Was ist bloss mit den SBB los? Immer wieder fallen Züge aus. Verspätungsmeldungen nehmen zu. Selbst am Nationalfeiertag schaffte es der Bundesbetrieb nicht, die Zürcher S-Bahn störungsfrei zu betreiben – obwohl am 1. August kein Pendlerverkehr zu bewältigen war. Im Zürcher Hauptbahnhof waren die S-Bahn-Gleise 41 bis 44 wegen eines Gleisschadens nur beschränkt befahrbar. Zugsausfälle und Verspätungen bis 22.30 Uhr waren die Folge.
«Das ist ja nicht normal, was die SBB derzeit bieten», stöhnt eine Pendlerin. Mehrfach hatten sich in den letzten zwei Wochen am Morgen die Züge aus Zürich verspätet. Immer wieder fuhr ihr der Bus vor der Nase weg – das verlängert den Arbeitsweg jedes Mal um eine Viertelstunde.
Manchmal war der Zug nur ein paar Minuten zu spät, zuweilen aber mehr: Am Freitag, 21. Juli, kam der Interregio nach Basel mit 12 Minuten Verspätung an – offenbar wegen einer Türstörung. Am Montag waren es beim ICN nach Genf 20 Minuten.
Am Dienstagabend bei der Heimfahrt gab ihr Regio-Express vollends den Geist auf. Zuerst hiess es in Aarau, die Abfahrt verzögere sich um ein paar Minuten. Später kam die Durchsage über Lautsprecher, der Zug falle aus: «Bitte alle aussteigen!». Ein Lokproblem – die Pendlerzeit verlängerte sich um eine halbe Stunde.
Die Liste der Störungen ist lang. An besagtem Dienstag verkehrten in Aarau 31 Züge mit mehr als drei Minuten Verspätung, ein weiterer Zug fiel ebenfalls aus. Das zeigt eine Auswertung der auf Opentransportdata.swiss zur Verfügung gestellten Rohdaten über die effektiv gefahrene Leistung der SBB an diesem Tag durch die «Nordwestschweiz».
Betrachtet man die ganze Schweiz, so waren 98 Fernverkehrszüge, 139 Regionalzüge und 371 S-Bahnen an diesem Tag mit mehr als drei Minuten Verspätung unterwegs. 49 S-Bahnen und Regionalzüge fielen aus, von denen manche durch einen Ersatzzug mit neuer Zugsnummer ersetzt wurden.
Ja, was ist bloss mit den SBB los? Innert dreier Tage war der Zürichbergtunnel gleich zweimal blockiert. Zuerst blieb am 17. Juli im morgendlichen Pendlerverkehr eine S-Bahn im Tunnel kurz vor dem Bahnhof Zürich-Stadelhofen stecken. Eine Stunde später konnten die Passagiere über die vordersten Türen aussteigen, nachdem es gelungen war, die Komposition ein paar Meter vorwärtszubewegen. Zwei Tage später war eine technische Störung an der Bahnanlage schuld. Während einer Stunde müssen zwei S-Bahn-Linien umgeleitet werden.
Nicht überall klappt es mit der Information der Reisenden. In Winterthur sah man in der zweiten Juliwoche ratlose Passagiere auf dem Perron, als eine S-Bahn ausfiel. «Es gab keine Lautsprecherdurchsage, der Zug wurde auf den Displays im Bahnhof einfach plötzlich gelöscht und schon war für die Verantwortlichen der Fall erledigt», sagt Marcel Burlet, Zentralsekretär von Pro Bahn, der Interessenvertretung der Kunden im öffentlichen Verkehr.
Störungen treten bei neuen und älteren Kompositionen und auf den unterschiedlichsten Trassen auf, wie eine Auswahl aus dem vergangenen Monat zeigt: Auf der Neubaustrecke Bern–Olten blockierte ein stehen gebliebener Zug bei Rothrist während einer Stunde den Abendverkehr. Drei Tage später blieb ein Eurocity zehn Kilometer vor Bern stehen, die Passagiere wurden per Rettungszug evakuiert, der defekte Zug wird abgeschleppt. In Uznach SG machte eine S-Bahn auf offener Strecke schlapp, die Passagiere wurden zu Fuss zur Hauptstrasse zu einem Ersatzbus geführt. Am dritten Julisonntag strandeten auf dem Weg ins beliebte Wandergebiet Val-de-Travers Dutzende von Reisenden für eine halbe Stunde oder mehr am Bahnhof Colombier, weil die Verantwortlichen vor Ort offenbar aus Spargründen die Kapazitäten des Ersatzbusses während der mehrtägigen Bauphase zu knapp bemessen hatten.
Warum häufen sich die Beeinträchtigungen? Werden zu viele Bauarbeiten in die Sommerferienzeit verlegt, so wie es derzeit im Thurgau bei der Fahrleitungserneuerung zwischen Frauenfeld und Weinfelden der Fall ist, «damit weniger Kunden von den Einschränkungen betroffen sind», wie die Bahn festhält? Führt das zu einer Überlastung des Bahnsystems?
SBB-Sprecher Daniele Pallecchi verneint eine Häufung von Baustellen. «Wir kennen keine Saison wie beispielsweise im Strassenbau, bei der SBB wird jahrein, jahraus gebaut, unterhalten, ersetzt.» Die Verlegung von Arbeiten in die Sommerferien ist demnach ein Ausnahmefall für periphere Linien ohne komplexe Vernetzung wie jetzt eben im Thurgau. Und die Häufung von Vorfällen wie im Zürichbergtunnel innert drei Tagen ein Zufall.
Pallecchi relativiert auch den Eindruck, dass die Zahl von Verspätungen und Zugsausfällen zunimmt. Das könnte man auf den ersten Blick zwar meinen, räumt er ein: «Tatsächlich aber geht die Zahl der Störungen seit Jahren zurück.»
Allerdings spielt zugleich ein gegenläufiger Effekt. Das Verkehrsaufkommen ist gewachsen, heute ist das schweizerische Schienennetz mit rund 9000 Zügen täglich stärker genutzt als früher. «Dadurch sind die Auswirkungen einer Störung auf andere Züge schneller spürbar», so der SBB-Sprecher.
Tritt zum Beispiel zwischen Zürich und Olten ein Problem auf, so breitet es sich rasch auf andere Streckenabschnitte aus und betrifft dadurch schnell viele Leute.
Wie viele Passagiere unter dem Strich von Verspätungen betroffen sind, zeigt die sogenannte Kundenpünktlichkeit. Die SBB messen damit den prozentualen Anteil aller Reisenden, die alle Anschlüsse schaffen und mit weniger als drei Minuten Verspätung am Zielbahnhof ankommen – ob es dort auch für den Bus reicht, ist eine andere Frage.
Die Kundenpünktlichkeit steigt ebenfalls seit einigen Jahren an. Der letzte verfügbare Wert für den Juni 2017 beträgt 89,8 Prozent – das Mittelland schneidet mit 87,8 Prozent etwas schlechter ab. Das heisst: Fast jeder achte Reisende kam im Mittelland verspätet an.
Derzeit sind die SBB daran, die Kundenpünktlichkeit für den Juli zu errechnen. Erst wenn dieser Wert vorliegt, ist klar, ob die Häufung von Verspätungen und Zugsausfällen tatsächlich zufällig war.