vierteljahrhundert Beziehung wirft man nicht einfach weg.» Doch dauerte es nur ein paar Monate, dann schlug er wieder zu. Die Polizei verfügte eine Wegweisung, Blatter durfte sich der Partnerin zwei Wochen lang nicht mehr nähern. Er lebte bei seinen Eltern und hoffte, dass die Distanz der Beziehung guttun würde. Als er zu ihr zurückkehrte, verschärfte sich das Problem.
Die Intervalle der Gewalt wurden kürzer, Blatter schlug die Frau spitalreif. Einmal drosch er eineinhalb Stunden auf sie ein – bis er irgendwann «wie aus einem Albtraum erwachte». Erst danach habe er realisiert, was er angestellt hatte. Fünf Mal stand die Polizei bei ihm in der Wohnung, auch der Krankenwagen musste kommen. Bewirkt haben die Einsätze nichts.
Blatter spricht von einer Gewaltspirale, aus der er alleine nicht mehr herausgefunden habe. Das Muster sei immer dasselbe. Mit Sticheleien habe der Streit angefangen. Zuerst habe er diese belächelt. Doch in seinem Bauch wuchs die Wut. «Auch wenn man eine Person über alles liebt: Irgendwann kann man auch bei klarem Verstand nicht mehr alles hinnehmen ... Und dann schlägt man zu.» Das sei das Tröpfchen, das das Fass zum überlaufen brachte, sagt Blatter. Und: «Im Privaten ist die Hemmschwelle, jemanden zu schlagen, viel tiefer. Es bleibt ja privat.»
Erst ein Zeitungsartikel kann ihn aus seiner Ohnmacht retten, wie er sagt. «Als ich über die Interventionsstelle las, wusste ich: Dort kann man mir helfen.» Die Tasse, welche ihm die Partnerin an den Kopf warf, bewegte ihn schliesslich dazu, seine sieben Sachen zu packen und sich für einen Täterkurs anzumelden. Der Kurs und der Halt einer neuen Beziehung hätten ihm «das Leben gerettet». Er habe gelernt, sich von aussen zu beobachten, sagt Blatter. Ein «Vögelchen im Ohr» warne ihn jetzt, wenn er bei einem Streit an die Grenze zur Gewalt komme. So wisse er: «Jetzt muss ich mich zurückziehen.» Und das tue er dann auch.
Wie Blatter mit seiner Ex 25 Jahre ohne Gewalt lebte und was sich plötzlich änderte, kann er selbst kaum erklären. Irgendwann in der Beziehung sei ein Vertrauensbruch passiert. Dann kamen erst finanzielle, später gesundheitliche Probleme hinzu. 2011 erlitt Blatter ein erstes Burnout, 2014 ein zweites. Wahrscheinlich, so blickt er zurück, hätte er früher sagen sollen: «Es passt nicht mehr.»
Blatter hält auch die «Leistungsgesellschaft» für verantwortlich: «Der Druck nimmt von allen Seiten zu.» Als Mann habe er immer gemeint, alles ertragen zu müssen, alles zu schlucken. Schon als Kind sei das sein Rezept gewesen, wenn andere ihn hänselten. «Ich wusste mich nicht anders zu wehren.» Im Sport habe er sich dann jeweils abreagiert. Irgendwann fiel dieses Ventil dann weg. Doch auch später erlebte er Situationen, in denen es ihn «innerlich fast zerriss», weil er sie nicht verarbeiten konnte. Heute könne er mit der Wut und mit seinen Gefühlen besser umgehen. Er zeige nun seinem Gegenüber, wenn Worte ihn verletzen. Dass es wieder zu einem Gewaltausbruch kommt, will Blatter deshalb nicht ausschliessen. «Ich werde mein Leben lang ein gewalttätiger Mann sein.»
* Name der Redaktion bekannt. (aargauerzeitung.ch)