Die brasilianische Bundespolizei führt eine Liste mit den zehn meist gesuchten Verbrechern im Land. Darunter eine Mutter, die ihre siebenjährige Tochter getötet hat; ein Vater, der seine beiden Töchter sexuell missbrauchte und ein Mann, der einen brasilianischen Polizisten erschoss. Alle auf dieser Liste sind flüchtig, ihre Taten liegen teils schon Jahrzehnte zurück.
Die Mehrheit der Gesuchten sind Brasilianer. Drei davon haben aber eine andere Staatsangehörigkeit. Einer ist Kolumbianer, einer Chilene und einer kommt aus Europa, genauer, aus der Schweiz.
Wir schreiben das Jahr 2004. Der damals 41-Jährige Schweizer lebt in Brasilien und hat sich frisch getrennt von seiner brasilianischen Freundin. Mit ihr war er zuvor sieben Jahre zusammen, gemeinsam führten sie auch ein Restaurant. Gemäss brasilianischen Medien waren letztlich seine Trinksucht und seine Aggressionen Schuld am Beziehungsende.
Das eigentliche Drama ereignet sich an einem Märzabend 2004. Die Ex-Partnerin des Schweizers ist gemeinsam mit Kollegen in einer Bar, als sich das einstige Liebespaar über den Weg läuft. Es kommt zum Streit, bei dem der Schweizer auch Morddrohungen gegen seine Ex-Partnerin ausspricht. Die Situation kann aber beruhigt werden und die Auseinandersetzung geht einigermassen glimpflich aus.
Das Verbrechen verübt R. U. erst einige Stunden später. Er dringt gemäss der Fahndungsausschreibung der brasilianischen Bundespolizei in die Wohnung seiner früheren Partnerin ein, versucht sie zu vergewaltigen und schlägt ihr letztlich eine Holzbank über den Kopf. Danach wirft er sie aus dem Fenster.
Die Frau fällt drei Meter in die Tiefe und verletzt sich dabei an der Wirbelsäule. Seither ist sie querschnittgelähmt und auf den Rollstuhl angewiesen. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.
So schrecklich die Tat, so rätselhaft, was danach passierte: R. U. und seine Ex vereinbarten Stillschweigen, wobei er versprach im Gegenzug alle Arztrechnungen zu bezahlen. Der Deal hielt aber nicht lange. Der Schweizer brach sein Versprechen und verliess fluchtartig das Land. Seither wird er von der Polizei gesucht. Bislang ohne Erfolg.
Das Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement äussert sich nicht zum konkreten Fall. Fahndungs- und Auslieferungsersuche seien vertraulich und würden dem Amtsgeheimnis unterstehen, teilt die Behörde auf Anfrage mit. Auch die brasilianische Bundespolizei schreibt watson, man kommentiere keine laufenden Untersuchungen.
Falls sich R. U. in der Schweiz aufhält, könnte Brasilien die Schweiz darum ersuchen, die Strafverfolgung zu übernehmen. Im Falle einer Festnahme würde der heute 54-Jährige aber nicht an Brasilien ausgeliefert. Davor schützt ihn seine Schweizer Staatsbürgerschaft – aber nicht vor einer allfälligen Strafe. Er müsste sich vor einem Schweizer Gericht für seine Tat verantworten.
R. U. ist von der Bildfläche verschwunden, sein Verbrechen in Brasilien aber noch nicht vergessen. Anfang Juni widmete der brasilianische Fernsehsender R7 der Tat einen 18-minütigen Beitrag. Darin kam auch die Ex-Partnerin des Schweizers zu Wort. Zur Tatnacht sagt sie: «Ich war im Bett, neben mir lag mein Sohn. Um Mitternacht kam er, sturzbetrunken und wollte Sex. Es war schrecklich.» Sie zeigte dem Fernsehteam den Tatort und Fotos von der gemeinsamen Zeit mit dem Schweizer.
Auch warum sie sich nach sieben Jahren von ihm trennte, berichtet sie dem Fernsehsender. «Wir hatten viel Streit und ich hatte überall Verletzungen von seinen Schlägen.»
Dass sich die beiden tatsächlich auch nach dem Fenstersturz noch sahen, soll das folgende Foto beweisen: Die Ex-Freundin sitzt auf dem Bild bereits im Rollstuhl.