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Abenteuerliche Krawatte, souveräner Auftritt: So schlug sich der neue Longchamp

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Abenteuerliche Krawatte, souveräner Auftritt: So schlug sich der neue Longchamp

Seine Begeisterung für die Sache war grenzenlos, die Kleiderwahl eher grenzwertig: Politologe Lukas Golder meisterte heute seinen ersten Auftritt als Chefdeuter der Nation im Leutschenbach.
24.09.2017, 17:2725.09.2017, 08:05
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Er liess die Hoffnungen der Befürworter rekordfrüh platzen: Politologe Lukas Golder, der Neue im SRF-Studio Leutschenbach, konstatierte bereits kurz nach halb eins: «Wir haben genug Anzeichen beisammen, um sagen zu können, dass es ein deutliches Nein geben wird.» Kein Konjunktiv, kein Zögern, kein Vielleicht.

Als Nachfolger von Claude Longchamp tritt der 43-Jährige in grosse Fussstapfen. «Longchamp», das ist in der Schweiz so etwas wie das Synonym für «Politologe». 25 Jahre lang hatte die «Fliege der Nation» im Leutschenbach Abstimmungsresultate erklärt, eingeordnet und die Seele des Schweizer Stimmbürgers durchleuchtet. Jetzt ist er weg.

Stattdessen entschied er sich für eine Krawatte im Strick-Look, orange-blau-beige gemustert.

Und an seine Stelle tritt einer, der der Schweizer Öffentlichkeit bisher weitgehend unbekannt war. Kann das gutgehen? Ja, es kann. Sollte Golder den Druck gespürt haben, der auf ihm lastete, liess er sich jedenfalls nichts anmerken. Souverän führte er die TV-Zuschauer durch den Abstimmungsnachmittag, ging den Ursachen des Renten-Debakels in druckreifen Sätzen auf den Grund.

Im Gegensatz zu Longchamp verstehe er sich nicht als Historiker, der die «grossen Bogen» schlägt, liess Golder die Zuschauer im einleitenden Interview mit dem SRF-Moderator wissen. Er sehe sich vielmehr als «Beobachter der Gegenwart». Anders als sein Mentor – Golder heuerte bereits 1999 als Student bei Longchamp an – verzichtete der Neue auch auf die Fliege um den Hals. Stattdessen entschied er sich für eine Krawatte im Strick-Look, orange-blau-beige gemustert.

Video: streamable

Ein Anblick, geeignet, um modeaffinen Zeitgenossen das Grauen zu lehren. Und ja, mit den dicken Brillengläsern und dem Seitenscheitel mutete Golder eher an wie der schüchterne Aushilfslehrer als wie ein aufgehender Stern am TV-Himmel. Mit seiner ansteckenden Begeisterung für die Sache machte er dies jedoch wett.

Wenn er den Jungfreisinnigen mit funkelnden Augen ein Kränzchen dafür wand, dass diese «ihre Sommerferien geopfert haben», um die Argumentationshoheit genau im richtigen Moment an sich zu reissen, dann schwang in seiner Erzählung ein Hauch von Abenteuer mit. Politik ist spannend! Und du kannst etwas bewirken!, so die Message, die er in die Schweizer Stuben und auf die Smartphone-Displays trug.

Video: streamable
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Golder weiss auch um die Fallstricke, die auf dem Weg nach oben lauern.

Die Feuerprobe ist damit geglückt. Um an den Kultstatus seines Ex-Chefs heranzukommen, muss sich Golder aber noch mächtig ins Zeug legen. Nicht nur, dass der charismatische Longchamp seinen Auftritt über ein Vierteljahrhundert perfektionieren konnte. In Zeiten, in denen die Nation am Abstimmungssonntag nicht mehr am Fernsehbildschirm klebt, sondern vermehrt auf andere Kanäle ausweicht, ist zudem umso mehr unterhalterisches Talent gefragt, damit das Publikum nicht abspringt.

Golder weiss auch um die Fallstricke, die auf dem Weg nach oben lauern. In den 18 Jahren, in denen er bereits für das Institut gfs.bern tätig ist, erlebte er mit, wie Longchamp frenetisch bejubelt und persönlich hart attackiert wurde. Insbesondere für seine Umfragen zur Minarett-Initiative musste der Mann mit der Fliege heftige Prügel einstecken. Und Golder? Er kenne die Risiken, die sein neuer Job mit sich bringe, meinte er im Vorfeld seiner ersten Sendung lapidar.

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3 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Fordia
24.09.2017 17:32registriert November 2014
Echt jetzt? Die Krawatte ist wichtig?
😳
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Zum Kommentar
3
«Du bist so dick, ich muss in den Thurgau kehren gehen, damit ich an dir vorbeikomme»
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