Schweiz
Asylgesetz

Vorläufig Aufgenommene erhalten keine Sozialhilfe mehr

Abdoul, autonome Schule Zürich, Sozialhilfe, Asylfürsorge, vorläufig aufgenommen, F-Ausweis
Mouss rechnet aus, wie viel Geld er monatlich ausgibt.Bild: watson

Autsch! Dieser Flüchtling zeigt seinen Budgetplan nach Wegfall der Sozialhilfe

Der Zürcher Kantonsrat will vorläufig Aufgenommenen die Sozialhilfe streichen. Sie sollen nur noch Asylfürsorge erhalten. Ein Betroffener rechnet vor, was das für ihn bedeuten würde.
13.04.2017, 12:5624.09.2017, 17:56
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«Nein, davon habe ich nichts gewusst», sagt Mouss und schaut mit betroffener Miene auf seine Hände. Vor ihm auf dem Tisch steht ein Teller mit Reis, Hühnchen und Gemüse. Es ist Abendessenszeit in der «Autonomen Schule Zürich». Hierhin kommt Mouss regelmässig, weil der Deutschunterricht gratis ist und das Essen nur zwei Franken kostet.

Die Neuigkeit, die Mouss nun aber den Appetit verdirbt, ist, dass der Zürcher Kantonsrat vor Kurzem beschlossen hat, vorläufig aufgenommenen Personen keine Sozialhilfe mehr zu bezahlen. Die Kosten für vorläufig Aufgenommene seien in den letzten Jahren gestiegen und nur wenig Asylsuchende würden einen Job und den Weg aus der Sozialhilfe finden, lautet die Begründung. Darum sollen Personen, die einen sogenannten F-Ausweis besitzen, nur noch Asylfürsorge erhalten.

Einen solchen F-Ausweis besitzt auch Mouss. Der 36-Jährige kommt aus dem Kongo und gelangte vor vier Jahren in die Schweiz. Vor einem Jahr teilte ihm das Staatssekretariat für Migration mit, dass sein Asylgesuch zwar abgelehnt wird, er aber vorläufig hier bleiben darf. Ihn aus der Schweiz wegzuweisen, wäre derzeit nicht zumutbar.

«Nur schon für Lebensmittel gehen pro Monat 320 Franken weg.»
Mouss 

Seither erhält Mouss Sozialhilfe. Die Krankenkassenprämien sowie die Miete für die Dreizimmerwohnung, in der er mit einem Kollegen lebt, ist automatisch über die Sozialhilfe finanziert. Daneben erhält Mouss einen sogenannten «Grundbedarf» von 718 Franken monatlich. Mit einem Blatt Papier und Stift rechnet er vor: «Nur schon für Lebensmittel gehen monatlich 320 Franken weg, obwohl ich immer in den billigsten Läden einkaufe.» Er schreibt auf, denkt nach, rechnet und zieht dann einen Strich unter das Total aller Ausgaben: Rund 735 Franken braucht Mouss pro Monat. Schon jetzt reicht ihm dafür das Geld also nicht. 

Mit der Asylfürsorge sind es rund zwanzig Prozent weniger 

Mit der Asylfürsorge statt der Sozialhilfe soll es jetzt noch weniger werden. Wie viel weniger, ist unklar. Bei der Rechtsberatungsstelle Freiplatzaktion Zürich geht man von etwa 20 Prozent aus, die vom Grundbedarf wegfallen. 

«Was heisst das für mich?», fragt Mouss und rechnet nach. Als er das Resultat auf seinem Handy sieht, presst er die Lippen zusammen. 574.40 Franken. «Das ist ein Problem», sagt er dann. Sparen könne er vielleicht bei den Telefonkosten. Er setzt den rosa Leuchtstift an, streicht die 70 Franken durch und ersetzt sie durch 50 Franken. Er telefoniere zwei bis drei Mal in der Woche mit seinen Eltern, die noch im Kongo leben, sagt Mouss. Seine Mutter sei krank, und besuchen könne er sie ja nicht.

Mouss zeigt seine Liste

Abdoul, autonome Schule Zürich, Sozialhilfe, Asylfürsorge, vorläufig aufgenommen, F-Ausweis
Von der Sozialhilfe zur Asylfürsorge. An einigen Orten müsste Mouss künftig sparen.bild: watson

Sparen könnte er auch bei den Kleidern. Früher habe er öfters in Brockenhäusern oder bei der Caritas eingekauft. Aber diese Kleider gingen schnell kaputt. Ausserdem habe er lange Arme und müsse immer in speziellen Läden suchen, bis er etwas passendes finde. «Aber im Notfall müsste ich auf neue Kleidung verzichten», sagt er.

Das Ergebnis von Mouss Sparversuchen ist niederschmetternd. Am Ende kommt er auf 585 Franken, die er monatlich ausgeben würde. Das liegt immer noch über dem Betrag, den er mit der Asylfürsorge erhalten würde. «Es gibt einfach Dinge, die ich nicht wegstreichen kann», sagt Mouss. Das Billet, zum Beispiel. Das brauche er, um arbeiten zu können. Seit zwei Monaten kann er nämlich als Pflegepraktikant in einem Altersheim arbeiten. Lohn erhält er dort keinen, hingegen einen zusätzlichen Betrag von der Sozialhilfe, sozusagen als Belohnung für seine Integrationsbemühungen. Beim Wechsel auf die Asylfürsorge würden auch solche Beträge künftig wegfallen. 

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Video: watson/Lya Saxer

Die Vorreiterrolle wieder abgegeben

Samuel Häberli, Rechtsberater bei der Freiplatzaktion Zürich, sagt: «Von der Sozialhilfe zur Asylfürsorge ist eine massive Kürzung.» In anderen Kantonen ist es bereits die Praxis, dass vorläufig Aufgenommene nur Asylfürsorge erhalten. Nur in den Kantonen Basel-Stadt, Luzern, Bern und Genf können Personen mit einem F-Ausweis unter bestimmten Voraussetzungen Sozialhilfe beziehen. Darum hat der Kanton Zürich laut Häberli 2011 eine Vorreiterrolle übernommen, als er Personen mit einem F-Ausweis von der Asylfürsorge in die Sozialhilfe gehoben hat. Das geschah damals mit einer Referendumsabstimmung. «Mit dem Ja, hat der Kanton Zürich damals ein positives Signal gesendet. Jetzt machen wir einen Schritt zurück», sagt er. 

Verschiedene Organisationen und Parteien haben angekündigt, gegen den Entscheid des Kantonsrates das Referendum zu ergreifen.

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348 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bijouxly
13.04.2017 22:34registriert Dezember 2014
Also ich kaufe auch nicht für 100.- Kleider ein pro Monat, kann ich mir nicht leisten... Und auch 70.- handyabo^^ Prepaid kaufen und Internet bezahlt er ja auch, also völliger nonsens da ein Abo zu machen.
Ich finde auch, dass wir kein Süsswarenladen sind. Er ist hier, will hier offenbar bleiben, also muss er halt auch mal in den sauren Apfel beissen.
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Lumpirr01
13.04.2017 22:04registriert März 2014
Ich war kürzlich drei Wochen als pensionierter Ingenieur und Hobby - Entwicklungshelfer für ein Wasserprojekt in der Côte d'Ivoire unterwegs. Das Thema Migration nach Europa ist auch da ein grosses Thema. Den genauen Grund, wieso er nicht in die Heimat zurückkehren kann, ist uns nicht bekannt. Allerdings ist in ganz Westafrika meistens der grösste Hinderungsgrund, dass er dann in seiner grossen Verwandschaft als fieser Versager gilt. Man hat ihm für eine bessere Zukunft viel bezahlt und nun steht er hungrig und mit leeren Händen wieder vor der Tür. Ivorer werden zudem kaum politisch verfolgt.
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markus stadler
13.04.2017 17:33registriert Februar 2017
Jetzt aber echt, ey! Seine Wohnung und seine Krankenversicherung übernehmen wir ja - via Sozialhilfe respektive Steuern. Ihm bleibt noch immer ein Betrag, der über der Harz-4-Unterstützung in Deutschland liegt. Und er muss nur für sich selber aufkommen. Ich kenne aus beruflichen Gründen reihenweise allein erziehende Schweizerinnen, die buchstäblich am Hungertuch nagen. Meine Steuern gehören erst mal ihnen. Spart Euch bitte Eure Mitleidstränen.
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